erschienen bei Hoffmann und Campe
Als der junge Isländer Ljot mit seinem Ziehvater nach Norwegen reist, lernt er dort Vigdis, die Tochter eines reichen und angesehenen Bauern kennen. Die beiden verlieben sich ineinander, aber Vigdis schreckt zugleich vor Ljots unbeherrschter Art zurück. Doch Ljot will nicht länger auf sie warten und vergewaltigt sie – eine Tat, die fortan ihrer beider Leben beeinflusst.
Sigrid Undset, die 1882 geborene norwegische Schriftstellerin, ist vor allem durch ihren dreibändigen Roman Kristin Lavranstochter bekannt, für den sie 1928 den Literaturnobelpreis erhielt. Da Norwegen dieses Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse war, wurde nun ihr Erstlingswerk Viga-Ljot und Vigdis von Gabriele Haefs neu übersetzt.
Es handelt sich bei diesem Roman, der wohl um das 10. Jh. herum angesiedelt ist, nicht um einen gängigen historischen Roman, denn die Autorin hat diesen im Stil einer altisländischen Saga verfasst. Wer schon länger auf meinem Blog mitliest, kann sich vielleicht noch daran erinnern, dass ich vor Jahren für meine (mittlerweile abgebrochene) Dissertation Unmengen von Isländersagas gelesen habe. Ich bin mit dem Genre also ganz gut vertraut und fand es beeindruckend, wie gut Sigrid Undset den Stil der Sagas einfängt. Die Erzählweise ist schlicht und nüchtern, aber dennoch sehr bildreich; die Figuren werden vor allem durch Handlungen und Dialoge charakterisiert. Auch die Themen rund um Handelsreisen, Familienfehden und Racheschwüre sind sehr typisch für Sagas.
Ganz im Mittelpunkt der Handlung stehen Ljot und Vigdis, deren Geschichte zunächst romantisch beginnt, dann aber schnell ins Gegenteil umschlägt. Vigdis, die sich zu dem gutaussehenden jungen Mann hingezogen fühlt, wird unsicher, als Ljot sich bei einem Vorfall sehr jähzornig und arrogant verhält. Ljot wiederum, der sich ihrer schon sicher war, will ihre Ablehnung nicht akzeptieren und glaubt, dass er sie durch die Vergewaltigung zu einer Heirat zwingen kann. Aber Vigdis nimmt lieber die Folgen einer unehelichen Schwangerschaft auf sich und schwört Ljot Rache.
Sigrid Undset spricht in diesem Roman sehr moderne Themen an – es geht um Selbstbestimmung, um einen Mann, der die Zurückweisung einer Frau nicht akzeptieren will und auch um die persönlichen und gesellschaftlichen Folgen einer Vergewaltigung. Interessant finde ich die doppelt historische Ebene: Undset verlegt die Geschichte ins frühe Mittelalter, schreibt selbst aus der Sicht vom Beginn des 20. Jahrhunderts und dennoch behandelt sie darin Fragen, die heute noch relevant sind.
Zudem schildert die Autorin sehr eindrucksvoll, wie Ljot mit seiner Tat ihrer beider Leben zerstört. Vigdis ist fortan von Hass und den Gedanken nach Rache erfüllt, lehnt zunächst ihren Sohn ab und legt dann ihm die Bürde der Rache auf. Ljots Leben ist hingegen von Schuldgefühlen und Gedanken an Vigdis bestimmt; er findet in Island in seiner Ehe kein Glück und lässt sich immer wieder von seinem gekränkten Ego zu unbedachten Taten verleiten, die zu seinem sozialen Abstieg führen.
Ich fand „Viga-Ljot und Vigdis“ sehr faszinierend zu lesen. Es ist eine düstere und traurige Geschichte, die sich stimmig in die erzählte Zeit einfügt, aber dennoch in vielen Aspekten zeitlos wirkt. Mich hat außerdem sehr beeindruckt, wie gut Sigrid Undset den Stil der Sagas einfängt. Einen modern erzählten Roman darf man daher nicht erwarten, aber gerade das macht den Reiz dieses Buches aus und ich bin froh, dass es im Zuge des Gastlandauftrittes nun wieder entdeckt wurde.
Das Buch hat es kürzlich in mein Blickfeld gespült und ich war gleich gefangen. Aber irgendwie habe ich mich dann doch nicht herangetraut. Scheint, als hätte ich etwas verpasst. Sollte es mir noch einmal über den Weg laufen, werde ich noch mal genauer hinsehen.
Ich tu mir ja etwas schwer mit der Einschätzung, wem ich das Buch empfehlen würde, weil der Sagastil halt doch recht ungewöhnlich ist. Aber ich persönlich finde auf jeden Fall, dass sich die Lektüre lohnt!