Lesegeplauder

Schullektüre – von Freud und Leid, Begeisterung und Qual

In Schreiberlings Schatztruhe habe ich eine ganz tolle Idee entdeckt: eine Auflistung der Schullektüre nebst einem kleinen Leseeindruck zu jedem Buch.
Ich habe daraufhin sofort begonnen, auch eine solche Liste zu erstellen. Da die Schulzeit bei mir nun schon etwas *hust* länger her ist, war das nicht mehr ganz so einfach. An die meisten Bücher kann ich mich zwar noch erinnern, aber ich bin mir nicht sicher, ob mir nicht gerade aus der Unterstufe noch welche fehlen.
LEKTÜRE IM DEUTSCHUNTERRICHT
Maikäfer flieg! v. Christine Nöstlinger
Dieses und das nächste Buch waren Teil des Schwerpunkt-Themas „2. Weltkrieg“ und die erste Schullektüre, an die ich mich erinnern kann. Nöstlingers Roman ist eine ganz wundervolle autobiografische Erzählung über das Ende des 2. Weltkriegs und die Nachkriegszeit, die spannend, lustig, traurig und nachdenklich machend ist. Ich habe das Buch unzählige Male gelesen!
Zehn Tage im Winter v. Rosmarie Thüminger
Gegend Ende des Krieges versteckt Marias Familie einen russischen Kriegsgefangenen auf dem Dachboden. Und Maria, die in der Schule gelernt hat, dass Russen feige und hinterhältig sind, weiß auf einmal nicht mehr, was sie noch glauben soll. Dieser Roman ist mir weniger im Gedächtnis geblieben als jener von Nöstlinger, aber ich weiß noch, dass er sehr interessante Fragen über Toleranz, Zivilcourage und Freundschaft behandelt. Vielleicht sollte ich den mal wieder hervorkramen.
Krabat v. Otfried Preußler
Später wurde das eins meiner Lieblingsbücher, aber in der 1. Klasse Gymnasium hat die Teufelsmühle mir Albträume beschert! Ich habe den Roman dennoch verschlungen, aber er war mir in dem Alter definitiv noch zu früh – nicht vom Stil her, sondern einfach, weil ich immer schon ein Angsthase war und mich die ganze Thematik damals wirklich in Angst und Schrecken versetzt hat.
Meine schöne Schwester v. Brigitte Blobel
Hier muss eine Lücke sein. Ich weiß, dass Krabat in der 1. Klasse dran war, „Meine schöne Schwester“ aber erst in der 3. Keine Ahnung, was es dazwischen noch gab. Dieser Roman war für mich auf alle Fälle ein Jugendbuch der abschreckenden Sorte. Blobel behandelt darin Magersucht so dermaßen klischeehaft, oberflächlich, verharmlosend und unrealistisch, dass ich mich noch jetzt drüber aufregen könnte. Von den absolut platten Figuren und dem kitschigen Ende ganz zu schweigen …
Dürre Jahre v. Helene Flöss
Dasselbe Thema, aber ganz anders umgesetzt. Ich kann mich noch erinnern, dass mir der Roman stilistisch damals ein wenig zu schwer zugänglich war. Der Schreibstil ist sperrig und karg, die Protagonistin ganz in ihrer Sicht und ihrer Krankheit gefangen. Ein ziemlich interessantes Buch, rückblickend betrachtet – schade nur, dass es mich damals ein wenig überfordert hat.
Hexenfeuer v. Isolde Heyne
Hexenverbrennungen waren damals ein fachübergreifendes Thema (Religion, Deutsch, Geschichte) und im Zuge dessen haben wir diesen Roman gelesen. Ich habe ihn in Erinnerung als sehr spannenden historischen Jugendroman über eine kräuterkundige junge Frau, die der Hexerei angeklagt wird, weil sie ihrer herrischen Ziehschwester mit einem Liebeszauber behilflich ist. Ich vermute fast, dass ich den Roman inzwischen sehr klischeehaft und die Figuren allzu schwarz-weiß finden würde, aber damals hat er mir gut gefallen.
Das Tagebuch der Anne Frank
Nocheinmal Thema 2. Weltkrieg mit einem der wohl bekanntesten literarischen Zeugnisse dieser Zeit. Als wir es in der Schule lesen mussten, kannte ich es bereits, da wir das Buch von meinen älteren Geschwistern schon zuhause hatten, daher habe ich es nie wirklich als „Schullektüre“ betrachtet. Für mich eins dieser Bücher, das man wirklich gelesen haben sollte. Unabhängig von der ganzen Diskussion, wieviel denn nun später verändert wurde, ist und bleibt es ein sehr bewegendes Zeugnis dieser Zeit aus der Sicht eines jungen Mädchens, das mit einemmal aus seinem vertrauten Leben gerissen wird.
