Rezensionen Sachbuch

Bea Uusma – Die Expedition

erschienen bei btb
woher: Weihnachtsgeschenk

Über 15 Jahre lang nimmt das Rätsel der Andrée-Expedition die Medizinerin und Autorin Bea Uusma gefangen: Im Juli 1897 brachen die drei Schweden Salomon August Andrée, Nils Strindberg und Knut Frænkel mit einem Heißluftballon in Richtung Nordpol auf. Nach nur wenigen Tagen endete ihre Reise im Packeis und sie versuchten, zu Fuß zurück nach Spitzbergen zu gelangen. Sie erreichten nach mehreren beschwerlichen Wochen Kvitøya, die „Weiße Insel“, wo dreißig Jahre später ihre Leichen gefunden wurden. 
Woran genau die Expeditionsteilnehmer gestorben sind, ist seither Gegenstand vieler Spekulationen. Da sie gut ausgerüstet waren und noch reichlich Nahrung hatten, können Hunger und Kälte kaum die Todesursache gewesen sein. Die Theorien, die bislang vorgebracht wurden (von Botulismus über Bleivergiftung bis hin zu Infektion mit Trichinen) vermögen Bea Uusma nicht zu überzeugen und so beginnt sie die Sache neu aufzurollen. Haben die Wissenschaftler vor ihr etwas übersehen?
Ich habe das Buch zu Weihnachten geschenkt bekommen und am Stephanitag nahezu in einem Rutsch gelesen. Was das Buch so fesselnd macht, ist einerseits Bea Uusmas Schreibstil: Man kann ihre Leidenschaft – oder vielleicht müsste man es schon Besessenheit nennen – beim Lesen direkt spüren und wird unweigerlich davon angesteckt. Andererseits ist natürlich auch der Inhalt an sich unglaublich spannend. Die Mischung aus Tagebucheinträgen und Briefen der Männer, Nachforschungen der Autorin und Schilderungen der Entdeckung der Leichen auf Kvitøya ist perfekt gelungen. 
Schnell wird bewusst, dass die Expedition von Vornherein zum Scheitern verurteilt war: Die Vorbereitungen waren mangelhaft, es hatte nie ein Testflug mit dem Ballon stattgefunden und bereits beim Start traten massive Probleme auf. Dazu kam noch, dass die drei Männer so gut wie keine praktische Erfahrung in arktischen Gebieten hatten. Umso bemerkenswerter ist es, dass es ihnen überhaupt gelang, bis nach Kvitøya zu kommen, auch wenn ihre Expedition dort ein so trauriges Ende nahm.
 
Bea Uusma scheut bei der Frage, weshalb es zu diesem Ende kam, keine Mühen: Sie macht sich selbst zur Weißen Insel auf, stöbert in Archiven und Museen, sucht nach einem verschollenen Brief und konsultiert, als sie sonst nicht mehr weiter weiß, trotz Skepsis sogar eine Wahrsagerin. Dank ihrer Hartnäckigkeit und Sorgfalt gelingt es ihr, tatsächlich unbekanntes Material wie etwa die Obduktionsberichte von 1930 zutage zu fördern und neue Schlussfolgerungen zu ziehen.
Der deutsche Untertitel „Wie ich das Rätsel einer Polartragödie löste“ (der im schwedischen Original fehlt) ist dennoch irreführend: Obwohl die Autorin zu plausiblen Erkenntnissen gelangt, wird das Rätsel nie gänzlich gelöst werden können. Es ist aber sehr interessant zu lesen, was Bea Uusma alles herausfindet. Sehr gut gefallen hat mir auch ihre Zusammenstellung am Ende, bei der sie alle Theorien zur Todesursache noch einmal übersichtlich und präzise zusammenfasst. 
Ihr werdet es auch schon bei den Fotos gesehen haben: Das Buch ist nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch sehr gut gelungen. 
Viele Seiten sind grafisch gestaltet, dazu kommen Fotos der Expedition, Karten, Tagebuchauszüge, Tabellen, schematische Zeichnungen etwa des Lagers auf Kvitøya, Fotos der Autorin, Notizen und farblich gestaltete Überschriften. Allein durch das Buch zu blättern macht schon Freude und dank Fadenbindung ist es auch sehr stabil. Der Preis von etwa 30 Euro ist hierfür mehr als angemessen, zumal es sich auch um ein sehr großformatiges Buch handelt.
„Die Expedition“ ist ein großartiges und informatives Sachbuch, das ich allen nur wärmstens ans Herz legen kann. Dass ich ohnehin schon seit langem ein Faible für Polarexpeditionen habe, hat sicher zu meinem positiven Eindruck beigetragen, aber man muss keineswegs bereits tief in dieses Thema eingestiegen sein, um dieses Buch interessant zu finden. Für mich war das eines der besten Bücher des Jahres. Von mir aus hätte es gern auch noch länger und ausführlicher sein dürfen, da es so kurzweilig zu lesen war und Bea Uusma das Thema ungemein spannend präsentiert.
Devonas Kritikpunkt, dass das Buch stinkt, trifft glücklicherweise auf mein Exemplar nicht zu: ich muss schon die Nase direkt in das Buch pressen, um etwas zu riechen.

