Phantastisch Rezensionen Science Fiction

Félix J. Palma – Die Landkarte der Zeit

Genre: Science Fiction, Phantastik
Verlag: Argon
ISBN: 978-3839810576
Dauer: 10 h 39 min (gekürzte Lesung)
gelesen von: Andreas Fröhlich
meine Bewertung: 4 von 5 Sternchen

London Ende des 19. Jh.s: Andrew möchte in die Vergangenheit reisen, um seine Geliebte vor Jack the Ripper zu retten. Claire möchte in die Zukunft reisen, um den Zwängen ihrer Zeit zu entfliehen. Inspektor Garrett untersucht Morde, die mit einer Waffe verübt wurden, die es noch nicht gibt. Alle diese Handlungsstränge laufen zusammen bei „Zeitreisen Murray“, das einen Blick ins London des Jahres 2000 verspricht – und bei H. G. Wells, dessen Roman „Die Zeitmaschine“ vor kurzem erschienen ist.

Es ist schwer, diesen Roman zu beschreiben ohne zu viel zu verraten. Das besondere daran ist, dass vieles nicht so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. In einigen Rezensionen habe ich den Vorwurf gelesen, der Autor hielte einen wohl für dumm, da man vieles früher durchschaue als die Figuren. Aber gerade das ist so reizvoll an dem Roman. Dass man manches bereits früh ahnt und dann im Wissen den Figuren voraus ist, ist zweifellos bewusst so gestaltet und macht einen großen Teil des Lesevergnügens aus.

Eine weitere Besonderheit ist die Erzählperspektive, da man es hier mit einem auktorialen Erzähler zu tun hat, der oft die Leser direkt anspricht, Handlungen der Figuren kommentiert und Verknüpfungen herstellt. Ich finde, dass diese Perspektive perfekt zu dem Roman passt, zumal der ironische Unterton dadurch noch verstärkt wird. Das führt dazu, dass man auch die Figuren eher aus der Distanz betrachtet – und weniger in sie eintaucht als sie vielmehr mit einer gewissen Belustigung beobachtet.

Der Roman ist also auf mehreren Ebenen vor allem ironisch und nimmt sich selbst nur selten ernst. Er bezieht sich augenzwinkernd auf frühe Werke der Science Fiction und nimmt diese ebenso wie die Thematik der Zeitreise auf die Schippe.

So gut mir „Die Landkarte der Zeit“ auch gefallen hat, es gibt doch ein paar Kritikpunkte:
Zum Einen hätte ich mir bei den beiden Liebesgeschichten, die der Roman enthält, mehr Sarkasmus und ein Brechen mit den Erwartungen gewünscht. Sie sind etwas kitschig überzeichnet, stellenweise aber doch so ernsthaft und rosarot romantisch dargestellt, dass sie teilweise wie ein Fremdkörper in dem sonst so leichten Erzählton wirken.
Es gibt stellenweise die eine oder andere Länge, vor allem im 3. Teil, als etwas in aller Ausführlichkeit erklärt wird, das man sich als Leser so bereits längst zusammengereimt hat. Palma verpackt das in eine Erklärung an eine Figur, für die diese Informationen noch neu sind, aber dennoch zieht sich diese Stelle ein wenig.
Und schließlich gab es zum Ende hin einen Wendepunkt, der mir nicht so gut gefallen hat. Das ist nun wirklich reine Geschmacksache, aber ich hätte mir gewünscht, dass der Autor auf diese zusätzliche Ebene verzichtet hätte. Allerdings werden dadurch noch weitere Verknüpfungen zwischen den Handlungssträngen hergestellt und die letzten losen Fäden verbunden, wodurch diese Ebene sich dennoch gut einfügt. Und das tatsächliche Ende hat mir dann auch wieder sehr gut gefallen.

