Lesegeplauder

Guy Gavriel Kay

Endlich setze ich mich mal wieder an ein Autorenporträt. Nachdem ich mit Patricia A. McKillip schon eine von mir gern gelesene und meiner Meinung nach viel zu unbekannte Fantasyautorin vorgestellt habe, kommt mit Guy Gavriel Kay erneut ein Fantasyautor, der etwas abseits der üblichen Konventionen unterwegs ist – und vielleicht deshalb auch hierzulande viel zu wenig Beachtung findet.
Ein paar Fakten
Guy Gavriel Kay wurde 1954 in Weyburn (Kanada) geboren und wuchs in Winnipeg auf. Er studierte Rechtswissenschaften und Philosophie und arbeitete als Student ein Jahr lang in Oxford mit Christopher Tolkien an der Redigierung des „Silmarillion“. Später arbeitete er als Autor und Produzent an einer kanadischen Radioserie. 1984 erschien der erste Band von Kays „Fionavar“-Trilogie. Er erhielt für seine Romane einige Preise, darunter den World Fantasy Award für „Ysabel“ im Jahr 2008.
Seine Romane
Viele von Kays Romanen könnte man gewissermaßen als eine Mischung zwischen Fantasy und historischem Roman bezeichnen. So orientiert er sich mit seinem „Sarantine Mosaic“ stark an Byzanz zur Zeit Justinians II, mit „The Lions of Al-Rassan“ an der Zeit der Reconquista, mit „The Last Light of the Sun“ an den Wikingerüberfällen in England im späten 9. Jahrhundert. 2010 begab er sich mit „Under Heaven“ in die Zeit der Tang-Dynastie und damit in – für Fantasy – ziemlich ungewöhnliche Gefielde.
Viele seiner Romane beinhalten wenig oder gar keine Magie und auch keine exotischen Wesen, sind also lediglich mit der Einbettung in eine eigene Welt mit eigenen Kulturen (wenn diese auch stark an irdische angelehnt sind) als „phantastisch“ zu bezeichnen.
Ich mag diesen äußerst sparsamen Einsatz von magischen Elementen, war aber auch von „Tigana“ angetan, in dem Magie ein wesentliches Plotelement darstellt.
„Klassische“ Fantasy findet man bei Kay am ehesten in seiner „Fionavar“-Trilogie, in der fünf Menschen in einer fiktiven Welt landen, wo sie Schlüsselrollen in den kommenden Ereignissen spielen.
Ich liebe die Settings von Kay (besonders Sarantium), aber was ich an seinen Romanen besonders schätze sind der Schreibstil und die Figuren.
Mittlerweile hat sich ja die personale Erzählperspektive in der modernen Fantasy stark durchgesetzt, aber Kay schickt in seinen Romanen einen – weitgehend – auktorialen Erzähler ins Rennen. Dieser nistet sich durchaus oft für längere Zeit im Kopf einer Figur ein, streut dazwischen aber auch Vorausdeutungen, Rückblicke und allwissende Passagen ein. Das klingt vielleicht etwas sperrig, aber ich finde, dass sich die Romane von Kay sehr gut lesen – nicht nur, weil sie sprachlich auf einem sehr hohen Niveau sind, sondern auch, weil dieser Erzählweise manchmal etwas „archaisches“ anhaftet, das einfach gut zu der Zeit passt, in der die Romane angesiedelt sind.
Ungewöhnlich und gewissermaßen „archaisch“ sind auch die meisten der Figuren von Kay. Sie agieren meist im Umfeld der Mächtigen oder sind gar selbst wichtige (politische) Persönlichkeiten. Und sie haben wohl gemeinsam, dass ihnen allen etwas von einem klassischen Held anhaftet. Bei Kay gibt es herausragende Kämpfer, schöne Frauen, intrigante Strippenzieher und talentierte Künstler. Das besondere ist aber, dass sie dennoch in Graustufen gezeichnet sind und nicht wie langweilige Überhelden wirken. Es ist schwer, es in Worte zu fassen, aber immer, wenn ich einen Roman von Kay lese, habe ich plötzlich den Wunsch, selbst ein wenig über solche Helden zu schreiben, obwohl sowas sonst gar nicht mein Fall ist. Aber viele seiner Figuren gehören wirklich zu meinen absoluten Lieblingen, denen auch ein Tyrion Lannister nur schwer den Rang ablaufen kann.
Man könnte ihnen vielleicht vorwerfen, dass sie Zusammenhänge allzu schnell durchschauen, aber ganz ehrlich: Ich bin so erleichtert, auch mal Figuren präsentiert zu bekommen, die kompetet, intelligent, sehr tatkräftig und – vor allem – mir in ihrem Wissen meistens einen Schritt voraus sind. Mir passiert es sonst sehr oft, dass mir als Leserin längst schon alles klar ist, während die Figuren exakt nichts kapieren. Bei Kay hingegen muss ich mich bemühen, mit den Figuren Schritt zu halten und dementsprechend überrascht bin ich auch stets von Wendungen oder Enthüllungen. Es ist schon mehr als einmal vorgekommen, dass ich praktisch mit offenem Mund vor dem Buch gesessen bin und ein echtes „whoa“-Gefühl hatte.
Ansonsten ist zu den Romanen von Kay noch zu sagen, dass Künste oft eine große Rolle spielen (so etwa Musik in „Ein Lied für Arbonne“ sowie „Tigana“ und Mosaikkunst in „A Sarantine Mosaic“) und er diese Kunstwerke und die Hingabe ihrer „Meister“ derartig gut beschreibt, dass ich tatsächlich einmal Tränen über ein zerstörtes Mosaik vergossen habe. Ja, ich weiß, das klingt lächerlich, aber wer „A Sarantine Mosaic“ bereits gelesen hat, kann das vielleicht nachvollziehen.
Überhaupt sollte man Taschentücher in Griffweite haben, wenn man einen Roman von Kay liest. Es sind keine direkt tragischen Geschichten, die er erzählt, aber seinen Büchern liegt stets eine ganz eigene Melancholie inne, und wenn bei ihm eine Figur stirbt, dann nimmt einen das beim Lesen richtig mit.
Ich denke, das waren jetzt genug der Lobeshymnen. Guy Gavriel Kay ist sicher ein Autor, der nicht jedermanns Fall ist, aber ich kann nur empfehlen, es mal mit ihm zu probieren. Wenn man eher klassische Fantasy mag, dann vielleicht „Fionavar“, wenn man etwas für historische Themen übrig hat, dann bieten sich „A Sarantine Mosaic“ oder „The Lions of Al-Rassan“ an, wer mehr Magie möchte und sich mal auf ein renaissance-artiges Setting einlassen will, ist wohl mit „Tigana“ gut beraten.
Einschränkend muss ich sagen, dass ich von „Fionavar“ bisher nur den ersten Band kenne und auch Kays neueste Romane noch nicht gelesen habe – zu denen kann ich also nur wenig sagen.
Hier nun eine Liste seiner Veröffentlichungen mit dem Titel der deutschen Übersetzungen, die leider großteils nur noch gebraucht zu bekommen sind: 

