Rezensionen Sachbuch

Alfred Lansing – 635 Tage im Eis: Die Shackleton-Expedition

ungekürztes Hörbuch (11 h 41 min)
gelesen von Wolfgang Condrus
erschienen bei Audible (Printausgabe im Goldmann-Verlag)

entdeckt: durch allgemeines Interesse an Polarexpeditionen
woher: Audible-Abo

Sachbuch-Challenge
Hörbuch-Challenge

Im August 1914 brach Sir Ernest Shackleton gemeinsam mit 28 Mann auf, um mit der Endurance in die Vahsel-Buch zu segeln und von dort aus den antarktischen Kontinent zu durchqueren. Doch die Endurance blieb noch im Weddell-Meer im Packeis stecken und wurde dort nach der Überwinterung von den Eismassen zerdrückt. Für die Expeditionsteilnehmer begann daraufhin ein beispielloser Kampf ums Überleben. Zuerst drifteten sie auf einer Eisscholle im Packeis monatelang nordwärts, ehe sie mit drei Booten zur kargen Elephant Island reisten, von wo aus eine kleine Rettungsmannschaft nach Südgeorgien aufbrach, um von dort Hilfe zu holen.
Die Shackleton-Expedition kann man wie die Apollo 13-Mission als einen „erfolgreichen Fehlschlag“ bezeichnen, da alle Mitglieder der sogenannten „Weddell Sea Party“ die unglaublichen Strapazen überlebten. Ganz ohne Verluste ging die Expedition indes nicht ab, da bei der „Ross Sea Party“, die von der anderen Seite des Kontinents aus Depots anlegte, drei Männer starben – dazu später mehr.
Alfred Lansing beginnt sein Buch mit einer Art Stimmungsbild von der Endurance, die vom Eis zerstört wird, ehe er zurückspringt zum Beginn der Expedition und sie chronologisch erzählt. Da das Buch bereits in den 50er Jahren erschienen ist, konnte der Autor noch mit einigen Expeditionsteilnehmern und Zeitzeugen sprechen. Darüber hinaus zitiert er viel aus Tagebüchern (etwa von Shackleton, Worsley, Orde-Lees und McNish), was einen sehr umfassenden Blick auf die Expedition ermöglicht. Ich könnte mir vorstellen, dass ich vielleicht auch eins der Tagebücher noch lesen werde, aber um einen ersten und durchaus detaillierten Eindruck zu bekommen, ist Lansings Buch hervorragend geeignet. Wenn auch schon einige Jahrzehnte alt, so wirkt es keineswegs verstaubt. Es ist eher schlicht geschrieben, dokumentiert die Ereignisse aber sehr anschaulich und fesselnd.
Was die Männer in dieser Extremsituation alles ertragen, ist kaum vorstellbar. Schon der Winter eingeschlossen im Packeis auf dem Schiff und die lange Drift auf der Eisscholle (immer mit der drohenden Gefahr, dass sie auseinanderbrechen könnte) sind eine Belastungsprobe, erscheinen aber im Vergleich zu den späteren Strapazen nahezu harmlos. Nicht nur Kälte und Nahrungsmangel setzen den Männern zu, sondern später auf den Booten dann auch schwere Stürme, ständige Nässe und Schlaflosigkeit. Dass Shackleton mit einer kleinen Rettungsgruppe in einem völlig übermüdeten und entkräfteten Zustand noch die Fahrt bis nach Südgeorgien schaffte und dort zu Fuß die bergige Insel durchquerte, ist unglaublich und zeigt, wozu Menschen fähig sein können.
Vermutlich deshalb wird Shackleton gern als vorbildliche Führungspersönlichkeit genannt, wobei man meiner Meinung nach seiner Mannschaft unrecht tut, wenn man den Erfolg allein Shackleton zuspricht. Eher ist die Expedition ein Beispiel einer sehr beeindruckenden Zusammenarbeit von Menschen, die trotz zeitweiliger Reibereien doch alle am selben Strang ziehen, wenn es darauf ankommt und dabei einen bemerkenswerten Optimismus an den Tag legen.
Ich finde es nur schade, dass Lansing sich am Ende unerwartet kurz fasst. So ist mit Shackletons Ankunft in der Walfangstation Stromness zwar das schlimmste geschafft, aber die vielen Anläufe, bis schließlich einem Schiff die Fahrt durchs Packeis zur Elephant Island gelingt, um die Männer dort zu retten, hätten etwas mehr Aufmerksamkeit verdient als eine Erwähnung im Epilog. Auch über die Rückkehr und das weitere Leben der Männer (die großteils sofort wegen des 1. Weltkriegs in den Militärdienst treten mussten) hätte ich gern zumindest ein paar Worte erfahren.
Schließlich findet die zweite Expeditionsgruppe, die oben erwähnte Ross Sea Party, gar keinen Eingang ins Buch. Diese hatte von Anfang an mit Schwierigkeiten zu kämpfen (unter anderem auch deshalb, weil Shackleton diese wohl im Vorfeld nicht sehr gut organisiert hatte) und das Anlegen der Depots forderte drei Menschenleben. Dass dieser Teil der Expedition meistens völlig unter den Tisch fällt, finde ich – angesichts dessen, was auch diese Männer bewältigten – sehr schade. Zumindest hätte Lansing in einem Extrakapitel kurz darauf eingehen können.
Ansonsten hat mir das Buch wirklich gut gefallen, auch in der von Wolfgang Condrus gelesenen Hörbuch-Fassung. Ich habe mir allerdings im Internet Karten, Mannschaftslisten und Fotos angesehen, um einen besseren Überblick zu bekommen. In der Printversion hat man diese natürlich mit im Buch dabei.

