Da ich gerade so eifrig am Überarbeiten bin, dachte ich, ich erzähle mal, wie ich beim Überarbeiten schrittweise vorgehe. Vielleicht können sich die hier mitlesenden Schreiberlinge Anregungen holen bzw. mir Anregungen liefern. Auf alle Fälle würde es mich interessieren, wie ihr so vorgeht, ob ihr auch ähnliche „Phasen“ kennt oder das alles ganz anders macht.
1. Durchlesen und Markieren
Wenn ich eine Rohfassung fertig habe, lasse ich sie erst einmal eine Weile liegen, ehe ich sie ein erstes Mal durchlese. Um im Lesefluss zu bleiben, verändere ich bei diesem Durchlesen noch nicht viel, vielleicht den einen oder anderen Tippfehler.
Dafür setze ich farbige Markierungen:
– gelb: schräge Formulierungen, unschöne Passagen, seltsame Metaphern – alles sprachliche eben, was mich im Lesefluss stört
– rot: inhaltliche Probleme wie Plotlöcher oder Figuren, die sich unlogisch verhalten
– grün: Recherchelücken; alles, worüber ich mich noch genauer informieren (vielleicht auch andere fragen) muss.
– hellblau: Passagen, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob ich sie nicht als ganzes wegkürzen soll. Meistens schreibe ich nämlich in der Rohfassung einiges zu ausführlich, beschreibe zuviel oder wiederhole gewisse Sachen mehrmals.
Das Ergebnis dieses ersten Durchgangs ist meistens ein sehr bunter Text. 😉
2. Die Markierungen wegbekommen
Das eigentliche Überarbeiten beginnt bei mir damit, dass ich versuche, sämtliche Markierungen wegzubekommen. Ich formuliere die gelben Stellen um, sammle Informationen für die grünen und kürze die hellblauen, soweit es notwendig ist.
Die roten Passagen machen mir meist die größte Arbeit.
Ich plane meine Romane nicht detailliert im Voraus; ich habe lediglich einen groben Plot, eine Ausgangssituation und Figuren, lasse mich sonst aber erst einmal von der Geschichte leiten. Dadurch muss ich natürlich oft noch viele Plotprobleme im Nachhinein lösen. Vielleicht ist das nicht das klügste, aber ich kann besser die eigentliche Struktur eines Romans herausarbeiten, wenn die Rohfassung bereits steht.
Bei „Polarnacht“ etwa habe ich bei dieser Phase nicht nur mein problematisches Ende umgeschrieben, sondern auch im Mittelteil zwei Kapitel komplett neu geschrieben, weil mir an dieser Stelle der Spannungsbogen abgesackt ist. Ich habe auch den roten Faden sozusagen verstärkt und einige Szenen, die seltsam isoliert dastanden, besser in die eigentliche Handlung eingebunden. Und ich habe versucht, die Hauptthemen des Romans insgesamt noch deutlicher zu machen.
Übrigens beschäftige ich mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit sprachlichen Feinarbeiten. Abgesehen von den gelben Passagen ist dieser Durchgang vor allem eine inhaltliche Überarbeitung.
3. Testleser
Tja, den 3. Punkt habe ich bisher erst einmal erreicht, nämlich bei „Polarnacht“. Ich habe den Roman an vier Testleser gegeben mit der Bitte, dass sie vor allem auf Handlung, Plot und Gesamteindruck achten sollen.
4. Die zweite große Überarbeitungsrunde
Ja, und nun geht es darum, die Anmerkungen der Testleser umzusetzen. Im Fall von „Polarnacht“ waren das bis auf das Ende gar nicht so große Dinge. Ich habe eher kleinere inhaltliche Dinge geändert bzw. deutlicher gemacht.
5. Sprachlicher Feinschliff
Das ist der Punkt, wo ich erstmals den Text ausdrucke (alles vorige erledige ich gleich am Computer). Und nun leuchte ich wirklich jeden Satz nochmal genauer durch. Meine „üblichen Verdächtigen“ sind meist Häufungen von Füllwörtern, Schachtelsätze und Wortwiederholungen.
Ich gehe hier kapitelweise vor, mache mehrere Durchgänge (damit ich mich nicht auf sovieles gleichzeitig konzentrieren muss) und lese als Abschluss das Kapitel laut vor. Das halte ich für sehr wichtig, da einem dabei noch Kleinigkeiten auffallen, die vorher beim leise Lesen nicht gestört haben.
Danach arbeite ich all die Änderungen am Computer ein.
Wenn ich Phase 4 und 5 erledigt habe, werde ich den Roman noch einmal an Testleser geben. Im besten Fall haben die dann nicht mehr viel zu bemängeln, ansonsten starte ich danach wieder bei Phase 4. 😉
Liebe Neyasha,
diese Phasen durchlaufe ich ähnlich. Da ich mit Papyrus arbeite kommt Deine Phase 5 bei mir während des Schreibens. Wiederholungen, Phrasen, Füllwörter, Infinitive, Adjektive etc. werden von Papyrus sofort bemäkelt. Eine Funktion, die man natürlich auch abstellen kann, die ich aber sehr gerne nutze. Mit welchem Programm arbeitest Du? Das würde mich interessieren.
