
erschienen bei Diogenes
ungekürzt gelesen von Johann von Bülow
Die Bibliothekarin Kaitlyn Day nimmt zusammen mit neun anderen Personen am Betatest von „Fusion“, einem Projekt des Social-Media-Moguls Cy Baxter und der CIA teil. Wer es schafft für 30 Tage unauffindbar zu bleiben, erhält als Belohnung 3 Millionen Dollar. Ein lukratives Ziel, doch Baxters Überwachungsmethoden zu entkommen, stellt sich für alle als schwieriger heraus als gedacht. Und für Kaitlyn geht es um mehr als nur Geld.
Wie gläsern sind wir bereits? Spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen wurde ein Ausmaß an Überwachung unter dem Deckmantel der Sicherheit bekannt, wie man es kaum für möglich gehalten hätte. Der neuseeländische Autor Anthony McCarten setzt dem noch eins drauf und entwirft mit „Worldshare“ ein Unternehmen von dystopischen Ausmaßen. Kopf des ganzen ist Cy Baxter, ein Nerd und Außenseiter, der einen beispiellosen Aufstieg hingelegt hat. Mit dem Projekt „Going Zero“ möchte er die CIA von seinem Überwachungsdienst Fusion überzeugen. Alles natürlich im Dienste der nationalen Sicherheit – Fusion soll der Prävention von Verbrechen und dem Aufspüren von Kriminellen dienen. Zehn Personen (Zero 1 bis Zero 10) versuchen bei dem Projekt für einen Monat unterzutauchen, ohne dabei von Worldshare aufgespürt zu werden. Dabei bedienen sie sich unterschiedlichster Strategien, aber es wird schnell klar, wie schwer es ist sich der digitalen Überwachung zu entziehen. Selbst wer auf alle digitalen Geräte verzichtet, kann noch immer über Bekannte, Verwandte oder Überwachsungskameras aufgespürt werden. Denn Worldshare und sein vielköpfiges Team können vom typischen Gehmuster eines Menschen bis hin zu Einkaufsvorlieben alles analysieren und die kleinste Unachtsamkeit führt dazu, dass ein weiterer Zero auffliegt. Ich fand es spannend zu lesen, wie die einzelnen Testpersonen versuchen unter dem Radar zu bleiben und welche kleinen Fehler sie dann teilweise doch verraten.
Da unter den Zeros auch IT-Profis sind, die es verstehen ihre Spuren zu verwischen, kann Cy Baxter es kaum fassen, dass ausgerechnet eine junge Bibliothekarin sich als die härteste Nuss herausstellt. Aber Kaitlyn treibt eine Mission an, die erst spät in der Handlung klar wird. Bis dahin kommt es zu einigen interessanten Wendungen, die ich so nicht erwartet hätte, auch wenn sich für mich zu Beginn schon einige Irritationen ergeben haben. Zu dem Zeitpunkt hielt ich sie noch für Schlampigkeitsfehler, ehe mir klar wurde, dass damit bereits frühe Spuren gelegt wurden.
Neben dem Plot bleiben die Figuren ein bisschen auf der Strecke und erhalten nicht sehr viel Tiefe, was aber durchaus genretypisch ist. Cy Baxter ist ohne Zweifel an Elon Musk und Mark Zuckerberg angelehnt und mag beim Entstehen des Romans noch als Überzeichnung gedacht gewesen sein, wurde mittlerweile aber von der Realität eingeholt. Jegliche Zweifel, ob Baxters Einfluss zu groß ist oder er sich zuviel erlauben kann, können wohl mit Musks Regierungsbeteiligung ad acta gelegt werden. Gerade das macht das im Buch dargestellte Gefahrenpotential des gläsernen Menschen umso erschreckender. McCarten spricht die zentralen Themen rund um Überwachung und Privatsphäre sehr kritisch an und malt dabei auch ein ziemlich pessimistisches Bild einer möglicherweise schon nicht mehr so fernen Zukunft.
„Going Zero“ ist ein rasanter Thriller mit einem hochaktuellen Thema, der sich schnell liest und dabei auch zum Nachdenken anregt. McCarten gibt ein paar Hoffnungsschimmer mit auf den Weg, aber am Ende blieb bei mir doch ein recht unbehagliches Gefühl zurück.
Ich habe das Buch dazu vor etlicher Zeit gelesen und war ebenfalls recht erschrocken. Man weiß es irgendwie, aber es mal so kompakt geliefert zu bekommen, ist noch mal eine andere Nummer. Habe das Buch oft ausgeliehen, weil sich die meisten Menschen dann doch nicht der tragweite bewusst sind. Schade, denn man muss keine SF mögen, um sich auszurechnen, wohin das alles führen könnte.
Ich empfehle gern rundherum „Citizenfour“, den Dokumentarfilm über Snowden, den ich sehr schockierend und hochinteressant fand. Aber seither hat sich natürlich vieles gewandelt und McCarten schafft es mMn sehr gut den Kern von Social Media einzufangen sowie die Gefahren, die damit verbunden sind und auch speziell damit, wenn man einem Menschen (oder einer Gruppe von Menschen) eine solche Macht in die Hand gibt. Wirklich ein sehr wachrüttelndes Buch.