5 thoughts on “Alfred Lansing – 635 Tage im Eis: Die Shackleton-Expedition

  1. Hoi, Neyasha.
    Nüchtern betrachtet könnte man/frau sich schon fragen, was Menschen dazu treibt in lebensherausfordernde Einöden aufzubrechen. Egal ob Pole oder Achttausender. Zyniker behaupten ja gern, weil die jeweiligen keinem anderen den Ruhm gönnen "Erster" gewesen zu sein.
    Kann aber auch die Neugier sein, wie der Ehrgeiz eine Weiße Landkarte zu füllen.
    Es wird aber definitiv der menschliche Drang sein, der uns um den Globus brachte, auf den Mond, per Technik ins Sonnensystem und darüber hinaus. Da ist immer etwas, hinter dem nächsten Hügel!

    Ich kann mich noch gut an die Lektüre, die Stelle erinnern, als sich die letzte Gruppe zur Durchquerung der Insel aufmachte und (in etwa) das letzte Stück den Berghang hinab rodelte.

    Die einfachen Mannschaften werden sich wohl in der Tat gefragt haben, warum sie die antarktische Hölle überlebt haben, um danach in die europäische des Weltkriegs geworfen zu werden.

    bonté

  2. Ich kann diesen Drang insofern nachvollziehen, da ich schon seit meiner Kindheit ein Faible für solcherlei Erfahrungsberichte habe. Ich hatte früher auch immer den Traum, Astronautin oder Entdeckerin zu werden. Natürlich hätte ich für sowas überhaupt nicht das Zeug, aber ich lese sowas noch immer unheimlich gerne, weil mich das total fasziniert. Sei es die Grenzerfahrung oder die Vorstellung, dass da jemand unterwegs ist, wo sonst noch kein Mensch war.

    Ich weiß nicht so recht, ob man bei der Expedition in irgendeiner Weise von "einfachen Mannschaften" sprechen kann. Jeder einzelne hat sich ja freiwillig für die Expedition gemeldet (Shackleton hatte über 1000 "Bewerber") und als es ums Überleben ging, war das für alle gleich schwer und es gab keinerlei Privilegien.
    Es ist aber schon sehr traurig, dass ein paar dann im Krieg gestorben sind, nachdem sie vorher so etwas überlebt haben. 🙁

  3. Oh man. Da denkt man, wenn jemand schon eine so gefährliche Expedition überlebt habt, kann ihn nichts mehr erschrecken – und dann kommt der erste Weltkrieg. Das könnte man ja fast schon als grausame Ironie des Schicksals sehen.
    Die Männer haben wirklich Mut und Durchhaltevermögen bewiesen – das ist definitiv beachtenswert.

    Im ersten Moment musste ich RoM aber schon zustimmen – ich glaube, ich würde mir mehrmals überlegen, ob es das wirklich wert wäre. Andererseits haben manche Menschen ja diesen Drang und wenn man es dann geschafft hat, muss das Gefühl unglaublich sein.
    Da muss sich wohl jeder Mensch selbst darüber im Klaren sein, wie er sein Leben lebt…

    1. Vernünftig betrachtet sind solche Unternehmungen schon ziemlich unsinnig – das Geld, das die verschlingen, könnte man sicher auch sinnvoller nutzen bzw. hätte man nutzen können. Trotzdem fasziniert mich so etwas.

      Das mit dem Weltkrieg finde ich in da auch ganz schön grausam. Da schreiben die Männer in ihre Tagebücher, auf welche Leckereien zuhause sie sich freuen – und dann kommen sie zurück in eine kriegsgebeutelte Welt, in der Lebensmittel rationiert werden müssen und finden sich dann auch noch selbst im Kampfgeschehen wieder, wo sie erneut in Lebensgefahr sind und auf alle Annehmlichkeiten verzichten müssen.
      Wobei ja der Krieg kurz vor ihrer Abreise schon begonnen hat – aber es hat wohl niemand gedacht, dass der so lange dauern würde.

  4. Das mit dem Weltkrieg wusste ich auch nicht bzw. habe ich mir darüber bislang nie Gedanken gemacht. Das ist schon heftig!

    Was den Sinn und Unsinn solcher Expeditionen angeht, so kann ich weder den Drang nach diesen Extremen verstehen, noch das Bedürfnis Erster zu sein. Auf der anderen Seite sind das ja in der Regel nicht nur reine Reisen, sondern bringen oft auch Erkenntnisse für Wissenschaft und Wirtschaft – und sei es nur, dass man im ewigen Eis nicht problemlos leben und arbeiten kann und deshalb (bis vor relativ kurzer Zeit) die dortigen Rohstoffe nicht abbaubar waren.

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