ungekürztes Hörbuch
gelesen von Martin Jarvis
erschienen bei Canongate Faber Audio
Nobelpreis-Challenge
Hörbuch-Challenge
Als eine Gruppe von sechs- bis zwölfjährigen Jungen wegen eines Atomkriegs evakuiert wird, stürzt das Flugzeug ab und die Kinder finden sich auf einer unbewohnten Insel wieder. Unter der Führung des vernünftigen Ralph entfachen sie ein Signalfeuer und beginnen mit dem Bau von einfachen Hütten. Doch bald verlieren die meisten das Interesse an diesen langweiligen Tätigkeiten. Vor allem die von Jack angeführten „Jäger“ haben ihre eigene Vorstellung davon, wie das Leben auf der Insel aussehen soll. Als auch noch Gerüchte von einem „Monster“ aufkommen, eskaliert die Situation.
Ich habe diesen Roman schon einmal für den Englischunterricht gelesen, allerdings habe ich mir damals mit der Sprache noch sehr schwer getan und daher vieles nicht verstanden. Deshalb hatte ich schon lange vor, ihn noch einmal zu lesen und dieses Mal hoffentlich mehr mitnehmen zu können.
Am Beginn war ich sehr überrascht, wie viel simpler ich die drei Hauptfiguren und ihre Beziehung zueinander im Kopf hatte: Da sind der besonnene Ralph, der aggressive Jack und ein intelligenter Junge, der wegen seines Übergewichtes von allen nur „Piggy“ genannt wird (tatsächlich erfährt man nie seinen richtigen Namen). In meiner Erinnerung gab es von Anfang an Konflikte zwischen Jack und Ralph, die einander als „gute, geordnete“ und „böse, chaotische“ Seiten gegenüberstanden.
So einfach ist es aber dann doch nicht. Die beiden Jungen kommen trotz unterschwelliger Spannungen zunächst gut miteinander aus und scheinen einander auch gut zu ergänzen. Der „gute“ Ralph behandelt außerdem Piggy nicht viel besser als die anderen Kinder und zieht ihn mit seinem Körpergewicht, seinem Spitznamen und seinen diversen Beschwerden (u.a. Asthma) auf.
Dabei ist Piggy aus meiner Sicht der eigentliche Held: Er ist intelligent, hat klare moralische Ansichten und hält unverrückbar an der Vorstellung von einer Ordnung fest. Diese wird durch ein Muschelhorn symbolisiert, das dazu genutzt wird, Versammlungen einzuberufen und zu markieren, wer gerade sprechen darf.
Der Zerfall der Ordnung und die Nichtbeachtung des Muschelhorns gehen Hand in Hand. Jack ist der erste, der sich gegen Ralph auflehnt und mit ihm seine Jäger. Es entsteht eine gefährliche Gruppendynamik, die zu einer vollständigen Spaltung der beiden Gruppen führt. Auf der einen Seite steht Ralph, der ein diszipliniertes, „erwachsenes“ Leben festzuhalten versucht und das Erhalten des Signalfeuers als wichtigste Tätigkeit überhaupt betrachtet (um in die geordnete, zivilisierte Welt zurückkehren zu können). Auf der anderen Seite steht Jack, der mit Freuden die Regeln der Erwachsenen hinter sich lässt und sich ungezügelt der Wildschweinjagd, dem Kampf gegen das Monster und Tänzen um das Lagerfeuer hingibt. Alle, die sich ihm nicht anschließen, betrachtet er letztendlich als Feinde, auf die ebenfalls Jagd gemacht werden muss.
Die Vorgänge auf der Insel sind umso erschreckender, weil sie so realistisch sind. Zuerst kann und mag man sich nicht vorstellen, dass die Situation derartig eskalieren wird und doch war ich nicht sehr überrascht, als es soweit kam. Der Roman mag Gruppenkonflikte und daraus resultierende Gewaltbereitschaft zwar ein wenig übertreiben, aber es ist doch alles andere als aus der Luft gegriffen.
Ich bin froh, dass ich den Roman nun – mit besseren Englischkenntnissen – nochmal gelesen bzw. gehört habe. Die Lesung von Martin Jarvis hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich die Stimme, die er Piggy verliehen hat, etwas arg klischeehaft fand. Allerdings sind die Figuren schon im Roman teilweise recht stereotyp angelegt, was auch mein einziger Kritikpunkt ist.
Sehr spannend fand ich übrigens die vielen Parallelen zu „Lost“, die mir umso mehr aufgefallen sind, da ich derzeit gerade die Serie noch einmal schaue. Es ist klar erkennbar, dass die Serie in vielen Dingen durch den Roman inspiriert wurde – sowohl auf der strukturellen Ebene, als auch in kleinen Details (etwa das Motiv des Fallschirmspringers).
