erschienen bei Kein & Aber
Er beginnt mit Lilachs scheinbar perfektem Leben, das sich von einem Moment zum anderen ändert, als ein Schwarzer einen Anschlag auf eine Synagoge verübt und dabei ein Mädchen tötet sowie vier weitere Personen verletzt. Danach breitet sich zuerst Angst in der jüdischen Gemeinschaft aus, bald aber auch Wut. Um bei einem vielleicht nächsten Mal besser gerüstet zu sein, organisieren die Familien einen Krav Maga-Kurs für ihre Kinder. Lilach ist zunächst strikt dagegen, möchte nicht, dass ihr Sohn in eine Spirale aus Gewalt hineingezogen wird. Aber sie gibt nach und bald schon beginnt sich Adam zu ändern. War er vorher der stille Außenseiter, fühlt er sich in der neu gefundenen Gruppe von Jugendlichen wohl und schwärmt von seinem Trainer Uri. Auch Lilachs Mann freundet sich schnell mit Uri an, während Lilach selbst skeptisch ist.
Als kurz danach bei einer Party ein schwarzer Mitschüler von Adam unter seltsamen Umständen stirbt, fällt der Verdacht auf Adam – und Lilach ist sich auf einmal nicht mehr sicher, ob sie ihren eigenen Sohn überhaupt noch kennt.
„Wo der Wolf lauert“ ist spannend wie ein Thriller, vor allem aber ein Psychogramm und ein faszinierendes Spiel mit der Wahrheit. Wir erleben alles aus der Perspektive von Lilach und haben dadurch selbst nur ein eingeschränktes Bild. Sieht Lilach Gespenster? Hat sie recht, wenn sie Uri misstraut oder bildet sie sich etwas ein?
Als sie den Dingen auf den Grund zu gehen versucht, setzen sich einige Puzzlesteine nach und nach zusammen, während gleichzeitig immer mehr Fragen aufgeworfen werden. Schnell entsteht ein Gefühl der Bedrohung, das noch unterstrichen wird von der aufgeheizten Stimmung in der Nachbarschaft. Antisemitismus und Rassismus entstehen scheinbar aus dem Nichts, obwohl sie natürlich schon lange im Tiefen schlummerten, und es entwickelt sich eine erschreckende Dynamik. Aus einem funktionierenden Zusammenleben entsteht in Windeseile ein Gefühl von „wir“ und „die anderen“.
Daneben gibt es noch ein anderes Thema, dem man länger wenig Beachtung schenkt und das ich hier auch nicht genauer benennen möchte, aber es führt am Ende zu einigen interessanten Wendungen und Aha-Erlebnissen. Ein Reread dieses Romans wäre vermutlich sehr lohnenswert, weil mir beim zweiten Mal wohl einige Aspekte auffallen würden, die mir beim ersten Mal Lesen entgangen sind.
Ein sehr fesselnder und auch beklemmender Roman, den ich wärmstens weiterempfehlen kann.
„Doch dann passiert ein Anschlag auf eine Synagoge und das Gefühl der Sicherheit ist wie weggeblasen. “
Diese Inhaltsangabe zu lesen, nachdem ich gerade die Nachrichten aus Texas über die Geiselnahme in einer Synagoge mitbekommen habe, ist … erschreckend verstörend. Grundsätzlich klingt es, als wäre es eine faszinierend Ausgangslage für einen Thriller, gerade weil es so verständlich ist, dass mit der Suche nach Wegen sich selber zu schützen auch eine gewisse Radikalisierung einhergehen kann, aber ich weiß nicht, ob das ein Roman wäre, der mich gerade reizen könnte, obwohl ich gerade ein bisschen auf der Suche nach etwas Abwechslung beim Lesen bin.
Ich musste auch an das Buch denken, als ich die Nachrichten gelesen habe. Ich habe den Roman ja schon letzten September gelesen und die Rezension im Dezember geschrieben, das war also jetzt auch ein verstörendes Zusammentreffen mit dem Veröffentlichen der Rezi.
Im Hinblick auf das Genre sollte ich nochmal erwähnen, dass es kein Thriller ist. Es geht vor allem um die Figuren und darum, wie sie sowie ihre Umgebung mit all dem umgehen.
Ah, dann hatte ich das mit dem Thriller falsch verstanden! Und ja, das Timing war wirklich erschreckend passend …