Jugend ohne Gott v. Ödön von Horváth
Ist mir leider kaum noch in Erinnerung, daher kann er mich nicht sehr beeindruckt haben. Vielleicht würde sich auch da ein neuer (erwachsener) Blick lohnen.
Unterm Rad v. Hermann Hesse
Damit konnte ich gar nichts anfangen. Ich weiß nicht einmal mehr, weshalb nicht, aber die Lektüre hat zu einer bis jetzt anhaltenden Hesse-Skepsis bei mir geführt.
Andorra v. Max Frisch
Beeindruckendes Theaterstück über Rassismus, Antisemitismus und Wegschau-Mentalität. Wenn ich daran zurückdenke, überkommt mich ein äußerst beklommenes Gefühl, die Lektüre muss also sehr intensiv gewesen sein. Und sie hatte den umgekehrten Effekt wie bei Hesse: Es war der Beginn einer bis jetzt anhaltenden Frisch-Begeisterung.
Brigitta v. Adalbert Stifter
Ogott. Ogottogott. Das Buch fand ich so unglaublich langweilig und seltsam, dass es wohl eine meiner „Hasslektüren“ der Schule gewesen sein muss. Ich habe übrigens keine Ahnung mehr, worum es ging, außer um eine Frau namens Brigitta.
Meier Helmbrecht v. Wernher der Gärtner
Unser kurzer Ausflug in die mittelhochdeutsche Literatur (neben Auszügen des Nibelungenliedes und Minnedichtung). Ich mochte die Versnovelle so wenig, dass es eigentlich überraschend ist, dass ich Ältere deutsche Literatur später im Studium zu meinem Schwerpunkt gemacht habe. Hing vielleicht mit meiner Nibelungen-Faszination zusammen. 😉
Nathan der Weise v. Gotthold Ephraim Lessing 
Ein Stück, das mich sehr fasziniert hat. Ich denke, dass mich in erster Linie der Gedanke der religiösen Toleranz darin sehr angesprochen hat.
Kabale und Liebe v. Friedrich Schiller
Oje. Ich habe im selben Schuljahr ein Referat über Schiller gehalten und fand ihn als Persönlichkeit enorm faszinierend (auch heute noch), aber ganz ehrlich: Mit seinen Stücken konnte und kann ich nichts anfangen.
Faust I v. Johann Wolfgang von Goethe
Sehr beeindruckend, wie die meisten Theaterstücke von Goethe. Ich kann mich erinnern, dass Faust allgemein sehr gut angekommen ist in meiner Klasse, was vielleicht auch daran lag, dass wir uns sehr intensiv damit auseinandergesetzt haben. Im Studium war das Drama dann Anschauungsojekt für rhetorische Stilmittel – denn darin findet man von Antitheton über Klimax bis Zeugma so ziemlich alles, was es so gibt. Faszinierend.
Ein Kind v. Thomas Bernhard
Der Atem v. Thomas Bernhard
Zwei seiner autobiografischen Romane, die wir im Zuge eines Bernhard-Schwerpunktes gelesen haben. Ich erinnere mich an endlos lange Sätze, eine total deprimierende Stimmung (trotz Ironie) und Hasstiraden. Sonst ist Bernhard in meiner Klasse sehr gut angekommen, aber ich konnte mich erst im Studium dank „Heldenplatz“ mit ihm aussöhnen.
Der Sandmann v. Hugo von Hofmannsthal
Eine schaurige Erzählung, die ich nicht nur gruselig sondern auch äußerst skurril fand. Ich würde nicht behaupten, dass sie mir nicht gefallen hat, aber ich fand die Lektüre ziemlich irritierend.  
Woyzeck v. Georg Büchner
Ach du liebe Zeit. Wir haben in der Schule das Stück gelesen und eine Verfilmung mit Klaus Kinski gesehen, ich kenne eine Theateraufführung und die sehr interessante Inszenierung „Woyzeck and the Tiger Lillies“. Aber es hilft alles nichts: Ich mag das Stück einfach nicht.
Die Wand v. Marlen Haushofer
Wow! Das war ohne Zweifel meine Lieblingslektüre der gesamten Schulzeit. Ich habe das Buch an einem Nachmittag verschlungen und war so darin gefangen, dass ich mich zwischendurch mal vergewissern musste, ob draußen eh noch Autos unterwegs waren. Großartig war auch die filmische Umsetzung, die man voriges Jahr im Kino bewundern konnte. 
Homo faber v. Max Frisch
