Genre: Gesellschaftsroman
Seiten: 479
Verlag: Hoffman und Campe
ISBN: 978-3455051827
Meine Bewertung: 5 von 5 Sternchen
Wie ein kleines Paradies wirkt die Holzfällerstadt Commonwealth, deren Gründer Charles Worthy einen Gegenpunkt zu Ausbeutung und Unterdrückung setzen möchte. Als während des 1. Weltkriegs die Spanische Grippe ausbricht, beschließt Charles, die Stadt zum Schutz vor der Krankheit von der Außenwelt abzuschotten. Doch als kurz darauf ein halbverhungerter Soldat in der Stadt Zuflucht suchen möchte, beginnt die scheinbar perfekte Gesellschaft allmählich auseinanderzubrechen.
Diesem Roman habe ich es zu verdanken, dass ich heute todmüde bin. Als ich gestern im Bett noch ein paar Seiten lesen wollte, war ich etwa bei der Hälfte. Drei Stunden später – um etwa 3 Uhr in der Früh – habe ich das Buch nach der letzten Seite zugeklappt …
Dies ist wohl einer der besten Zufallsfunde, den ich jemals in der Bücherei gemacht habe.
Dies ist wohl einer der besten Zufallsfunde, den ich jemals in der Bücherei gemacht habe.
Es ist ein sehr klassisches Thema, das Mullen in diesem Roman aufgreift: Eine vermeintlich ideale Gesellschaft wird auf die Probe gestellt und droht in der Krise kläglich zu scheitern. Dieser Grundplot mag nicht der originellste sein, aber der Autor hat ihn fesselnd und eindringlich umgesetzt.
Gleich zu Beginn werden Philip, der sensible Adoptivsohn von Charles, und sein Freund beim Wachdienst vor die schwere Entscheidung gestellt, wie sie mit dem Soldaten verfahren sollen. Man wird also mitten hineingeworfen in eine ausweglos erscheinende Situation und in einen inneren Konflikt, der sich durch das gesamte Buch zieht: Wie weit darf man gehen, um das Wohl der Stadt zu schützen? Zählt ein Einzelner weniger als das Gemeinwohl? Was ist in so einer Krise richtig und falsch, wenn es um den Schutz der Familie geht?
Durch Rückblenden erfährt man mehr über das Leben der Menschen in Commonwealth und ihren Alltag vor dem Ausbruch der Seuche. Schnell nimmt man Anteil am Schicksal von Philip und dem der anderen Figuren und man wünscht sich, dass diese Gemeinschaft weiter so bestehen kann. Natürlich wird aber schnell klar, dass die Stadt die Krise nicht unbeschadet überstehen kann. Manche Entscheidungen werden nicht von allen gutgeheißen, und so brodelt es bald heftig unter der Oberfläche.
Der Krieg im fernen Europa, der doch stets allgegenwärtig ist, und die Bedrohung durch die gefährliche Grippe schüren eine tiefe Angst in den Menschen, die in manchen das beste, in manchen aber leider auch das schlechteste zutage fördert. Freundschaften und eine zarte Liebe sorgen zwar für lichte Momente, aber dennoch liegt über dem gesamten Roman eine düstere, unheilvolle Stimmung, die mich letztendlich immer weiter und weiter lesen ließ – in der Hoffnung, es möge sich doch noch alles zum Guten wenden.
„Die Stadt am Ende der Welt“ ist ein wirklich spannender und ungemein gut geschriebener Roman, der allerdings auch schmerzhaft zu lesen ist. Wer eine optimistische Lektüre bevorzugt, wird mit dem Buch daher vermutlich nicht ganz glücklich werden, aber dennoch kann ich es nur begeistert weiterempfehlen. Ich hatte schon lange kein so eindringliches Leseerlebnis mehr und bin beeindruckt, wie überzeugend Thomas Mullen sowohl die Dynamik in der Stadt als auch die inneren Konflikte der Figuren beschreibt.
Und keine Sorge: Es ist nicht alles völlig hoffnungslos.
Gratuliere! Dann hast du also doch mal wieder ein Buch gefunden, dass dich begeistert hat.
Wie du also selbst schreibst: Es ist nicht alles hoffnungslos.
😉
Oh, das klingt ja super. Muss ich gleich auf meine "Mal lesen"-Liste packen. Danke für den Tipp!
Das ist also das besagte "bis-3-Uhr-lesen"-Buch. 😉