Meine persönlich wichtigste Phase 1 ist: Streichen! Ich versuche ca. 1/10 wegzustreichen, gerade den Beginn mancher Absätze, der oft ein Warmschreiben ist, oder schnöder Infodump.
Wieviel kürzt Du heraus? Oder gehörst Du zu den Autoren, die sehr konzentriert schreiben? (konzentriert im Sinne von 'destiliert' :))
Liebe Grüße
Nikola
Liebe Neyasha,
Das finde ich eine schöne Idee von Dir, darüber zu berichten 🙂
Ich habe erst ein Kinder-Jugendroman mehrfach überarbeitet, an "Schattenklang" fängt die richtige Überarbeitungsphase erst an, bei den Anthologie-Veröffentlichungen ist das relativ schnell geschafft und bei "Faoon" steht mir all das bald bevor. Es graust mich jetzt schon davor…
Ich handhabe die Phasenstrukturierung sehr ähnlich wie du es beschrieben hast, nur schicke ich nach Phase 1 bereits das Skript zum ersten Mal an die TestleserInnen. Die Zeit, die meine TestleserInnen benötigen um das Skript zu lesen, nutze ich für mich, um Abstand zu meiner Geschichte zu gewinnen und versuche mich bewusst etwas völlig Neuem zu widmen.
Gibst du dein Skript denn jedes Mal neuen Testlesern, oder sind das jedes Mal dieselben?
Ich wünsche dir einen schönen Tag,
liebe Grüsse mirjam
Liebe Neyasha,
bei mir sind die Phasen sehr ähnlich. Farbige Markierungen nutze ich auch, und fast genau dieselben (nur mit anderen Farben). Die einzigen Unterschiede sind vielleicht, dass bei mir "Recherche" unter "Inhaltliches" subsummiert wird, und dass ich noch eine Markierung habe für Textstücke, die vielleicht an andere Stelle verschoben werden müssen. Ich setze die Farbmarkierungen aber schon bei der Erstfassung, also während des Schreibens. So habe ich es mir in meiner großen Stil-Arbeitsphase angewöhnt …
Ich habe nun schon relativ viele "fertige" Texte produziert (wobei Texte ja eigentlich nie fertig sind) und bin inzwischen zum Teil nicht mehr so kritisch mit mir selbst. Meine Erfahrungen sind nämlich, dass es letzten Endes relativ egal ist, was man an Feinarbeit mit den Texten macht, denn irgendwas gefällt immer jemandem nicht und dem anderen wieder gut. Hauptsache, man selbst ist dann einigermaßen zufrieden.
Da sieht man mal wie umfangreich das sein kann. Und das vor Punkt 5 machst du alles am Computer? Naja, wär sonst wahrscheinlich ein ziemlicher Baumverlust, den du da verursachen würdest ^^ Findest du es eigentlich anstrengend, am Computer zu lesen?
Die farblichen Markierungen haben mich eben sehr beeindruckt – ich markiere eigentlich alles was irgendwie wichtig für mich ist, warum hab ich das beim Überarbeiten noch nie gemacht?!
Wow, danke für eure ausführlichen und spannenden Kommentare.
@Rabenblut:
Ich arbeite mit Scrivener. Papyrus hab ich in einer Demoversion hier rumliegen, aber das ist nicht so mein Fall.
Ich kürze meistens schon einiges, wobei ich oft an anderen Stellen einiges dazuschreiben muss, weil ich manche Szenen in der Rohfassung zu hastig und knapp abhandle.
@mirjam:
Hm, die Frage mit den Testlesern kann ich so noch gar nicht beantworten, weil ich bisher noch nie zu einer 2. Testleserunde gekommen bin. Ich plane bei "Polarnacht", mir neue Testleser zu suchen, hoffe aber, dass zumindest eine von meinen vorigen Leserinnen Lust hat, den Roman nochmal zu lesen und zu gucken, ob er besser ist als vorher.
@Coppi:
Ja, so farbliche Markierungen sind echt super. Es kommt bei mir schon auch vor, dass ich einzelne Stellen schon beim Schreiben der Rohfassung markiere (gerade wenns um Recherche geht), aber im Wesentlichen brauch ich dazu schon mal etwas Abstand und die Möglichkeit, den Roman mal als Ganzes zu lesen.
Die Feinarbeit ist eigentlich das einzige, was mir an der Überarbeitung Spaß macht. Insofern stürz ich mich darauf ganz gern. Sonst finde ich Überarbeiten einfach mühsam. 🙁
@Stefanie:
Ja, ich mach vor Punkt 5 alles am Computer. Bin zu geizig und sparsam, um vorher schon alles auszudrucken. 😉 Allzu anstrengend finde ich es eigentlich nicht, am Computer zu lesen. Aber man übersieht Fehler doch leichter als bei Ausdrucken.
Die farblichen Markierungen kann ich wirklich empfehlen. Ich finde, dass das das weitere Überarbeiten wesentlich erleichtert.