Krimi/Thriller Rezensionen

Megan Miranda – Der Pfad

erschienen bei Penguin

Seit zehn Jahren arbeitet Abby als Rezeptionistin in einem Hotel in Cutter’s Pass, das an einem Zubringer zum Appalachian Trail liegt und daher bei Wanderern sehr beliebt ist. Traurige Bekanntheit erlangte der Ort allerdings vielmehr durch das Verschwinden der sogenannten „vier Burschenschaftler“ vor 25 Jahren. Und sie sind nicht die einzigen Menschen, die hier spurlos verschwanden; zuletzt kehrte ein Journalist nicht mehr aus der Wildnis zurück. Nun versucht dessen Bruder Trey West herauszufinden, was damals geschah. Umso mehr Fragen er stellt, umso mehr zweifelt auch Abby daran, ob sich die Verschwundenen wirklich nur in den Bergen verirrt haben – oder ob die Gefahr nicht in Cutter’s Pass selbst lauert.

Dieses Buch war ein Zufallsfund in der Bücherei, der sich für mich sehr gelohnt hat. Der Roman wird aus der Ich-Perspektive von Abby erzählt, einer jungen Frau Ende 20, die als Rezeptionistin im „Passage Inn“ arbeitet. Sie lebt zwar schon seit zehn Jahren in Cutter’s Pass, fühlt sich aber noch immer ein bisschen als Außenseiterin. Die meisten in dem kleinen Ort sind Alteingesessene, die hier geboren wurden und die untereinander zusammenhalten. Das Verschwinden von vier Männern vor 25 Jahren machte Cutter’s Pass bekannt und brachte ihm einen nicht unerheblichen Teil an Katastrophentourismus ein, aber seit in den darauffolgenden Jahren noch weitere drei Menschen verschwanden, sind Fragen bei den Bewohnern ziemlich unbeliebt geworden. Abby, die selbst erst nach den ersten Vermisstenfällen hierher kam, zeigt sich hingegen Trey West gegenüber aufgeschlossener und muss sich bald eingestehen, dass sie wohl nicht ganze Wahrheit kennt. Gemeinsam versuchen sie der Sache auf den Grund zu gehen und stoßen dabei immer wieder auf hartnäckiges Schweigen.

Ich bin mir nicht sicher, ob „Thriller“ wirklich die passende Genrezuordnung für diesen Roman ist. Die Erzählweise ist sehr ruhig und zunächst geht es vor allem darum, den Ort mit seinen Menschen kennenzulernen. Megan Miranda baut dabei eine schöne Atmosphäre auf, die einerseits düster ist, zugleich aber auch irgendwie behaglich ist. Das Passage Inn liegt recht einsam ein Stück abseits des Ortes und hat immer wieder mit Problemen mit den Telefonleitungen und der Internetverbindung zu kämpfen. Dadurch entsteht das Gefühl einer lauernden Gefahr, aber auf der anderen Seite konnte ich mir auch richtig gut vorstellen, wie es sich die Gäste hier heimelig machen, auf Wanderungen gehen und abends gemütlich in der Lobby ein Buch lesen. Ich denke, dass dieses zwiespältige Gefühl auch dadurch hervorgerufen wird, dass Abby zwar einige beängstigende Situationen erlebt, zugleich aber auch spürbar am Hotel hängt und es als ihr Zuhause betrachtet. Im Laufe des Romans wird das Gefühl einer Bedrohung stärker, als Abby immer öfter Lügen aufdeckt und bald nicht mehr weiß, wem sie vertrauen kann. Trotzdem bleibt die Spannung die ganze Zeit eher unterschwellig und es gibt kaum jemals richtige „Action“.

Ich kann also sehr gut nachvollziehen, weshalb die Meinungen zu dem Buch recht durchwachsen sind und viele es als etwas langweilig empfinden. Bei mir hat die ruhige Erzählweise und die düstere, aber nicht zu unheimliche Stimmung hingegen genau meinen Nerv getroffen. Ich lese zwar gerne Thriller, finde sie aber oft zu blutig oder gruselig.

Die Auflösung schließlich fand ich solide. Es gab ein paar Überraschungen, aber keine allzu unerwarteten Wendungen und das meiste fügt sich stimmig ineinander. Gleichzeitig sollte man über manche Details vielleicht nicht zu genau nachdenken, da nicht alles hundertprozentig Sinn ergibt.

Ich habe mich auch ein wenig daran gestört, dass mehrere Vermisstenfälle an einem Ort so vergleichsweise gelassen hingenommen werden, allerdings ist das in den USA möglicherweise schon denkbar. Der Journalist Jon Billman schätzt in seinem Buch “The Cold Vanish”, dass derzeit etwa 1600 Menschen vermisst werden, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten in amerikanischen National Parks verschwunden sind. Und es gibt etliche Fälle von Wanderern, die sich bei einem vermeintlich kleinem Abstecher von einem vielbegangenen Trail tagelang verirrt haben. Da in dem Roman viele Wege rund um das Passage Inn als ziemlich anspruchsvoll beschrieben werden und die Vermissten großteils schlecht ausgerüstet und unerfahren waren, ist das also vielleicht nicht ganz so unglaubwürdig.

Alles in allem ein schöner Roman, den ich vielleicht als „cosy thriller“ bezeichnen würde. Wer auf rasante und actionreiche Spannung hofft, wird hiermit vermutlich nicht glücklich werden, aber mir gefiel „Der Pfad“ bis auf ein paar Kleinigkeiten sehr gut. Und er hat mir Lust darauf gemacht von Megan Miranda noch mehr zu lesen.

3 thoughts on “Megan Miranda – Der Pfad

  1. Die Information über die vermissten Personen in US-National-Parks finde ich erschreckend (und spannend) und deine Rezension macht mir überraschend große Lust auf „Der Pfad“. Nachdem ich jahrelang keinen Thriller mehr lesen mochte, habe ich beim letzten Bibliotheksbesuch spontan zwei dicke Thriller mitgenommen – jetzt muss ich nur noch rausfinden, ob ich wirklich wieder Lust auf das Genre habe oder nicht. „Der Pfad“ ist schon mal im Bestand meiner Bibliothek vorhanden und noch so einige andere Titel der Autorin – mal schauen, ob ich bei meinem nächsten Besuch danach Ausschau halte.

    1. Dann bin ich mal gespannt, wie es dir mit den beiden Thrillern geht! „Der Pfad“ spaltet wohl ein bisschen die Meinungen, also falls du es damit probierst, hoffe ich sehr, dass er dir gefällt.

      1. Nach etwas Nörgeln, weil ich so lange kein aus dem Englischen übersetztes Buch gelesen hatte und sich das so verkehrt anfühlte, habe ich meine Bibliotheksausleihen erstaunlich schnell gelesen. Jetzt muss ich nur schauen, wann ich das nächste Mal in die Innenstadt komme und ob dann auch „Der Pfad“ gerade verfügbar ist.

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