erschienen bei Kiepenheuer&Witsch
(Sonderausgabe mit Materialien, Fotos und Nachwort)
woher: Städtische Bücherei
Heinrich Böll, 1917 in Köln geboren, erhielt 1972 den Nobelpreis für Literatur. Er schrieb zahlreiche Kurzgeschichten und Romane und hielt sich in den 1950er Jahren häufig während der Sommermonate in Irland auf. Aus seinen Eindrücken dieser Reisen entstand eine Sammlung von halbdokumentarischen Texten, das 1957 erstmals erschienene „Irische Tagebuch“.
Ich hatte bisher nur sehr wenig Berührungen mit Heinrich Böll. In der Schule haben wir einige Kurzgeschichten von ihm interpretiert, was nicht unbedingt zu meinen Leidenschaften gehörte, und im Studium stand er tatsächlich nie auf meinen verpflichtenden Leselisten. Nun ist mir in der Bücherei, auf der Suche nach der nächsten Lektüre für meine Nobelpreischallenge, das „Irische Tagebuch“ in die Hände gefallen und ich frage mich, weshalb ich um diesen Autor immer so skeptisch herumgeschlichen bin. Zumindest seine Texte über Irland haben mich ganz und gar überzeugt.
Es handelt sich dabei nicht wirklich um ein Tagebuch; mehr um eine Mischung aus Stimmungsbildern, Charakterporträts und persönlichen Reiseberichten. Der Großteil dieser Texte ist vorher bereits in der FAZ erschienen und später dann in eine zusammenhängende Komposition gebracht worden.
Die Texte sind keine reine Sachliteratur, sondern zum Teil fiktiv. Sie basieren auf Bölls Erfahrungen und beschreiben einige seiner Erlebnisse in Irland, haben aber zweifellos einen eher poetisch-literarischen Anspruch als einen journalistischen. Das merkt man auch an der Sprache: Wie Heinrich Böll hier ein verlassenes Dorf beschreibt, sich in die Perspektive einer Arztfrau hineinversetzt oder einige skurrile kleine Situationen skizziert, hat wirklich etwas von Poesie. Jeder Satz ist ein kleines Juwel für sich und es lohnt sich, manche Passagen mehrmals zu lesen. Gleichzeitig hat Bölls Stil aber nichts erzwungenes oder gekünsteltes, sondern fließt scheinbar mühelos dahin.
Bölls Blick auf Irland in den 50er Jahren wirkt sanft und liebevoll, aber es wird dennoch klar, dass er kein idyllisches Paradies beschreibt. Auf jeden Fall ließ er das Land und seine Bewohner der damaligen Zeit sehr lebhaft vor meinen Augen entstehen.
Die Ausgabe, die ich gelesen habe, ist insofern sehr interessant, weil sie eine Reihe von Zusatzmaterial enthält: Fotos, Briefe, Informationen über Heinrich Bölls Irland-Aufenthalte sowie die Publikation seiner Irland-Impressionen und den Essay „Dreizehn Jahre später“, in dem Böll auf seine Texte zurückblickt und über die großen Veränderungen in Irland seither nachdenkt.
„Irisches Tagebuch“ ist ein wunderbares Büchlein über Irland vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert und auch stilistisch ein wahrer Schatz. Das wird bestimmt nicht das letzte Werk sein, das ich von Heinrich Böll gelesen habe.
Wenn ich so deine Rezension lese, bekomme ich wirklich Lust es mal mit dem Tagebuch zu probieren. Denn Böll gehört zu den Schriftstellern, die ich gern mögen würde, aber mit deren Romanen ich häufig Probleme habe. Ich werde nie vergessen, wie sehr mich "Ansichten eines Clowns" genervt haben, als ich es für die Prüfung zu Buchhändlerin lesen musste. 😀
Zu den Romanen kann ich leider noch gar nichts sagen, aber vielleicht werde ich es demnächst mal mit einem versuchen. Ich bin gespannt, wie mir der dann gefällt.
Oh, Böll! Das irische Tagebuch habe ich vor Ewigkeiten als Lektüre für einen Irland Urlaub mitgenommen, das hat mir auch sehr gut gefallen!
Ansonsten kenne ich noch "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" – fand ich damals sehr beeindruckend. Hm, das könnte ich eigentlich mal wieder lesen…
Als Lektüre für einen Irland-Urlaub ist das Buch sicher toll geeignet!
Mal sehen, mit welchem Roman ich es versuchen werde.
So eine tolle Rezension, richtig schön!
Könnte ich mir theoretisch mal für die Nobelpreisträger merken. „Die verlorene Ehre der Katharina Blum" hat mich aber auch schon angelächelt…