Genre: Phantastik, Gegenwartsliteratur
Verlag: Bloomsbury Berlin
Seiten: 316
ISBN: 978-3827006745
Meine Bewertung: 4 von 5 Sternchen
Charlotte schlägt sich am Ende des 19. Jahrhunderts in Kopenhagen als Dirne durch und muss sich noch dazu um die nichtsnutzige Fru Schleswig kümmern. Da kommt es ihr gerade recht, als eine reiche Witwe nach Dienstleuten sucht, die ihr Haus auf Vordermann bringen. Was sich für Charlotte und Fru Schleswig zunächst als Glücksgriff erweist, wird schnell zum Albtraum: Im Keller des Hauses gibt es einen verschlossenen Raum, in dem offenbar grausige Dinge geschehen. Und als wäre das nicht genug, wird auch der verstorbene Hausherr immer wieder gesichtet.
Jensens Roman ist eine wirklich aberwitzige Geschichte, die sich in keine Schublade einordnen lässt. Es gibt Zeitreisen, aber es ist kein eigentlicher Zeitreiseroman; es gibt eine Liebesgeschichte, aber es ist kein Liebesroman; es gibt sehr anschaulische Beschreibungen über Kopenhagen kurz vor der Jahrhundertwende, aber es ist kein historischer Roman. Man bekommt hier also eine recht ungewöhnliche, schräge Mischung, die in sich aber sehr harmonisch ist.
Mitunter trägt Jensen sehr dick auf, aber der ironische Tonfall führt dazu, dass die Kitschfalle (meistens) problemlos umschifft wird.
Unverblümt und in schnoddrigem Tonfall erzählt Charlotte aus der Ich-Perspektive ihre Geschichte, die sie durch verschiedene Zeiten und Orte führt. Sie ist nicht immer eine sympathische, immer aber eine amüsante Erzählerin. Ihre Ironie und die pragmatische Art machen auch die schlimmsten Erlebnisse zu einer leichtfüßigen Unterhaltung.
Jensen hat mit Charlotte eine keineswegs fehlerlose Heldin geschaffen, hinter der aber auch die anderen Figuren nicht zurückstehen. Viele wirken zwar ein wenig überzeichnet (ich musste hier an Dickens denken), aber das passt zum Erzählton und sie verlieren dadurch auch nicht ihre Glaubwürdigkeit. Einzig Charlottes Liebe Fergus ist vielleicht ein bisschen zu „gut“ und entsprechend eindimensional geraten, wobei das auch an der Perspektive liegen kann (sie selbst findet ihn nun einmal perfekt ;-)).
Gestört haben mich allerdings ein paar kleinere Logiklücken. Diese betreffen einerseits die Zeitreisen selbst, andererseits aber auch den „realistischen“ Teil der Handlung. Manchmal fehlen einfach die Konsequenzen für bestimmte Aktionen der Figuren und da helfen auch Zeitsprünge nichts, da diese in mir eher den Eindruck hinterlassen haben, Jensen wollte es sich auf diese Weise einfach machen und das Problem einfach überspringen.
Ansonsten ist „Mein kleines schmutziges Buch von der gestohlenen Zeit“ ein sehr kurzweiliger Roman mit liebenswert-schrägen Figuren und einer rasanten Handlung. Ich kann ihn allen empfehlen, die sich gern auch mal außerhalb von Genregrenzen bewegen.Für mich war das Buch ja ein absoluter Zufallsfund (mehr dazu hier), der sich auf jeden Fall gelohnt hat. Von dieser Autorin würde ich gern noch mehr lesen.
Hehe, das klingt echt schräg. Ich hab von Liz Jensen "Die da kommen" gelesen, fand es aber letztlich nicht so besonders, da war trotz der Thematik – durchdrehende mordende Kinder – doch eher unspannend. Und dann gibt es noch "Endzeit" von ihr, das ungelesen bei mir rumliegt. Das hat leider auch nicht so tolle Kritiken bekommen, daher habe ich bisher nie dazu gegriffen. (Blöde Vorurteile…) Aber dieses Buch hier von ihr … das klingt doch sehr interessant 🙂
Die Bücher haben mich auch beide nicht so angesprochen, mich reizt eher "Das neunte Leben des Louis Drax", das noch vor dem schmutzigen Buch erschienen ist.
Das klingt, als ob du wirklich einen Glücksgriff getan hättest. Mich hast du mal wieder dazu gebracht, den Bibliothekskatalog zu durchstöbern, aber ich habe nur einen Krimi von der Autorin gefunden, der mich spontan von der Inhaltsangabe nicht ansprach. Mal schauen, ob du noch mehr Titel von ihr liest und dann auch magst. Dann kann ich mich ja noch einmal umgucken. 😉
Mal sehen. Heute war ich in der Bücherei und da habe ich nichts von ihr gefunden, aber vielleicht in einer anderen Zweigstelle.
Ach, das ist doch toll, dass sich ein Zufallsfund als richtig schön herausstellt. 🙂
Ja, finde ich auch. Ich hatte ohnehin schon oft Glück mit Zufallsfunden, deshalb sollte ich mich darauf wieder häufiger einlassen.
Das freut mich aber sehr, dass das Buch so gut bei dir ankommt. 🙂 Da hat sich das Projekt bei dir ja gleich bezahlt gemacht. 😉
Von der Thematik her finde ich das Buch auch recht ansprechend – die Autorin kenne ich aber nicht. 😉
Ja, das hat sich gleich mal ausgezahlt mit dem Projekt – ich habe gestern auch gleich das nächste Zufallsbuch mitgenommen. 🙂
Oh, wie toll. 🙂 Darf man schon wissen, welches es geworden ist? 😉
Ein Krimi dieses Mal: "Mord in der Scala" von Carmen Iarrera
Hilfe, ein Krimi. 😀
Viel Spaß beim Lesen! 🙂
Hey,
was du da beschreibst klingt nach einem sehr interessanten Buch. Bei "schrulligen Charakteren" horche ich doch direkt mal auf. Ich werds mir mal merken.
LG Nanni
Und warum ist das Buch "schmutzig"??
Weil Charlotte so einiges von ihren Erfahrungen als Dirne zu berichten hat. 😉