erschienen bei Piper
In den zerstörten Resten der einstigen „zivilisierten Welt“ versucht Jimmy, alias Schneemensch, zu überleben. Außer ihm gibt es nur noch die „Craker“, eine Gruppe von genveränderten Menschen, die Jimmys ehemaligen Freund Crake als ihren Erschaffer sehen. Während Jimmy die letzten Reste Nahrungsmittel zusammenkratzt, die er finden kann, denkt er zurück an die Zeit vor der Katastrophe und wie es dazu kam.
Margaret Atwood entwirft in „Oryx und Crake“, ihrem Auftakt der MaddAddam-Trilogie, die erschreckende und zynische Vision einer Zukunft, die zwar oft ironisch überzeichnet erscheint, in einigen Aspekten aber durchaus denkbar ist. Klimakapriolen haben dazu geführt, dass die Nahrungsmittel knapp werden und Wissenschaftler sind darum bemüht, Tiere mittels Gentechnik so zu verändern, dass aus ihnen möglichst noch mehr Nutzen gezogen werden kann. In großen Komplexen leben sie mit ihren Familien abgeschottet vom sogenannten „Plebsland“, nehmen für ihr bequemes Leben die völlige Überwachung hin und vergnügen sich in der Freizeit mit Hinrichtungs- oder Tierverstümmelungsvideos und Kinderpornos. Auch Jimmy wächst in so einem Komplex auf und lernt hier in seiner Schulzeit Crake kennen, der immer nach Höherem zu streben scheint.
Wie es dazu kam, dass diese Gesellschaft unterging und was mit Crake sowie Jimmys großer Liebe Oryx passiert ist, erfährt man nach und nach in Rückblenden. Dabei macht es einem die Autorin anfangs nicht ganz leicht: Man wird in ein postapokalyptisches Szenario geworfen, das sehr bizarr und fremd erscheint und auch Jimmy/Schneemensch ist keine ganz einfache Identifikationsfigur. Er ist – auch in seiner Jugend – oft seltsam lethargisch und oberflächlich und nicht unbedingt ein sympathischer Mensch. Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen, sei es nun die Freundschaft zwischen Jimmy und Crake, die Liebe zu Oryx oder die Familienverhältnisse von Crake, bleiben immer ein wenig auf Distanz. Das passt zu der von Margaret Atwood entworfenen Gesellschaft, in der Menschen nur noch als Konsumenten zählen und mithilfe von Pillen sowie Technologien „verbessert“ werden, ohne dass es moralisch hinterfragt wird. Für Empathie und Mitgefühl ist kein Platz mehr und dementsprechend wird man auch beim Lesen auf Distanz gehalten, was aber nicht bedeutet, dass die Figuren nicht glaubhaft und interessant gezeichnet wären.
Wie üblich lässt Atwood sich für ihre Erzählung Zeit und wirft zunächst auch eine Reihe von Fragen auf. Man benötigt daher anfangs ein wenig Geduld, aber ich habe dann doch schnell in den Roman hineingefunden und fand ihn auf seine ruhige Weise sehr spannend. Inhaltlich ist er mitunter schwer verdaulich, gerade weil vieles der Realität näher ist, als man es sich wünschen würde. Das macht den Roman aber auch zu einer der interessantesten Dystopien, die ich in den letzten Jahren gelesen habe.
Das Ende bleibt relativ offen und macht dementsprechend neugierig auf den nächsten Band, wobei „Oryx und Crake“ meiner Meinung nach auch für sich alleine stehen könnte. Allen, die düstere Zukunftsszenarien mögen, kann ich diesen Trilogie-Auftakt wärmstens empfehlen.
Ich wollte schon lange mal etwas von der Autorin lesen und schwanke zwischen Handsmaid und diesem Roman. Vielleicht lese ich auch einfach beide? In jedem Fall klingt das nach einer sehr interessanten Geschichte, ich werde sie mir merken. Danke für deine Meinung 🙂
Mich persönlich hat The Handmaid’s Tale noch stärker beeindruckt als dieser Roman, wobei es Jahre her ist, dass ich das Buch gelesen habe. Ganz allgemein fand ich aber bislang alle Bücher, die ich von Margaret Atwood gelesen habe, empfehlenswert.
Dann fange ich vielleicht doch mit Handsmaid an. 🙂
Eine schöne Rezension. Überlege auch schon eine Weile, das Buch zu lesen 🙂
Bei mir hat es auch eine Weile gedauert, bis ich es tatsächlich gelesen habe, aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt.