Rezensionen Sachbuch

Anne Siegel – Frauen, Fische, Fjorde. Deutsche Einwanderinnen in Island

erschienen bei Piper

 

In den 1940er Jahren zogen in Island immer mehr Menschen vom Land in die Stadt und auf den Bauernhöfen herrschte ein akuter Mangel an Arbeitskräften allgemein, aber besonders an Frauen. Also wurde ein Programm ins Leben gerufen, das aus Norddeutschland vor allem Frauen, aber auch Männer als Arbeitskräfte ins Land bringen sollte. Im Deutschland der Nachkriegszeit wiederum fanden sich schnell Auswanderungswillige. Anne Siegel erzählt in diesem Buch die Geschichte einiger dieser Frauen, die ihre Heimat verließen – und für immer in Island blieben.

Ich hatte zuvor noch nie etwas von diesem Auswanderungsprogramm gehört und fand es sehr interessant, darüber zu lesen. Man erfährt so einiges über die kulturellen Unterschiede in Island und Deutschland zu der Zeit und wie die Frauen damit, aber auch mit der Kälte, der Einsamkeit auf abgelegenen Höfen und den dunklen Wintern zurechtkamen.

Der Fokus liegt aber gar nicht unbedingt auf der Zeit der Frauen in Island, sondern mehr auf ihrem Leben vor dem Auswandern und auf den Gründen, weshalb sie die Heimat verlassen wollten. Die Schilderung der verschiedenen Schicksale während des Zweiten Weltkriegs und danach fand ich ungemein spannend. Mir wurde beim Lesen bewusst, dass bei allem, was ich zum Beispiel in der Schule über den Zweiten Weltkrieg gelernt habe, nie das Alltagsleben der Menschen der damaligen Zeit thematisiert wurde – wie der Krieg ihr Leben veränderte, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatten und was für große Fluchtbewegungen innerhalb Deutschlands nach dem Krieg stattfanden.

Ebenfalls unbekannt war mir bislang die tragische Geschichte des Schiffes Cap Arcona, das 1945 mit etwa 4.500 KZ-Häftlingen an Bord versenkt wurde. Eine der Frauen in Anne Siegels Buch war Augenzeugin des Unglücks und ihre Schilderungen waren sehr erschütternd zu lesen.

Manchmal wirkte es auf mich ein wenig unglaubwürdig, wie schnell und problemlos sich fast alle Frauen in Island einlebten und dort mit der fremden Sprache und Mentalität zurechtkamen – ich habe mich gefragt, ob da nicht manchmal ein etwas verklärter Blick auf die Vergangenheit mit dabei war. Andererseits kann man sich vorstellen, wie das friedliche und ruhige Island auf die Frauen im Vergleich zum kriegsgebeutelten Deutschland gewirkt haben muss.

 

Alles in allem ein sehr interessantes und informatives Buch. Der Schreibstil kam mir teilweise etwas holprig vor (besonders die Wechsel zwischen den Zusammenfassungen der Autorin und den direkten Zitaten der Frauen), aber das Buch war dennoch angenehm zu lesen und gibt einige sehr persönliche Einblicke in das Leben in Deutschland und Island während und nach dem Zweiten Weltkrieg.

7 thoughts on “Anne Siegel – Frauen, Fische, Fjorde. Deutsche Einwanderinnen in Island

  1. Hallo Neyasha,
    Du liest immer Bücher zu den interessantesten Themen! 🙂 Ich hatte auch noch nicht von diesem Auswanderungsprogramm gehört, aber eigentlich ist es ganz logisch.

    Da ich mich gerade etwas mit dem zweiten Weltkrieg beschäftige, ist das hier vielleicht genau das richtige Buch, um auch etwas über den damaligen Alltag zu erfahren.

    Viele Grüße
    A. Disia

    1. Ich weiß gar nicht mehr genau, wo ich das Buch entdeckt habe, aber da hat mich das Thema gleich angesprochen.
      Der Schwerpunkt liegt allerdings stärker auf der Nachkriegszeit, also wenn du speziell etwas über den Alltag im Zweiten Weltkrieg erfahren möchtest, weiß ich nicht, ob es das richtige Buch ist.

  2. Das Buch steht auch schon seit längerem auf meiner Merkliste (und bis eben war ich fest davon überzeugt, dass ich es bei dir gesehen hätte *g*). Schön zu sehen, dass du davon angetan warst – ich sollte es wohl mal etwas höher auf die Liste setzen. 🙂

    1. Und ich wiederum war mir sicher, ich wäre bei dir auf das Buch aufmerksam geworden, bis dich dann keine Rezension bei dir gefunden habe … *g*

  3. G’day, Neyasha.
    Allgemein weit mehr bekannt sind die Frauen, die damals GIs heirateten & mit Ihnen in die Staaten gingen. In der britischen Zone bot sich diese Möglichkeit eines Neuanfangs weniger an, weil die Resentiments in Großbritannien wesentlicher waren (als jenseits des Atlantiks). Island bot sich daher als Alternative zum Leben im (auf vielen Ebenen) zerstörten Deutschland an.
    Auswanderungsmotive & Integration in eine neue Umgebung…die Themen des Buches sind aktuell geblieben.

    bonté

    1. Der Kontrast zum zerstörten Deutschland war sicher auch mit ein Grund, weshalb den Frauen (und Männern) das Leben auf den isländischen Höfen trotz aller Einschränkungen fast paradiesisch vorkam. Besonders interessant fand ich in diesem Fall das gezielte Einwanderungsprogramm von isländischer Seite.

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