Die Brigittenau, der 20. Wiener Bezirk, gehört zu jenen Gegenden in Wien, die nicht den besten Ruf haben. Da ich inzwischen schon seit gut sechs Jahren hier wohne, kann ich das nicht ganz nachvollziehen. Ich fühle mich wohl und sicher hier, schätze die sehr gute Anbindung durch öffentliche Verkehrsmittel und die Nähe zu Donaukanal, Donauinsel und nördlichem Wienerwald. Dennoch – schöne Prachtbauten oder gemütliche kleine Gässchen sucht man hier eher vergebens. Da so eine Pandemie aber dazu anregt die eigene Gegend genauer zu erkunden, habe ich mal recherchiert, welche denkmalgeschützten Objekte es in der Brigittenau eigentlich gibt. Wikipedia listet alle 63 genau auf, worunter aber sehr viele kommunale Wohnbauten aus den 20er und 30er Jahren stammen, die erfahrungsgemäß nicht allzu spannend zu betrachten sind.
Ich habe mir also von diesen 63 einige (ca. 30) zusammengesucht, die mir interessant vorkamen, und diese zu einer Tour verbunden:
Hier zeige ich euch eine kleine Auswahl aus diesem etwas anderen Streifzug:
Ich startete meine Tour passenderweise bei der Brigittakapelle, die als ältestes Gebäude im Bezirk (sie wurde 1645-1651 erbaut) diesem den Namen gegeben hat. Gleich bei der Kapelle befindet sich auch die Figur Heilige Brigitta von Oskar Thiede aus dem Jahr 1934.
Von dort ging es weiter zum Donaukanal und zum Brigittenauer Sporn, wo sich mit der Nussdorfer Schleuse und den zugehörigen Verwaltungsbauten von Otto Wagner sowie der Brücke über die Schleusenanlage ein ganzes Ensemble aus denkmalgeschützten Objekten befindet.
Danach führte mich der Weg eine ganze Weile am Donaukanal entlang bis zur Fußgängerbrücke Döblinger Steg von 1910/11.
Nach diesem ersten Abschnitt, bei dem ich sehr nett am Donaukanal entlang spazieren konnte, ging es nun im Zickzack durch die Straßen, zuerst zu einem Mosaik an der Außenwand eines Kindergartens, dann an einer Brunnenplastik mit Mosaiken vorbei und zur Schule am Leipziger Platz aus dem Jahr 1903.
Ein paar Gehminuten weiter kam ich zum Brigittapark, wo sich eine neugotische Pfarrkirche (1867–1873) und das Amtshaus des Bezirks befinden.
Nicht weit davon entfernt amüsierte ich mich bei der ehemaligen Unfallversicherungsanstalt von 1911/12 über diese unterschiedlichen Eingänge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber:
Der weitere Weg führte mich nun die Wallensteinstraße entlang zum Nordwestbahnhof, wo ich ein kleines Museum entdeckte, das ich mir für ein anderes Mal merkte. Unterwegs kam ich unter anderem an einem Miethaus von 1894 mit einer großteils noch original eingerichteten Apotheke und an zwei Statuen im Innenhof einer Wohnhausanlage vorbei.
Inzwischen näherte ich mich allmählich dem Ende meiner Tour, was auch ganz gut war, denn 12 Kilometer kamen mir im Straßengewirr deutlich länger vor als beim Wandern in der Natur. Ich kam an ein paar ehemaligen Fabriken vorbei, unter anderem der ehemaligen Kristalleisfabrik, bei der die Giebel und Fensterstürze in ihrer Form an Kristalle erinnern. Beim Höchstädtplatz befindet sich ein Denkmal für Opfer und Kämpfer gegen den Faschismus von Alfred Hrdlicka.
Abschluss der Tour war einer der vielen kommunalen Wohnbauten, der Engelshof von 1930–1933, nach dem Sandleitenhof der zweitgrößte Wiener Gemeindebau der Zwischenkriegszeit.
