Gegenwartsliteratur Rezensionen

Wolf Haas – Das Wetter vor 15 Jahren

Genre: Roman
Verlag: dtv
Seiten: 224
ISBN: 978-3423136853
Meine Bewertung: 5 von 5 Sternchen

„Zurück in die Vergangenheit“-Challenge 

Vittorio Kowalski ist wie besessen von dem Wetter in einem österreichischen Bergdorf, in dem er früher mit seinen Eltern oft Urlaub gemacht hat. Mit seiner Besessenheit schafft er es sogar zum Wettkönig bei „Wetten, dass…?“. Aber wie kommt es überhaupt, dass er das Wetter eines jeden einzelnen Tages in Farnach kennt? Und was ist damals vor 15 Jahren passiert, als er zum letzten Mal dort war?
Das besondere an „Das Wetter vor 15 Jahren“ ist, dass darin nicht einfach Vittorio Kowalskis Geschichte erzählt wird, sondern dass es in Form eines Interviews über diesen Roman geschrieben ist, das ein fiktiver Wolf Haas vier Tage mit einer Journalistin führt. Das klingt zunächst einmal so schräg, dass ich mir vor einigen Jahren, als ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe, kaum vorstellen konnte, wie das funktionieren soll. Aber das tut es und der Roman hat auch beim zweiten Mal nichts von seiner Faszination eingebüßt.
Durch die Form des Interviews entblättert sich der Inhalt erst nach und nach. Man steigt sozusagen mit dem Ende des Romans ein und erfährt dann ganz allmählich die Zusammenhänge und Geschehnisse. Das ist ungemein spannend und hat beinahe etwas von einem Krimi, auch ohne Detektiv und Mordfall.
Köstlich sind auch die Ironie und der sanfte Spott, mit dem Wolf Haas darin den Literaturbetrieb aufs Korn nimmt. Wenn die Journalistin in jedes kleine Detail eine Bedeutung hineininterpretiert, die der Autor selbst nie darin gesehen hätte, ist das ein herrlicher Seitenhieb auf manche Literaturkritiker. Zugleich spart Wolf Haas darin aber auch nicht mit Selbstironie und nimmt sich mit demselben Augenzwinkern auch selbst aufs Korn.
Dazu gibt es auch den Haas-typischen Stil, der etwas von einem humorvollen Plauderton hat, auch wenn die Sprache und der Umgang mit Grammatik konventioneller ausfallen als in den Brenner-Krimis.
Das Highlight des Buches ist für mich das Gespräch über – der Titel verrät es ja schon – das Wetter vor 15 Jahren. Die Atmosphäre, die sogar in der Interview-Form aufgebaut wird, ist unglaublich. In diesem Moment ist man ganz bei Vittorio und seiner Jugendliebe Anni mit dabei und kann die Hitze des damaligen Sommertages nahezu auf der eigenen Haut spüren. Auf diesen Teil des Buches habe ich mich bei meinem Reread schon die ganze Zeit gefreut, weil er mir vom ersten Mal Lesen so deutlich in Erinnerung geblieben ist (obwohl ich einiges andere seither gänzlich vergessen hatte).
Vielleicht ist dieses Romanexperiment nicht jedermanns Fall – ich empfehle ein Hineinblättern um zu sehen, ob man sich mit Haas‘ Sprache und Humor anfreunden kann. Ich persönlich bin ein großer Fan des Autors und liebe beides. Mir haben nicht alle seine Bücher gleich gut gefallen, aber „Das Wetter vor 15 Jahren“ rangiert bei mir ganz oben, gleich neben „Silentium“ und „Wie die Tiere“, auch wenn diese beiden Krimis im Aufbau gänzlich anders sind.
Ich kann mir gut vorstellen, dass ich zu dem Buch auch noch ein drittes Mal greifen werde.

7 thoughts on “Wolf Haas – Das Wetter vor 15 Jahren

  1. Ach, ich muss ja gestehen, dass ich mit Wolf Haas so gar nichts anfangen kann. Sein Stil liegt mir überhaupt nicht. Vielleicht sollte ich mal eine Hörversion von einem seiner Bücher antesten – könnte mir vorstellen, dass ich damit eventuell zurechtkomme. Lesen ging bei mir aber leider gar nicht.

    1. Ich glaube, dass man seinen Stil entweder liebt oder hasst – dazwischen wird es wenig geben. Und ich habe seinen Stil von der ersten Seite von "Komm süßer Tod" an geliebt. Ich muss sogar aufpassen, dass ich nach dem Lesen eines Buches von ihm nicht selbst in Haas-Stil verfalle.

  2. Das klingt schräg und interessant, und es ist in unserer Stadtbücherei vorhanden, so dass man es gefahrlos ausprobieren kann – das merke ich mir mal! 🙂

  3. Inzwischen habe ich das Buch gelesen und mich an vielen Stellen köstlich amüsiert (in der Art, dass der Autor sein Werk selbst nicht zu tief analysieren sollte. Oder die Luftmatratze ;)).

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