Das hat für mich die Lektüre dieses Mal umso interessanter gemacht, zumal „Lost“ nicht als ein billiger Abklatsch daherkommt, sondern eher die grundlegenden Konflikte auf eine ganz eigene Weise umsetzt.
Weniger gelungen finde ich übrigens die Verfilmung des Romans von 1990 (es gibt auch eine aus dem Jahr 1963, die ich aber nicht kenne), die die Charaktere noch deutlich klischeehafter anlegt und sich sonst ganz auf die reine Handlungsebene konzentriert.
Ich glaube, ich habe in der Schule mal den Film gesehen – und fand ihn irgendwie schräg.^^ Also, meins war es (damals zumindest) definitiv nichts.
Was du aber über das Buch schreibst, klingt dann doch gar nicht so schlecht. Doch ich glaube trotzdem, dass mich die Kinder mit ihren Problemen nerven würden. Ich glaube, die negativen Eindrücke bringen mich nicht so schnell dazu, das Buch zu lesen.
Inwiefern haben dich denn die Probleme der Kinder genervt? Ich finde die eigentlich so … hm … universal, das sind ja im Grunde Konflikte der menschlichen Gesellschaft ganz allgemein, dass ich sie gar nicht so recht als nur Probleme dieser Kinder betrachten kann.
Ja, das stimmt schon. Ich meine damit mehr die Richtung, dass ich es irgendwie ziemlich deprimierend fand zu sehen, was sich die Kinder gegenseitig antaten. Wenn ich das recht in Erinnerung habe, wurde es ja zunehmend gewalttätiger?
Klar, damit ist es quasi genau ein Abbild unserer Gesellschaft, doch wenn man objektiv draufschaut, wäre es ja rational, wenn die Leute sich in so einer schwierigen Situation helfen würden. Stattdessen setzt jeder irrational seine eigenen Vorstellungen durch. Aber so sind Menschen halt.
Achso, ich hab dich vorher falsch verstanden. Ich habe das "dass mich die Kinder mit ihren Problemen nerven würden" so aufgefasst, dass du die Probleme eher als kindisch-nervig empfunden hättest.
Aber ja, es wird zunehmend gewalttätig und das Buch ist ziemlich deprimierend.
Habe mich auch falsch ausgedrückt. Dadurch, dass die Kinder natürlich im Fokus des Filmes stehen, habe ich mich auch nur auf die bezogen. Da hast du also schon recht, das war doch recht missverständlich. 😉 Aber die Verständigung hat ja trotzdem noch geklappt.^^
Es ist schon etwas her, seit ich der Herr der Fliegen gelesen habe, aber ich weiß noch, dass ich es damals sehr verstörend fand, wie die ursprünglich geordnete Lage auf der Insel eskaliert.
Piggy habe ich damals allerdings nicht als Helden wahrgenommen und würde es wohl auch nach einem erneuten Lesen nicht (was zu beweisen wäre), weil er nur wenig Einfluss auf die anderen ausübt und die Moral sozusagen nur für sich selbst hochhält.
Das mit Piggy stimmt einerseits, aber andererseits zeigt er doch immer wieder die Courage, offen gegen Jack zu reden. Und ich hatte außerdem das Gefühl, dass er zu einem Anker für Ralph wird, als dieser zum Ende hin immer wieder diese Aussetzer hat.
Ich finde es immer wieder spannend, Rezensionen zu Büchern zu lesen, die ich selbst gelesen habe. 🙂
Mir fällt zum Beispiel auf, dass du in deiner Rezension den Fokus sehr auf Piggy legst. Ich finde auch, dass Piggy so etwas wie die gute Seele der Jungs war, irgendwie der letzte moralische Fingerzeig in dem Roman und doch habe ich ihn in meiner Rezension gar nicht erwähnt.
Beim Lesen habe ich vielmehr das Böse wahr genommen und Piggy als Opfer dessen, der ein Mittel zum Zweck war, die Bösen auch böse darzustellen.
Ich finde es interessant, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen sind und worauf sich verschiedene Leute beim selben Roman fokussieren. 🙂
Bei Interesse findest du meine Rezension hier:
http://lesenundgrossetaten.blogspot.de/2014/04/william-golding-herr-der-fliegen.html
Ich denke, dass das auch Goldings hauptsächliche Intention war – eben das Böse zu zeigen und Piggy dazu als Mittel zum Zweck einzusetzen.
Trotzdem habe ich persönlich den Roman etwas anders wahrgenommen.
Schön, dass du wieder bloggst – ich muss mich mal durch all die Beiträge durchlesen, die du in der letzten Zeit geschrieben hast. Durch die lange Pause habe ich ganz übersehen, dass es nun wieder etwas von dir zum Lesen gibt. 🙂