Der 15jährige Ned Morriner reist mit seinem Vater, einem erfolgreichen Fotografen, in die Provence. In einer Kathedrale lernt Ned die gleichaltrige Kate kennen und stößt mit ihr auf einen mysteriösen Fremden, der den beiden Jugendlichen rät, sich von ihm fernzuhalten. Doch Ned steckt schon mittendrin in einer alten Geschichte rund um Liebe und Hass, die bis in die Zeit der griechischen Besiedlung Galliens zurückreicht.
Mit diesem Buch schlägt Guy Gavriel Kay ungewohnte Pfade ein: Anstatt einer Fantasywelt, die an einer historischen Epoche orientiert ist, dient hier das gegenwärtige Frankreich als Setting. Ich war zunächst skeptisch, fand den Roman aber atmosphärisch ebenso dicht wie seine anderen Werke. Und Kay wäre wohl nicht Kay, wenn nicht bald phantastische Elemente und historische Ereignisse ihren Weg in den Roman finden würden.
Die Art, wie diese Elemente eingeflochten werden, fand ich sehr gelungen, auch wenn mich der Plot an sich nicht überzeugen konnte. Mir wurde hier zuviel Drama und Pathos aufgebaut, dafür, dass es letztendlich nur um eine Dreiecksbeziehung ging. Sonst mag ich die pathetische Erzählweise von Kay sehr gern, aber sonst geht es bei ihm auch um große Themen wie Krieg, Politik und das Schicksal ganzer Länder.
Vielleicht war das Problem auch Ysabel, die im Zentrum des Konfliktes steht, da ich sie als sehr flach und unsympathisch gezeichnet empfunden habe. Weshalb ein derartiger Streit um eine so arrogante, egoistische Frau entstehen kann, war mir ein Rätsel – ich konnte auf jeden Fall nicht nachvollziehen, weshalb sie eine solche Faszination auslöst.
Ungewöhnlich ist an diesem Buch auch, dass Kay erstmals einen jugendlichen Protagonisten gewählt hat und ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee war. Ned ist ein sympathischer Junge, der sich zwar manches Mal wie ein typischer Teenager verhält, oft aber viel zu erwachsen, abgeklärt und eloquent für sein Alter wirkt. Ich will nicht behaupten, dass er als Figur an sich nicht gut gezeichnet wäre, aber die meiste Zeit habe ich ihn mir ein paar Jahre älter vorgestellt (erst recht angesichts einer äußert zweifelhaften Szene am Ende, auf die ich hier aus Spoilergründen nicht genauer eingehen will).
Sehr schön fand ich dagegen, dass Ned und Kate die meiste Zeit mit den Erwachsenen zusammenarbeiten – und dass diese Zusammenarbeit auch sehr gut funktioniert. Zwar brechen einige Male diverse Streitigkeiten durch, aber diese werden doch angesichts der schwierigen Situation beiseite geschoben. Vernünftige, intelligente Charaktere kann man vielleicht als ein Markenzeichen von Kay bezeichnen und ich habe das auch hier wieder als sehr wohltuend empfunden.
Eine besondere Überraschung gibt es bei den Figuren außerdem für treue Fans, da man auf alte Bekannte aus Fionavar trifft. Und obwohl auch „Fionavar“ nicht ganz mein Fall war, habe ich mich über das Wiedersehen sehr gefreut und mit einer gewissen Wehmut an die Trilogie zurückgedacht.Als Fazit bleibt mir, dass mir „Ysabel“ zwar gut gefallen hat, der Roman aber meiner Meinung nach nicht mit einigen anderen Romanen von Kay wie etwa „Ein Lied für Arbonne“ oder Tigana mithalten kann. Dabei finde ich durchaus, dass es sich hier um einen sehr starken phantastischen Roman handelt, aber Guy Gavriel Kay hat für mich die Latte bereits sehr hoch gelegt und blieb diesmal leider hinter meinen Erwartungen zurück.