erschienen bei mare
Louise und Ludovic wollen eine Auszeit von ihrem Pariser Stadtleben und brechen zu einer Segelreise auf. Dabei machen sie auch auf der Insel Südgeorgien Halt und gehen auf eine Wanderung. Als ein Sturm aufkommt, sind sie gezwungen, über Nacht Unterschlupf in der alten, verfallenen Walfangstation Stromness zu suchen. Am nächsten Morgen ist ihr Segelboot fort und die beiden finden sich ohne Kontakt zur Außenwelt gestrandet auf einer unwirtlichen Insel.
Die französische Autorin Isabelle Autissier machte sich früher selbst als Seglerin einen Namen: So umsegelte sie 1991 im Rahmen einer Regatta als erste Frau allein die Welt. Ihr Roman „Herz auf Eis“ war für den Literaturpreis Prix Goncourt nominiert und ich konnte schnell nachvollziehen, weshalb. Ihre moderen Robinsonade ist nicht nur sprachlich beeindruckend, sondern gehört auch zu den fesselndsten und aufwühlendsten Büchern, die ich jemals gelesen habe.
Die Autorin beschreibt eher sachlich, aber dennoch sehr eindringlich, wie Louise und Ludovic versuchen, auf der Insel zu überleben. Sie richten sich mehr schlecht als recht in der alten Walfganstation ein und haben als einzige Nahrungsquelle Pinguine, die sie zu hunderten töten (oder eher abschlachten).
Der Überlebenskampf schweißt sie gleichermaßen zusammen und treibt sie voneinander fort. Da die beiden sehr unterschiedliche Charakterzüge haben – Louise vorsichtig und nachgiebig; Ludovic ein unbekümmerter Draufgänger, der meist seinen Willen durchsetzt – kommt es schnell zu Konflikten und auch Schuldzuweisungen.
„Herz auf Eis“ schildert daher nicht nur einen Kampf gegen widrige äußere Umstände, sondern auch einen inneren Kampf gegen sich selbst und gegen die Person, die man liebt. Dabei wirft Isabelle Autissier auch die Frage auf, wann der Punkt erreicht ist, an dem kein Platz mehr ist für Liebe und man nur noch auf das eigene Überleben konzentriert ist.
Eine weitere Frage, die aufgeworfen wird, ist, wie weit man überhaupt noch abseits der modernen Gesellschaft überlebensfähig ist. Louise und Ludovic, die während ihres Segeltrips Träume von einem Leben ganz fern der Zivilisation haben, stoßen in Stromness schnell an ihre Grenzen und müssen feststellen, dass sie kaum mehr das Wissen und die Fertigkeiten mitbringen, um mit ihrer Situation fertig zu werden.
Spannend ist auch der Gegensatz, dass Stromness, das für Louise und Ludovic zu einem Ort der Einsamkeit und und des Überlebenskampfes wird, zu Beginn des 20. Jahrhunderts für Ernest Shackleton der Ort der Rettung und des Zurückkommens in die Zivilisation war.
Ich kann hier leider nicht beschreiben, was Isabelle Autissier in dem recht schmalen Buch noch alles an Fragen und Konflikten aufwirft, weil ich sonst zuviel von der Handlung verraten würde. Für mich war „Herz auf Eis“ auf jeden Fall nicht nur ein spannendes, sondern auch ein unglaubliches intensives Leseerlebnis. Ich konnte den Roman kaum aus der Hand legen (obwohl ich vor dem Lesen schon sehr viel über den weiteren Handlungsverlauf wusste) und habe ihn nach dem Zuklappen sehr lange nicht aus dem Kopf gebracht.
Ein sehr schonungsloser und ungemein fesselnder Roman – und für mich eins der besten Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe!
Jedes Mal, wenn du von einem Roman so begeistert bist, der nicht in mein normales Beuteschema fällt, wächst meine Bibliotheksmerkliste. 😉
Genauso gehts mir auch mit deinem und anderen Blogs. 🙂 Das finde ich auch so schön an Bibliotheken, dass man da auch mal unbekümmerter Bücher ausprobieren kann, die nicht so ins normale Beuteschema fallen.
Bibliotheken sind großartig. Auf Twitter ging vor einigen Tagen die Aussage eines britischen Politkers rum, der meinte, dass doch niemand mehr Bibliotheken nutzt und man die alle schließen und die Bücher an Schulen weiterreichen sollte. Ich habe selten so viele Gegenstimmen zu einem einzigen Tweet gesehen und finde das sehr beruhigend. 🙂
Boah, bei solchen Aussagen geht mir echt die Hutschnur hoch! Zumal Bibliotheken bei weitem mehr zu bieten haben als "nur" Bücher.
Im Rahmen der Viennale habe ich letzte Woche eine dreistündige Doku über die New York Public Library gesehen – die würde ich dem Herrn mal empfehlen …
Zum Glück bist du nicht die Einzige, der das so geht. Die Antworten auf den Tweet waren auch wunderbar facettenreich und sprachen von all den Dingen rund um Bibliotheken, die so wichtig sind.