Und gleich noch ein Roman, den ich sehr gern gelesen habe. Ich mag einfach den Schreibstil von Max Frisch sehr gern und fand „Homo faber“ auch sonst äußerst interessant.
Bahnwärter Thiel v. Gerhart Hauptmann
Uäh, Dingsymbol. Das ist eine der ersten Assoziationen, die mir mit der Novelle kommen – und die Erinnerung, dass ich mit dem Naturalismus in der Literatur schon damals nichts anfangen konnte (mit Ausnahme von Ibsen).
Mutter Courage und ihre Kinder v. Bertolt Brecht
Anders als zu Hauptmann habe ich zu Brecht eher positive Assoziationen. Das hier war das erste seiner Theaterstücke, das ich gelesen habe, und es hat mir durchaus Appetit auf mehr gemacht.
Die Traumnovelle v. Arthur Schnitzler
Ich liebe dieses Buch! Man wird in die surreale Welt voller Träume, unterdrückter Wünsche und erotischer Fantasien unweigerlich hineingezogen. Und wie immer bei Schnitzler gibt es ein sehr interessantes Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren. Eine Erzählung, die ich mittlerweile auch schon oft gelesen habe (während ich jede Erinnerung an den fürchterlichen Film zu verdrängen versuche). 
Die Verwandlung v. Franz Kafka
Diese Erzählung fand ich in erster Linie seltsam, aber mit dem Wort kann man wohl das gesamte Werk von Kafka beschreibend. Seltsam, verstörend und doch auch faszinierend.
Brief an den Vater v. Franz Kafka
Ich muss zugeben, dass ich mich an dieses Werk kaum noch erinnern kann, obwohl wir es erst sehr spät in der Oberstufe gelesen haben. Insgesamt fand ich aber den ganzen Vater-Sohn-Konflikt ziemlich ermüdend.
Die Züchtigung v. Anna Mitgutsch
Vera kennt von ihrer Mutter nur Schläge und bemüht sich, ihre eigene Tochter ohne Gewalt zu erziehen – versagt aber als Mutter ebenfalls kläglich, wenn auch auf andere Weise. Ein erschütternder Roman, der sehr nüchtern geschrieben ist. Ich habe ihn später noch ein- oder zweimal gelesen, auch wenn ich ihn als sehr deprimierend in Erinnerung habe.
Sara und Simon v. Erich Hackl
Zugegeben, dieser Roman und ich hatten keinen guten Start. Wir hatten damals die Möglichkeit, selbst Lektürevorschläge einzubringen und der von mir sowie einer Klassenkameradin vorgeschlagene „Opernball“ von Josef Haslinger, ein enorm faszinierender und spannender Roman, wurde von den tonangebenden der Klasse nur wegen seiner Länge abgeschmettert. Nicht, weil sie der Inhalt nicht interessiert hätte, nein, nur wegen der Länge. Und „gewonnen“ hat dann der Vorschlag unserer Lehrerin, weil es das kürzeste Buch war.
Ich weiß nicht, ob mich dieser Roman über eine Mutter, die in der Zeit der argentinischen Militärdiktatur ihr Kind zur Adoption freigibt und sich später auf die Suche nach ihm macht, mehr interessiert hätte, wenn mich die Diskussion im Vorfeld nicht so frustriert hätte. Aber mit der Einstellung „Egal, worum es in dem Buch geht, hauptsache es ist kurz, da Lesen sowieso eine Qual ist“ konnte und kann ich einfach nichts anfangen.
Die Liebhaberinnen v. Elfriede Jelinek
Dieses Buch ist in unserer Klasse erstaunlich gut angekommen (klar, es ist ja auch recht kurz …), aber ich selbst konnte nicht viel damit anfangen. „Die Klavierspielerin“ hat mir um Längen besser gefallen.
Unsere Lehrerin hätte übrigens eigentlich „Gier“ geplant, das ihr aber die Buchhändlerin bei der Bestellung der Bücher erfolgreich ausgeredet hat („Meine Güte, dieses Buch können Sie doch nicht mit Schülerinnen lesen!“) – zum Glück, wie ich rückblickend sagen muss. Denn der Roman ist sehr, sehr harter Tobak.
Ja, das wars soweit. Da ich mal wieder fürchterlich ins Schwafeln gekommen bin, ist dieser Beitrag „etwas“ länger geworden als geplant. Daher hänge ich nun auch nicht, wie eigentlich gedacht, die englische Lektüre an. Die wäre zwar eh sehr kurz (wir haben leider im Englischunterricht wenig gelesen und Klassiker gar nicht), aber es würde jetzt doch den Rahmen sprengen. Vielleicht mache ich dazu mal einen eigenen (dann deutlich kürzeren) Beitrag.

