Historisch Rezensionen

Barry Unsworth – Die Masken der Wahrheit

Genre: Historischer Roman
Seiten: 304
Verlag: Bastei Lübbe
ISBN: 978-3785708729
Meine Bewertung: 3 von 5 Sternchen

Historien-Challenge (Spätmittelalter)

Im 14. Jh. landet der auf Abwege geratene Priester Nicholas bei einer Gruppe von Schauspielern und schließt sich ihnen an. Als sie in der nächsten Stadt bei ihrem Auftritt nur wenig Publikum haben, kommt der Leiter der Truppe auf eine unerhörte Idee: Anstatt der traditionellen Geschichten aus der Bibel möchte er etwas Neues spielen. Und so beschließen sie, einen Mord, der sich hier eben ereignet hat, nachzuspielen. Doch die Figuren und die Handlung entwickeln auf der Bühne ein gewisses Eigenleben und bald wird klar, dass die Schuldigen woanders zu suchen sind als zunächst angenommen. Aber damit bringen sich die Schauspieler in Schwierigkeiten …

Unsworths Roman ist inhaltlich sehr interessant. Die Idee, auf diese Weise die Vorgänge rund um einen Mord aufzudecken, ist wirklich spannend und auch originell. Dazu kommt, dass es sich hier um einen historischen Roman handelt, bei dem die Personen einem ausnahmsweise nicht vorkommen wie moderne Menschen, die man ins Mittelalter gesteckt hat. Die Figuren wirken alle „authentisch“ und sind einem in ihrer Denkweise manchmal auch dementsprechend fremd.
Da ich selbst in einem Theaterverein bin, hat mich natürlich auch das Setting fasziniert. Der Roman gibt interessante Einblicke in die damalige Theaterpraxis, die aus heutiger Sicht stellenweise skurril wirkt.

Gute Voraussetzungen also für einen sehr guten Roman, aber leider hat mich „Die Masken der Wahrheit“ dennoch nicht begeistert. Zu Beginn wird man mit Infodump überschüttet: Als Nicholas zur Truppe stößt, werden alle Schauspieler ausführlich beschrieben, und zwar nicht nur ihr Aussehen, sondern auch ihre Lebensgeschichte und ihre Charaktereigenschaften – so weit Nicholas als Ich-Erzähler sie wahrnimmt.
Davon fühlte ich mich bald erschlagen, und anstatt dadurch die Figuren kennenzulernen, brachte ich sie vielmehr durcheinander und nahm alle nur als „die Gruppe“ wahr. Als eigenständige Persönlichkeit trat für mich nur Martin, der Leiter, zutage – über alle anderen wüsste ich im Nachhinein nur wenig zu sagen.
Am ehesten ist mir noch im Gedächtnis geblieben, dass Margaret, eine Prostituierte, offensichtlich immer und ständig mit gespreizten Beinen dasitzt (darauf wird etwa viermal hingewiesen).

Dann das Schauspiel an sich: Die Beschreibung all der üblichen Gesten ist durchaus faszinierend, nahm für mich aber im Laufe der Zeit überhand. Als Film kann ich mir das gut vorstellen, aber solange man das nur liest, ist es sehr schwer sich vorzustellen, was genau jemand auf der Bühne gerade macht. Ich weiß nicht, ob es an der Art der Beschreibungen liegt oder an meinem mangelnden Vorstellungsvermögen, aber vor meinen Augen entstanden keinerlei Bilder.
Außerdem hat das Publikum auf die unerhörte Idee, den Mordfall nachzuspielen, äußerst gelassen reagiert. Bis auf die Tatsache, dass sie der Handlung mit mehr Aufmerksamkeit folgen, wirken sie sehr gleichgültig. Wenn man sich aber vor Augen hält, dass zu der Zeit sonst nur altbekannte Geschichten aus der Bibel gespielt wurden, wäre eigentlich ein Skandal zu erwarten und ein dementsprechender Aufruhr.

Der Mordfall an sich wird recht schnell aufgedeckt, man sollte also keinen Krimi mit verwickelten Ermittlungen erwarten. Ich fand die „Suche“ nach dem Mörder zwar durchaus spannend, aber nicht allzu fesselnd.
Ich habe den Roman über einen eher langen Zeitraum gelesen und musste mich auch selbst immer motivieren, wieder weiterzulesen. Denn obwohl ich ihn durchaus nicht schlecht fand, war ich nicht allzu neugierig, wie es weitergeht. Das mag auch an dem rückblickenden Ich-Erzähler liegen, der zwischendurch schon sehr viel von der weiteren Handlung vorwegnimmt.

Unterm Strich ergibt das für mich einen sehr gut recherchierten historischen Roman mit ungewöhnlicher Thematik, der aber leider seltsam „leblos“ bleibt und mich deshalb nicht zu fesseln vermochte.

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