6 thoughts on “Bea Uusma – Die Expedition

  1. Hyvää iltaa, Neyasha.
    Schöne Bücher sind edle Bücher; was Wunder, dass ich mir zu Weihnachten auch ein paar solche gegönnt habe.

    Für jede der gelungenen Entdeckungsreisen in der Menschheitsgeschichte gibt es viele Versuche, die mehr oder minder dramatisch scheiterten. Der Erfolg diktiert auch hier das Bild, weswegen ein näherer Blick auf eine der tragisch geendeten Expeditionen mehr als gerechtfertigt ist. Selbst im Scheitern kann Größe zu liegen kommen.

    Anmerkenswert bleibt, dass nicht wenige der großen Entdecker – darunter einige Frauen – nach einem grandiosen Erfolg, auf Folgereisen den Tod fanden. Fast könnte man/frau an die Eifersucht der Götter denken wollen.

    in memoriam, Carrie Fisher

    bonte

    1. Solche Bücher sind ein wahrer Augenschmaus – und besonders erfreulich ist es, wenn auch der Inhalt toll ist.

      Ja, bei den Folgereisen musste ich jetzt an die Shackleton-Expedition denken. Da haben die Männer alle eine solche Reise überstanden und dann sind sie zurückgekommen und mussten im Ersten Weltkrieg kämpfen, wo einige dann gestorben sind.

  2. Oh, das klingt nach einer sehr spannenden Auseinandersetzung mit dem rätselhaften Ende einer Expedition. Die erfolgreichen Reisen sind ohne Frage interessant, aber da sie erfolgreich verliefen, gibt es halt auch immer Teilnehmer, die alle Fragen dazu beantworten können (wenn auch vermutlich nicht immer ganz wahrheitsgemäß oder objektiv *g*). Bei einer solchen tragischen Reise hingegen kann man ja wirklich nur mutmaßen, was alles genau passiert ist und wie es zu diesem Ende kam. Faszinierend!

    Zu schade, dass meine Bibliothek das Buch definitiv nicht im Bestand hat. Da hätte ich gern mal einen Blick hineingeworfen.

    1. Ja, solche Rätsel und offene Fragen finde ich auch immer besonders faszinierend. Nicht von ungefähr hat mein Interesse für Polarreisen mit einem Buch über die Franklin-Expedition begonnen.

      Schade, dass deine Bibliothek das Buch nicht hat. Vielleicht kannst du diesbezüglich ja mal einen Ankaufswunsch platzieren.

  3. Na, da freu ich mich aber, dass dein Exemplar nicht stinkt. Und ich freu mich auch, dass es dir genauso gut gefallen hat, wie mir. Ich habe es an Weihnachten auch noch einmal verschenkt, meine Mutter hat es , so wie Du, fast am Stück durch gelesen. Es ist wirklich ein ganz wunderbar aufgemachtes Buch.

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