Liste der veröffentlichten Romane

– The Fionavar Tapestry (Die Herren von Fionavar):
        1. The Summer Tree, 1984 (Silbermantel)
        2. The Wandering Fire, 1986 (Das wandernde Feuer)
        3. The Darkest Road, 1987 (Ein Kind von Licht und Schatten)
– Tigana, 1990 (2 dt. Bände: Der Fluch u. Der Hofnarr)
– A Song for Arbonne, 1992 (Ein Lied für Arbonne)
The Lions of Al-Rassan, 1995 (Die Löwen von Al-Rassan)
– A Sarantine Mosaic (Die Reise nach Sarantium):
       1. Sailing to Sarantium, 1998 (2 dt. Bände: Das Komplott u. Das Mosaik)
       2. Lord of Emperors, 2000 (2 dt. Bände: Der Neunte Wagenlenker u. Herr aller Herrscher)
Beyond This Dark House, 2003 (ein Gedichtband, nicht auf Deutsch übersetzt)
– The Last Light of the Sun, 2004 (Die Fürsten des Nordens)
– Ysabel, 2007 (nicht auf Deutsch übersetzt)
– Under Heaven, 2010 (nicht auf Deutsch übersetzt)

9 thoughts on “Guy Gavriel Kay

  1. Ich muss auch endlich mal "Ein Lied für Arbonne" lesen. Die anderen Titel klingen schon allein vom Titel her verlockend!!

    Ich wünsch dir ein wunderschönes Wochenende 🙂

    Nanni

    P.S.: Tee und Schokolade sind / waren super lecker!!