7 thoughts on “Schullektüre – von Freud und Leid, Begeisterung und Qual

  1. Ui, spannendes Thema!
    Ich habe an meine teilweise nur noch vage Erinnerungen, und ich fürchte, ich würde auch beileibe nicht mal alle Titel zusammenkriegen. Hm, vielleicht versuch ich das nachher trotzdem mal …

  2. Wow, hast du ein gutes Gedächtnis! Aber du hast keinen Shakespeare gelesen in der Schule? Oh je.
    Ich finde es schade, dass Schullektüre generell eher negative Assoziationen hervorruft, dass manche Bücher gar für immer den Stempel der "Schullektüre" (und damit "Zwang", "Hochkultur", "anstrengend", "langweilig" etc.) tragen, v.a. Goethe und Schiller. Dabei ist das für viele wahrscheinlich die einzige Zeit im Leben, in der sie sich intensiv mit Büchern auseinandersetzen können und die eigenen Vorlieben entdecken. Eigentlich müsste da doch auch für jeden was dabei sein, so viel wie man im Lauf der 9 bis 13 Jahre liest. Aber na ja, so sind die Leute halt.

  3. Liebe Neyasha

    Ich weiss nicht, ob es an meinem Gedächtnis liegt, oder dass wir generell weniger Bücher in der Schule gelesen habe.
    Ich erinnere mich an die 6. Klasse, als wir ein Buch vorstellen mussten, dass wir selber aussuchen durften. In der Oberstufe hatten wir zwar gemeinsam gelesen. Da ich jedoch immer schneller war als die anderen und immer den Anschluss verpasst hatte, weil ich wieder zurückblättern musste, wenn ich vorlesen musste… und die Bücher immer zuhause freiwillig fertig las. So habe ich die Schullektüre nie schlecht in Erinnerung.

    Zehn Tage im Winter v. Rosmarie Thüminger
    Das Buch muss ich mir mal besorgen. Es erinnert mich von der Inhaltsangabe an eines, dass ich mehrmals gelesen habe oder zumindest sehr beeindruckt hat als Kind.

    Was die Bücher von der Magersucht betrifft. "Wintermädchen" von Laurie Halse Andresen habe ich letzten Sommer gelesen und war schwer beeindruckt. Mir war, als könne die Autorin die ganze Thematik so rüberbringen, wie es wirklich sein könnte.

    Schönen Sonntag wünsch ich.

  4. Das ist eine gute Idee; ich schätze, so eine Liste muß ich für mich auch mal machen… Zwar habe ich gerade aus den frühen Schuljahren viel vergessen, aber ich besitze noch einige Hefter als Gedankenstütze.
    "Kabale und Liebe" ist bei mir übrigens auch durchgefallen. Und ich nehme meinen Lehrern immer noch übel, daß wir keinen einzigen Dürrenmatt gelesen haben, den ich also erst später selbst entdecken mußte.

  5. Hey,

    ich google grad durch die Gegend (Klassentreffen) und bin auf deinem Blog hängen geblieben (ich muss unbedingt wandern gehen in Wien, voll cool ;)) und weißt, was ich arg find? Dass ich a paar dieser Bücher ned gelesen habe/zu Hause habe, aber ich habe immer alle gelesen, außer "Der Atem" von Bernhard, weil mich das fertig gemacht hat…

    Gar nimma erinnern kann ich mich an "Hexenfeuer" und "Meine schöne Schwester", "Sara und Simon"… "Brigitta" sagt ma auch gar nix… is mir das volle Rätsel!
    "Krabat" hab ich übrigens auch total arg in Erinnerung, auch der Einband hat sich in mein Hirn eingebrannt…

    Ich hab übrigens einige Bücher wieder gelesen von damals, "Die Verwandlung" lese ich jedes Jahr, "Die Liebhaberinnen" hab ich auch oft gelesen, "Traumnovelle" liebe ich, "Dürre Jahre" und "Die Züchtigung" beide noch ein Mal.

    Vlg und bis hoffentlich bald! 🙂

    1. Hallöle! 😉

      Interessant das mit den Büchern und der Erinnerung. "Meine schöne Schwester" ist aber auch echt ein Buch zum Vergessen. 😉 Bei mir fristet das im Keller sein Dasein.
      "Hexenfeuer" hab ich als Jugendliche noch total oft gelesen, dafür kann ich "Dürre Jahre" nirgends mehr finden (erinnern kann ich mich daran aber noch).
      "Brigitta" war ziemlich kurz, ein dünnes Reclam-Heftchen, ich würde es zeitlich ungefähr in der 6. Klasse einordnen, bin mir aber nicht mehr sicher.

      Hoffentlich bis bald, ja, dem kann ich mich nur anschließen!

  6. Dürre Jahre hab ich noch, soll i da das amal mitnehmen? Da weiß ich sogar, in welchem Kastl es liegt!

    Wahrscheinlich hab ich die echt vergessen, is irgendwie arg, aber andererseits hab ich den Platz im Kopf wohl für Wichtigeres gebraucht, als für Bücher, die mir anscheinend eh ned gefallen haben. 🙂

    Lg! 🙂

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