„Die Landkarte der Zeit“ ist ein origineller Roman, der einige Überraschungen zu bieten hat und in dem vieles nicht so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Sprachlich liest er sich ausgesprochen gut und wenn man von ein paar kleinen Schönheitsfehlern absieht, hatte ich einen ungemeinen Spaß mit diesem ungewöhnlichen Werk.

Zur Hörbuchfassung ist noch zu sagen, dass es wirklich ein Genuss ist, der Lesung von Andreas Fröhlich zu lauschen. Ich hatte nie das Gefühl, als wäre irgendwo stark gekürzt worden oder als würden mir irgendwelche Feinheiten der Handlung fehlen. Daher kann ich das Hörbuch hier trotz der gekürzten Fassung uneingeschränkt empfehlen.

Noch eine Information am Rande: Offensichtlich handelt es sich bei dem Roman um den 1. Teil einer locker verknüpften Trilogie, deren 2. Teil „Die Landkarte des Himmels“ im Herbst 2012 erscheinen wird. Darin werden das All und eine Invasion der Marsmenschen thematisiert (womit Palma sich einem weiteren beliebten Motiv der Science Fiction-Literatur annimmt). „Die Landkarte der Zeit“ ist aber völlig in sich geschlossen und lässt auch keine offenen Fäden zurück.

7 thoughts on “Félix J. Palma – Die Landkarte der Zeit

  1. Ich bin schon ein paar Mal um das Buch herumgeschlichen, konnte mich aber nie wirklich für einen Kauf entscheiden. Deine Bemerkungen in Bezug auf die Liebesgeschichten bestätigen meine Entscheidung, ich bin in der Hinsicht etwas eigen. Leider gibt's das Hörbuch nicht bei Audible, da würde ich vermutlich eher zuschlagen 😉

  2. Hach, das Buch fristet seit Monaten ein noch in Folie eingeschweißtes Dasein in meinem Regal. Ich wollte das Buch unbedingt haben, dann HATTE ich es und nun… ist es wie gesagt noch nicht mal aus der Folie ausgepackt. Aber was du geschrieben hast, klingt ziemlich gut. Wenn sich bei mir nicht schon die Bücher stapeln würden, die als nächstes dran sein sollen… :/

  3. Also ich finde, dass es sich auf alle Fälle lohnt, das Buch zu lesen. Das mit dem Stapeln kann ich aber leider nachvollziehen …

    Ob die Liebesgeschichten jetzt so präsent sind, dass sie als Abschreckung reichen … Ich denke eigentlich nicht. 😉

  4. Um das Buch schleiche in der Buchhandlung immer drum herum, da ich das Cover gerne mag (wie das so ist als bibliophiles Leserlein hat man ja so seine Spleens und im Moment sind das bei mir beige-braune Cover ^^). Die Rezensionen dazu sind jedoch so unterschiedlich, deswegen ist es gut mal eine Rezi von jemandem zu lesen, dessen Meinung man nicht nur schätzt, sondern auch gut einschätzen kann.Da ich Zeitreisegeschichten auch gerne mag, werde ich das Buch nun doch mal endlich auf meine WuLi setzen. Deine Rezi macht mir Lust darauf es zu lesen. Die Idee für den zweiten Teil schreckt mcih etwas ab, aber ist ja nicht schlimm, da der erste Teil ja in sich abgeschlossen ist.

    LG Nanni

    1. Dann hoff ich ja sehr, dass dir das Buch auch gefällt. Der 1. Teil ist auf alle Fälle komplett abgeschlossen, also braucht der 2. Teil dich wirklich nicht abzuschrecken.
      Das einzige ist … hm, wie sag ich das jetzt ohne zu spoilern, also: Zeitreisen werden hier etwas anders behandelt als sonst. Das nur als Vorwarnung. 😉

      LG Neyasha

  5. Übrigens höre ich gerade "Das Lächeln der Frauen" und das wird unter anderem auch von Andreas Fröhlich gelesen. Wie du schon sagst: Ein Genuss.
    Na dann lass ich mich mal überraschen 😉

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