Genre: Erzählung
Seiten: 336
Verlag: Deuticke
ISBN: 978-3552062719
Meine Bewertung: 5 von 5 Sternchen
Gerold Plasser lebt und schreibt als Journalist bei einer Gratiszeitung so vor sich hin. Dass sein 14jähriger Sohn, von dem er bislang nichts wusste, nun jeden Nachmittag für ein paar Stunden bei ihm im Büro sitzt, irritiert ihn zwar, kann ihn aber nicht wirklich aus seiner Lethargie reißen. Dann geht bei einer Obdachlosenschlafstätte eine große Geldspende ein, zusammen mit einem kurzen Artikel von Gerold, in dem er von den finanziellen Schwierigkeiten der Einrichtung berichtete. Und das ist erst der Beginn einer Serie von anonymen Spenden, die Gerold nicht nur ins Blickfeld der Öffentlichkeit richten, sondern auch sein Leben ordentlich auf den Kopf stellen.
„Geschenkt“ ist wie eine kuschelige Decke, in die man sich im Winter einhüllt, wie eine Tasse Tee, die einen von innen heraus wärmt. Ich habe schon lange keinen Roman mehr gelesen, der mich einfach nur glücklich gemacht hat, der so ganz und gar an das Gute im Menschen glaubt. Und das schöne daran ist, dass es nicht nur naives Wunschdenken ist, sondern tatsächlich geschehen ist: Das sogenannte Wunder von Braunschweig hat Glattauer zu seinem neuen Buch inspiriert.
Dass der Roman dennoch keine kitschige Zuckerwelt ist, ist zum Einen Glattauers wunderbar ironischem Schreibstil zu verdanken und zum Anderen seinem etwas untypischen Helden. Gerold ist wohl der Inbegriff einer „Is ma wurscht“-Einstellung und bewegt sich noch dazu scharf an der Grenze zum Alkoholismus (sofern er diese nicht schon überschritten hat). Nun gelingt dem Autor aber das Kunststück, dass Gerold dennoch sehr sympathisch rüberkommt. Auch wenn man ihn anfangs manchmal schütteln möchte, kann man ihm doch nicht böse sein, weil er nicht nur ein wahnsinnig gutmütiger Kerl ist, sondern auch gänzlich uneitel, wie auch seine spätere Flamme feststellt.
Und natürlich wächst Gerold im Laufe des Romans über sich selbst hinaus – ebenso wie sein Sohn Manuel, in dem deutlich mehr steckt als man anfangs vermutet. Wie Gerold es endlich schafft, seinen Hintern hochzubekommen und auch endlich so etwas wie Wertschätzung erfährt, ist neben der wunderbaren Spendenserie ein weiterer Grund, weshalb der Roman so ein unglaublich schönes Gefühl vermittelt. Auch die Beziehung zu Manuel ändert sich im Laufe der Handlung und wird wirklich herzerwärmend geschildert.
Dass Gerold nicht etwa eine 180°-Wendung bis zum Ende hinlegt, sondern weiterhin gegen sich selbst kämpfen muss, erdet dabei aber den Roman und verhindert auch, dass einem die Charakterentwicklung unrealistisch vorkommt.
Es gibt aber doch zwei Punkte, die mich an dem Roman gestört haben: Die Situation, dass Manuel, Gerolds Sohn, täglich bei ihm im Büro sitzt, weil seine Mutter für ein halbes Jahr als Ärztin in Afrika arbeitet und die Tante, bei der er wohnt, am Nachmittag keine Zeit hat, kommt mir extrem konstruiert vor. Welcher Vierzehnjährige kann denn bitte nicht für 2-3 Stunden am Nachmittag alleine bleiben? Das ist für mich extrem unglaubwürdig – umso mehr, weil Manuel zwar gegen die Situation an sich aufbegehrt, aber kein einziges Mal ins Feld führt, dass er zu alt ist für einen „Babysitter“. Mal davon abgesehen, dass man in dem Alter üblicherweise ohnehin mindestens zwei Nachmittage in der Woche in der Schule verbringt.
Das zweite, was mir nicht so gefallen hat, ist die Liebesgeschichte, die für mich wie ein Fremdkörper wirkt, wie etwas, das eben noch rein musste. Ich halte sie für überflüssig und auch sehr beliebig, da man zwischen den beiden überhaupt keine echten Gefühle spürt.
Diese zwei Kritikpunkte haben mir die Bewertung sehr schwer gemacht, aber da für mich bei dem Roman sonst alles so stimmt, bekommt er von mir dennoch 5 Sterne. Es kommt nur selten vor, dass mich ein Buch so fesselt und so berührt und für mich ist „Geschenkt“ einfach eins meiner Lesehighlights in diesem Jahr.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass ich die Auflösung sehr schön und stimmig fand. Man kann darüber diskutieren, ob es überhaupt zu einer solchen kommt oder das Ende eher offen bleibt, aber für mich war es schon sehr eindeutig – und das genialste ist, dass die Lösung einem eigentlich schon am Anfang vorweggenommen wird, man es aber zu dem Zeitpunkt nicht mitbekommt.
Daher: Unbedingt lesen!
Jaaaa *__*
Ich hatte ja gar keine Kritikpunkte nach dem Lesen weil ich einfach noch so in einem Rausch war. Und auch jetzt würde ich sagen, dass mich nichts gestört hat. Trotzdem stimme ich dir bei deinen Kritikpunkten zu, gerade bei dem letzten.
Ohne großartig zu spoiler habe ich nämlich auch immer noch gedacht, dass es doch noch eine andere Person wird, mit der er am Ende zusammenkommt; die sehr viel bodenständigere. Weißt du auch so, wen ich meine?
Liebe Grüße 🙂
Ich denke, ich weiß, wen du meinst. Überhaupt hatte ich einfach die ganze Zeit das Gefühl, dass das mit der Zahnärztin (ich hab mir noch nicht mal ihren Namen gemerkt, das ist ja schlimm) eher Schein als Sein ist und Glattauer diese Liebesgeschichte noch vor dem Ende des Buches beenden würde.
Nun ja, da war ich auf dem falschen Dampfer – aber es spricht auch wirklich nicht für die Liebesgeschichte, wenn man beim Lesen so ein Gefühl hat. 😉