  2. Ach Neyasha, ein Porträt zu Guy-Gavriel Kay und dann auch noch so schön und passend, sodass ich gleich riesige Lust bekomme, eines seiner Bücher (am besten die Sarantium-Bücher) mal wieder zu lesen.
    Und ja, bei dem entsprechenden Mosaik vergießt man wirklich Tränen. Aber auch bei dem Kampf zwischen Ammar und Rodrigo oder bei dem Gang von Dianora oder oder oder. Seine Bücher bringen unheimlich viel Tiefe hervor – wofür FS-Bücher ja nicht immer berühmt sind.
    In Kays Charaktere muss man sich einfach verlieben, weil sie immer menschlich, dabei aber auch ein wenig sperrig sind.

    Willst du Under Heaven in absehbarer Zeit lesen? Vielleicht sollten wir das irgendwann mal zusammen probieren? Btw bist du eigentlich bei Goodreads? Wenn ja, musst du mir mal deinen Nickname per Mail verraten. Nach Neyasha habe ich schon gesucht:).
    LG und einen schönen Sonntag
    wünscht Nia

    1. Ach je, ja, Dianora. Und ganz schlimm fand ich ja auch den Tod gewisser Sänger in "A Song for Arbonne". *schnief*
      Es gibt einfach so viele Figuren von Kay, die mir unglaublich ans Herz gewachsen sind, ganz besonders Crispin.

      Ich möchte "Under Heaven" schon mal in absehbarer Zeit lesen und gemeinsam wäre das natürlich super.
      Bei Goodreads bin ich nicht. Ich bin bei Lovelybooks, aber dort schon nicht wirklich aktiv und hatte keine Lust, meine Bücher noch einmal alle einzupflegen (obwohl mir Goodreads sehr ans Herz gelegt wurde).

    2. @Goodreads/Lovelybooks
      Kann ich verstehen. Aus dem Grund bin ich nicht bei Lovelybooks – eine Buchplattform reicht dann doch.

      @Under Heaven
      Ich habe gestern mal reingelesen. Es wäre definitiv nicht ganz leicht mit den ganzen chinesischen Namen und der beschreibenden Sprache von Kay im Original. Aber versuchen würde ich es schon. Man liest sich ja auch immer ein in so eine Welt:).

      @Crispin
      Er ist zusammen Jehanne auch mein liebster Charakter. Besonders mag ich, dass beide echt schlau sind, aber durchaus auch ihre Fehler haben (und sich dieser sogar bewusst sind). In den Sarantium-Büchern sind aber noch so viele andere tolle Charaktere – Shirin, Rustem und der blaue Wagenlenker (mir ist gerade der Name entfallen). Ja, ich glaube, das wird demnächst einen Re-read geben:D.

    3. Scortius! Das ist ja auch einer meiner Lieblinge. *herzchen*
      Ich muss ja gestehen, dass mich Brandin total fasziniert hat, obwohl er eigentlich der "Böse" ist. Aber so simpel ist es bei Kay ja denn wieder nicht. 😉

      Mich schreckt bei "Under Heaven" auch das Setting noch so ein wenig ab, da ich es eher nicht so mit Fantasy im asiatischen Raum habe. Schon mit Lian Hearns Trilogie konnte ich nicht so viel anfangen.
      Deshalb weiß ich nicht, ob ich da nicht noch Fionavar vorziehe, das ich ja endlich mal komplett lesen möchte.

    4. Ja, Lian Hearns Bücher (inzwischen sind es sogar 4 oder schon 5) und ein bisschen auch Kai Meyers Wolkenvolk-Trilogie haben mich für asiatische FS-Settings auch etwas abgeschreckt. Allerdings ist Chris Woodings Saramyr-Reihe eine wohltuende Ausnahme. Deshalb denke ich mal, dass Kay das auch richtig gut hinbekommen hat.

      Scrotius, genau (da hat sich bei mir was falsch gebahnt – ich hatte an Scorpius gedacht und wusste, da stimmt was nicht). Der ist einfach großartig. Und ich verstehe, warum er und Crispin sich gut verstehen – so stur wie beide sind:).
      Und wieder ja, die Bösen bei Kay sind oft sehr interessant und man möchte (noch) mehr über sie erfahren. Styliane finde ich auch sehr faszinierend, aber auch erschreckend.

      Dann solltest du Fionavar unbedingt voziehen. Meiner Meinung nach sind die Bände 2 und 3 die, die die Bücher besonders machen. Bd. 1 erinnert noch sehr an Tolkien, aber ab Bd. 2 entwickelt es sich doch in eine eigene Richtung.
      Vielleicht gibt es bis dahin von 'Under Heaven' eine deutsche Übersetzung – dann wird die Entscheidung leichter:).
      Ähm ja, ich höre mal auf

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