Und damit war ich am Ende meines etwas anderen Streifzugs angekommen. Das war zwar keine allzu malerische, aber dafür sehr interessante und lehrreiche Tour. Ich kann es nur empfehlen, die eigene Wohngegend mal genauer unter die Lupe zu nehmen, auch wenn sie keine touristisch interessanten Plätze aufweist.
Sehr spannend, was du so alles in deinem eigenen Viertel gefunden hast und sehr coole Fotos von all den Sehenswürdigkeiten! Es klingt, als ob du überraschend viel Spaß auf deinem Erkundungsspaziergang hattest, auch wenn es sich in der Stadt nicht so schön gehen lässt wie in der Natur! 🙂 Den Friedrich-Engels-Hof hatten wir lustigerweise während des Innenarchitekturstudium in einer Vorlesung als Thema – zusammen mit ein paar anderen Wohnhausanlagen dieser Zeit. Ich finde es bis heute faszinierend, welche ideale Wohnraum-Nutzung den Architekten damals vorschwebte und wie viel wir heute theoretisch davon noch profitieren könnten. Der Kindergarten hinter unserem Haus gehört auch zu einer solchen Siedlung, die damals für Arbeiter geplant wurde und dann so teuer im Bau wurde, dass kein Arbeiter sich die Wohnungen leisten konnte. Aber die Wohnungen sind bis heute sehr beliebt – unter anderem wegen der Gartenanlage im Inneren des Wohnblocks und der nutzbaren Dachterrassen (auf denen man im Sommer anscheinend hervorragend Parties feiern kann *seufz*).
Spannend, dass der Hof bei dir in einer Vorlesung Thema war – sofern wir wirklich denselben meinen. Der Friedrich-Engels-Hof ist nämlich woanders in Wien, der bei mir ist der Engelsplatzhof oder eben verkürzt Engelshof. Ist aber in der Tat eine interessante Wohnhausanlage mit all der integrierten Infrastruktur (vom Lebensmittelgeschäft bis zum Friseur und Fahrradverleih).
Eine Gartenanlage gibt es bei mir im Inneren des Wohnblocks auch. Die würde ich vermutlich deutlich mehr nutzen, wenn ich nicht meinen Balkon hätte.
Ne, das ist schon die richtige Anlage (aber anscheinend habe ich den falschen Namen in Erinnerung behalten *g*). Ich finde es spannend, dass in einigen Städten aktuell die Stadtplanung wieder in eine ähnliche Richtung geht, wie diese Wohnanlagen-Planer zu Beginn des 20. Jahrhunderts, da in den letzten Jahren wieder ein Bewusstsein dafür entstanden ist wie wichtig es ist, wenn Wohnen, Einkaufen, Kinderversorgung usw. nah genug beeinanderliegen, um im Idealfall fußläufig erreichtbar zu sein.
Ja, es scheint da durchaus wieder einen Trend in diese Richtung zu geben. Wobei ich das Gefühl habe, dass das in Wien mit den vielen Gemeindebauten, die auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sind, nie wirklich aufgehört hat. Wenn ich das dagegen mit Wohnanlagen in meiner Heimatstadt vergleiche, sehen die dort sehr anders aus, also reine Wohnbauten ohne jegliche integrierte Infrastruktur.
Ich bin tatsächlich geschichtlich und kulturell sehr uninteressiert (und schäme mich dafür ein bisschen), aber die Idee, dir deinen eigenen Streifzug durch dein Wohnviertel zu basteln, finde ich super. Ich würde zwar immer die Natur bevorzugen, aber ich finde, deine Strecke ist ja auch ziemlich vielfältig und abwechslungsreich.
Danke für’s Mitnehmen. 🙂
Ich bin zwar geschichtlich und kulturell interessiert, aber da ich ohnehin die ganze Zeit in der Stadt bin, bevorzuge ich sonst bei Wanderungen auch die Natur. Aber im Winter und bei geschlossenen Gasthäusern hat es auch einen Vorteil, wenn man nicht irgendwo im Wald oder am Berg unterwegs ist.
Schöner Bericht und schöne Fotos! Und die zwei unterschiedlichen Eingangstore sind natürlich super! 😀
lg, Nora
Bezirkswerbung. *gg*