Bei der folgenden Figur aus meinem Roman „Bühnenzauber“ handelt es sich um eine recht rätselhafte Person, bei der es mir schwer fällt sie zu beschreiben, da ich nicht zuviel über sie verraten möchte.
Ich lasse vorerst Keil Stronden, den königlichen Geschichtsschreiber, zu Wort kommen, der bei ihrer Beschreibung prompt ins Schwärmen gerät:
Ich wage zu behaupten, dass wir am Kronner Königshof durchaus vom Anblick schöner Frauen verwöhnt sind. Und doch ist es keine adelige Frau, keine Tochter eines Fürsten, die hier in der Hauptstadt schwärmerisch als „Rose von Kronn“ bezeichnet wird, sondern eine Schauspielerin.
Im Blütemond 1420 n. F. trat in einem kleinen Theater erstmals jenes Mädchen auf, das die folgenden zwei Jahre Tausende von Zuschauern in Verzückung versetzen sollte. Andalind hieß die Schauspielerin, die zunächst nur Helborgs treue Dienerin spielte. Doch mit ihrer klaren, deutlichen Stimme, den roten Locken und ihrer wohlgeformten Gestalt fiel sie allen auf. Dazu kam, dass sie die Rolle der Dienerin so überzeugend und lebhaft darstellte, dass die Zuschauer sofort von ihr begeistert waren.
Es dauert nicht lange, ehe Andalind Helborg selbst spielte und die Schauspielergruppe vom königlichen Theater auf sie aufmerksam wurde. So kam es, dass die junge Frau ein Jahr später in Kronns größtem Theater auf der Bühne stand.
Mit diesem Text nahm alles seinen Anfang. Ich hatte damals ein Porträt gezeichnet und mir überlegt, wer die junge Frau sein könnte. Schließlich formte sich in meinem Kopf das Bild einer gefeierten Schauspielerin, die eine ganze Stadt zum Schwärmen brachte. So entstand dann der Text des besagten Geschichtsschreibers, der natürlich noch länger ist – aber ich möchte hier ja nicht Andalinds gesamte Lebensgeschichte erzählen.
2009 zeichnete ich dann ein neues Bild von Andalind und dachte über ihre letzte große Rolle nach. Und so formte sich um sie und um jenes Theaterstück allmählich ein Roman.
„Bühnenzauber“ beginnt damit, dass Andalind ans königliche Theater geholt wird – und dass der Dichter Gabran sich unsterblich in sie verliebt.
Er formt sich in seinem Kopf schnell ein Bild von ihr, eine Idealvorstellung gewissermaßen, und oft bin ich mir selbst beim Schreiben nicht sicher, ob Andalind so ist oder ob nur er sie so sieht. Daran erkennt man schon, dass ich mit ihrem Charakter so meine Probleme habe.
Der Punkt ist: Sie spielt auch im wirklichen Leben eine Rolle. Nicht immer und nicht immer dieselbe. Vielmehr passt sie sich den Gegebenheiten an und ist dann die Person, die sie in der jeweiligen Situation am ehesten sein sollte. Sie ist schwer zu beschreiben – und sie ist auch schwer zu schreiben. Sie ist eben ein Rätsel – und in dem Roman, in dem es mehrere Rätsel gibt, ist sie vermutlich das größte.
Natürlich weiß ich noch mehr über sie als das wenige, was ich hier geschrieben habe. Allerdings kann ich kaum etwas über ihr wahres Ich preisgeben, ohne damit gleich zuviel über das Ende des Romans zu verraten. Für Gabran ist Andalind auf alle Fälle ein sanftes Mädchen, das es schafft, direkt in seine Seele zu blicken. Und obwohl er sich da ein Bild von ihr macht, das nicht völlig zutrifft, sieht er zugleich doch mehr von ihrem wahren Ich als vielleicht jeder andere.
Es ist kompliziert mit ihr …
Und mit diesen dürften Informationen beende ich auch diesen Beitrag bereits wieder – und mit einer kurzen Szene natürlich. Gabran und Herun sind hier im „Konkurrenz“-Theater und sehen sich Andalind an. Ja, Gabran ist ein Schwärmer und neigt zu Übertreibungen (und zum exzessiven Gebrauch von Adjektiven) …
Schließlich verschwand der Bote und eine klare, deutliche Stimme durchdrang die Stille: “Danhild, ich sah, wie der Bote ging. Sag mir: Gibt es freudige Nachrichten von meinem Vater?”
Gabran richtete sich interessiert auf. Was für eine wunderbare Bühnenstimme. Trotz ihrer Jugend war sie eher tief und hatte einen angenehmen, weichen Klang. Kein Akzent war ihr zu entnehmen, kein Wort war undeutlich gesprochen oder vernuschelt, wie es bei Susa so oft der Fall war.
Die Schauspielerin trat durch den mittleren Durchgang auf. Ein Raunen lief durch die Zuschauerreihen, und Gabran hielt unwillkürlich den Atem an. Rotbraune Locken umrahmten ein ebenmäßiges Gesicht, die hellbraunen Augen schienen ihn direkt anzublicken. Ein raffiniert geschnürtes Kleid brachte ihre zarten Rundungen wunderschön zur Geltung. Das Alter der Schauspielerin war schwer einzuschätzen. Sie wirkte gleichermaßen wie ein unschuldiges Mädchen und eine reife Frau. Erst, als sie neben die Dienerin trat, merkte Gabran, dass sie eher klein war. Bei ihrem Auftritt hatte sie groß gewirkt, vielleicht, weil sie sich so aufrecht hielt, vielleicht aber auch, weil sie die Bühne alleine auszufüllen schien.
“Hübsches Mädchen”, stellte Herun neben ihm fest.
Hübsch? Gabran streifte seine Schwester mit einem tadelnden Seitenblick. Diese Andalind war nicht einfach hübsch, sondern eine echte Schönheit. Ein Mädchen, das auf die Bühne gehörte, das eben jenen Bühnenzauber besaß, der Susa fehlte.
Das restliche Stück hindurch konnte Gabran die Augen nicht von ihr wenden. Alle anderen Schauspieler wirkten bedeutungslos neben ihr. Niemand sprach so deutlich, traf mit einem solchen Gefühl die richtigen Betonungen. Andalind war Helborg, mit jeder Faser ihres Körpers. Trauer, Freude, Liebe, Leid … nichts davon wirkte aufgesetzt.
Sie brauchten dieses Mädchen für ihr Theater, um jeden Preis.
Sehr interessant. Die gute Frau ist mir zwar nicht im Geringsten sympathisch, aber ich bin sooo neugierig auf den Roman …
Coppi
Da geht's mir genauso wie Coppi. Will das leeesen! 😉
Ich muss ja sagen, dass mir Andalind als Figur zumindest sympathischer ist als Gabran. Aber ich kenn ja auch ihr wahres Ich, und das mag ich eigentlich sehr.
Diesmal ein "wow" für deine Zeichenkünste!
Oh, dankeschön! An dem Bild bin ich auch echt lange gesessen – soviel Mühe gebe ich mir nicht immer.
Liebe Neyasha,
Schon seit Tagen will ich dir zu diesem Beitrag einen Kommentar hinterlassen und nun endlich komme ich dazu 🙂
Ich muss ja gestehen, ich liebe rätselhafte Charaktere und mit der Verbindung deiner Zeichnung, wird Andalind für mich noch viel interessanter.
Ein wirklich ausgezeichnetes Bild, Hut ab!
Lieber Nachtgruss,
mirjam