Genre: Gegenwartsliteratur
Seiten: 224
Verlag: rororo
ISBN: 978-3499249624
aus dem Englischen übersetzt von Thomas Piltz
Meine Bewertung: 4,5 von 5 Sternchen
Noch ein Jahr mit Nobelpreisträgern
Delaware im 17. Jahrhundert: Der Farmer Jacob Vaark nimmt eher widerwillig eine junge Sklavin als „Bezahlung“ für Schulden an. Als er überraschend an einer Krankheit stirbt, lässt er neben der Sklavin Florence auch seine Ehefrau Rebekka, eine indianische Dienerin und ein krankes Waisenmädchen zurück, die nun mit einem Mal auf sich alleine gestellt sind.
„Gnade“ ist ein rätselhafter, anspruchsvoller und manches Mal beinahe undurchdringlicher Roman. Er erzählt die Geschichte von Jacob Vaark und den vier Frauen auf seiner Farm aus verschiedenen Perspektiven und springt dabei auch zwischen den Zeitebenen. Manchmal wird nicht sofort klar, aus wessen Sicht das jeweilige Kapitel erzählt wird und an welchem Zeitpunkt man sich befindet. Es ist also große Konzentration beim Lesen gefordert, aber mit der Zeit findet man sich gut hinein. Verschiedene Ereignisse werden dadurch teilweise auch aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt und so fügen sich die Perspektiven alle zu einem harmonischen Ganzen zusammen.
Der Roman thematisiert Sklaverei, Kolonialismus, Ungerechtigkeit, das Verhältnis zwischen Dienern und Herren und auch die schwierige Situation von Frauen, die zur Ehe in die neue Welt verkauft wurden. Er gibt auch einen Einblick in ganz unterschiedliche Frauenschicksale, die sich damals so vielleicht zugetragen haben. Sie haben mit Unterdrückung zu kämpfen, mit Verachtung, religiösen Zwängen, Vergewaltigungen, dem Verlust von Kindern, Krankheit und schließlich auch mit dem entbehrungsreichen Leben auf einer Farm in der damaligen Zeit.
Bei all diesen schwierigen Themen und Lebenswegen betreibt Toni Morrison keine Schwarz-Weiß-Malerei. Man findet in ihrem Roman nicht einfach die „guten“ Unterdrückten auf der einen und die „bösen“ Herren auf der anderen Seite, sondern Menschen mit Stärken und Schwächen. So bringt etwa Jacob Vaark eine gewisse Menschlichkeit in diese ungerechte Gesellschaft, ist aber doch auch weit davon entfernt, ein Heiliger oder Held zu sein. Sogar die Frage, wer „frei“ und wer „versklavt“ ist, findet in dem Roman keine einfache Antwort, wenn etwa ein freier schwarzer Schmied geknechteten Weißen gegenübersteht.
Es fällt mir wahnsinnig schwer, zu dem Roman eine Rezension zu schreiben, weil mir alles, was ich darüber sagen kann, so banal und unbeholfen formuliert vorkommt. Toni Morrison hat mit „Gnade“ ein Buch von einer so unglaublichen sprachlichen und inhaltlichen Wucht geschrieben, dass ich es nur schwer in Worte fassen kann.
Ich hatte stellenweise meine Schwierigkeiten damit, fand es aber trotzdem sehr faszinierend und fesselnd. Besonders gut hat mir auch die historische Komponente daran gefallen, da die Autorin das Leben im 17. Jahrhundert ungemein atmosphärisch schildert. Ich könnte mir vorstellen, den Roman irgendwann noch einmal zu lesen, da er bei einem zweiten Lesen sogar noch dazugewinnen könnte.
Ich kann „Gnade“ allen wärmstens ans Herz legen, die nicht vor sperriger Literatur zurückschrecken. Es handelt sich um einen wirklich beeindruckenden Roman, der ein Stück amerikanischer Geschichte aus der Perspektive von mehreren Figuren erzählt – und ihnen allen dabei eine ganz eigene Erzählstimme gibt. Trotz seiner Kürze ist „Gnade“ ungemein komplex und nicht zum Schnelllesen geeignet, bleibt aber dennoch zugänglich genug, dass er sich flüssig lesen lässt.
Einer der interessantesten Romane, der mir in den letzten Jahren untergekommen ist.
Wow, das klingt toll! Da bekomme ich direkt Lust, mal wieder was von Toni Morrison zu lesen. Nach "Beloved" hatte ich mir das ja eh vorgenommen. Aber da muss ich erst wieder etwas mehr Lesezeit haben, so zwischen Arbeiten und Arbeiten kann ich mir einen Toni-Morrison-Roman nicht vorstellen. 😉
Zwischen Arbeiten und Arbeiten ist der Roman wirklich nicht so gut geeignet. Ich musste auch wegen Dienststress öfter mal etwas länger pausieren und fand es dann jedes Mal schwierig, wieder reinzukommen.
Als ich deine Rezension las, hat bei mir irgendwas geklingelt….das muss ich vor sehr langer Zeit schonmal gelesen haben. Auf jeden Fall ist Toni Morrison sofort auf meiner to-do-Liste für die Challenge gelandet, da gibt es ja noch viel mehr zu entdecken. Danke für die Anregung!
Ja, von Toni Morrison gibt es einige Romane, die sehr interessant klingen. Ich wollte eigentlich "Menschenkind" lesen, ehe es dann doch "Gnade" wurde.