Sharon Shinn – The Shape-Changer’s Wife
Dieser Roman ist ein kleines Juwel phantastischer Literatur. In dem recht dünnen Buch soll der talentierte Magier Aubrey von dem Gestaltwandler Glyrenden unterrichtet werden. Doch schon bei seiner Ankunft merkt Aubrey, dass rund um den erfahrenen Magier einiges seltsam ist. Als er schließlich hinter die dunklen Geheimnisse kommt, ist er bereits tief in das Leben von Glyrenden und dessen Frau verstrickt.
Mich hat Sharon Shinns Roman ein wenig an Patricia McKillip erinnert: Es gibt Rätsel und Geheimnisse und hinter der vordergründig ruhigen Handlung einen äußerst faszinierenden Plot. Und auch Shinns Schreibstil besticht durch wunderschöne Beschreibungen und eine interessante, ganz und gar unkitschige Liebesgeschichte. Anders als McKillips Romane ist „The Shape-Changer’s Wife“ aber recht leicht zugänglich und die Rätsel hat man als Leser schneller gelöst als Aubrey selbst. Das macht aber gar nichts, zumal das leichte Gänsehaut-Gefühl, das in dem Roman aufkommt, dadurch keineswegs zerstört wird.
Wer etwas andere, ruhige Fantasyliteratur mag und eine Freude an stimmungsvollen Beschreibungen und interessanten Figuren hat, sollte unbedingt mal einen Blick in diesen Roman werfen. Bei mir war das mit Sicherheit nicht das einzige Buch, das ich von dieser Autorin gelesen habe.
5 von 5 Sternchen
Hannes Stein – Der Komet
Hannes Stein entwirft in seinem Roman eine schrullige Alternativwelt, in der Franz Ferdinand nach dem ersten gescheiterten Attentat Sarajevo den Rücken kehrt. In der Folge finden weder der Erste noch der Zweite Weltkrieg statt, das Kaiserreich Österreich-Ungarn besteht weiter, in Wien blüht eine reiche jüdische Kultur und Amerika ist ein Kontinent der Hinterwäldler. Die Deutschen haben inzwischen begonnen den Mond zu besiedeln und machen in der dortigen Forschungsstelle die beunruhigende Entdeckung, dass ein Komet Kurs auf die Erde genommen hat.
Klingt schräg? Ist es auch. Anfangs habe ich mich auch prächtig amüsiert – vor allem mit Steins charmant-biederer alternativen Historie, die ein verschlafenes Wien präsentiert, das irgendwo zwischen Jahrhunderwende und Zukunft zu stecken scheint. Leider fand ich den Roman insgesamt dann doch nicht so überzeugend. Vieles an seiner Version der Gegenwart ist für mich nicht wirklich durchdacht – manches hätte sich mit Sicherheit auch ohne die Weltkriege geändert. Oft wirkt auch der Humor mit all seinen Anspielungen auf die tatsächliche Gegenwart ein wenig erzwungen.
Die Handlung schließlich ist dermaßen dünn, dass sie den Roman kaum über seine knapp 300 Seiten hinwegtragen kann. Es geht sowohl um einen schüchternen Studenten, der sich in eine gefeierte Schönheit verliebt, als auch um Psychoanalyse und den drohenden Weltuntergang. Nicht einmal letzterer lässt allerdings den Puls beim Lesen höherschlagen.
Der Roman hat mich amüsiert und ein melancholisches „Was wäre wenn“-Gefühl in mir hinterlassen, aber letztendlich hat er mich weder auf der Handlungsebene noch mit seinem alternativen Geschichtsentwurf überzeugt.
3 von 5 Sternchen
T. C. Boyle – América
Das Gratisbuch der Stadt Wien von 2013 stammt bereits aus dem Jahr 1995, hat aber nichts von seiner Brisanz und Aktualität verloren. Es beschäftigt sich mit dem Thema der illegalen Einwanderung und betrachtet dieses aus dem Blick sowohl einer vermeintlich liberalen Mittelstandsfamilie als auch zweier illegaler Einwanderer aus Mexiko.
Direkt mit den Einwanderern konfrontiert, stößt die Toleranz des etwas verplanten Journalisten Delaney schnell an seine Grenzen und er sieht sich bald „gezwungen“, seine amerikanischen Werte und sein schönes Haus zu verteidigen. Cándido und seine junge Frau América hingegen stellen schnell fest, dass der amerikanische Traum für Menschen wie sie unerreichbar ist, und sie können sich kaum mit schlechten Jobs über Wasser halten. Da sie sich keine Wohnung leisten können, schlagen sie ein improvisiertes Lager in einem Canyon auf, aber nicht einmal diese kleine Heimat scheint ihnen vergönnt zu sein.
„América“ ist ein interessantes, sehr fesselnd geschriebenes Buch, in dem die Grenzen zwischen Gut und Böse gänzlich verschwimmen. Ich halte es auch für ein wertvolles Buch, das man durchaus einmal gelesen haben sollte. Gleichzeitig fand ich es aber dermaßen deprimierend, dass es mir stellenweise einfach zuviel wurde. Ja, ich bin mir sicher, dass es realistisch ist und es Schicksale wie die von Cándido und América zuhauf gibt. Dennoch hätte ich mir ab und zu einen Lichtblick gewünscht und, um ehrlich zu sein, auch den einen oder anderen wirklichen Sympathieträger. Ein lesenswerter, zugleich aber auch sehr trister Roman, der mich beim Lesen stellenweise sehr frustriert hat.
4 von 5 Sternchen
Hm, mal sehen, "Der Komet" liegt bei mir schon rum. Und "America" habe ich vor X-Jahren gelesen und fand es damals sehr gut. Aber auch sehr deprimierend, ich hatte nie Lust, es nochmal zu lesen. 😉
Ich glaube auch nicht, dass ich "America" so schnell nochmal lesen werde …
Auf deine Meinung zu "Der Komet" bin ich schon gespannt. 🙂