Da sich bei mir noch immer die zu rezensierenden Bücher stapeln, ist es mal wieder an der Zeit für ein paar Kurzrezensionen. „Lautlos“ und dem „Wetter vor 15 Jahren“ hingegen werde ich dann jeweils eine eigene, lange Rezension widmen.
Tanja Kinkel – Das Spiel der Nachtigall
Hörbuch (ungekürzte Lesung)
„Das Spiel der Nachtigall“ erzählt die Geschichte von Walther von der Vogelweide, der als zunächst unbedeutender Sänger mitten in die Auseinandersetzung zwischen Welfen und Staufer gerät und in dieser kriegerischen Zeit einen rasanten Aufstieg hinlegt. In seinem unsteten Leben kreuzt er immer wieder auch die Wege der jüdischen Ärztin Judith, für die er bald mehr empfindet als ihm lieb ist.
Obwohl dieser historische Roman mit Walther und Judith interessante Hauptfiguren zu bieten hat, die sich wohltuend von den sonst oft klischeehaften Protagonisten historischer Romane abheben, war ich mit der Konstellation nicht ganz glücklich. Müssen sich in diesem Genre denn ständig christliche Männer in jüdische Frauen verlieben? Und müssen die Frauen immer in irgendeiner Weise mit der Heilkunst zu tun haben?
Von der Handlung her fand ich den Roman außerdem stellenweise zäh. Den Konflikt zwischen Welfen und Staufer walzt Tanja Kinkel bis ins kleinste Detail aus und traut dabei ihren Lesern offensichtlich nicht zu, Wendungen oder Intrigen zu verstehen, ohne dass sie ihnen genauestens vorgekaut werden. So hüpft sie immer wieder auch in die Köpfe von historischen Persönlichkeiten, die sonst nie wieder die Perspektive erhalten, nur um bestimmte Sachverhalte oder Entscheidungen noch einmal genau aus „erster Hand“ zu erläutern. Zudem fand ich es etwas übertrieben, dass Walther und Judith an praktisch allen wichtigen Ereignissen dieser Zeit direkt oder indirekt beteiligt sind.
Alles in allem fand ich „Das Spiel der Nachtigall“ keinswegs schlecht. Er schlägt einige neue Wege ein, ist flüssig geschrieben und wendet sich mit Walther von der Vogelweide einer faszinierenden Persönlichkeit zu. Das Hörbuch ist außerdem von Uve Teschner und Katrin Fröhlich sehr angenehm gelesen.
Wegen der Kritikpunkte und dem Gefühl, dass dem Roman eine beherzte Kürzung gutgetan hätte, dennoch nur 3 von 5 Sternchen.
Ju Honisch – Schwingen aus Stein
Ich liebe die Romane von Ju Honisch und habe mich daher sehr gefreut, dass es mit „Schwingen aus Stein“ endlich neues von ihr zu lesen gibt. Ihr aktueller Roman ist in demselben Umkreis angesiedelt wie etwa auch „Obsidianherz“, nämlich in Österreich/Süddeutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts, durchmischt mit phantastischen Elementen.
Dieses Mal führt Ju Honisch uns in den bayrischen Wald, wo die Gouvernante Konstanze und ihr Schützling Clarissa in eine magische Auseinandersetzung hineingezogen werden. Magier der Aroria-Loge, fanatische Priester der Bruderschaft des Lichts und allerlei seltsame Wesen geben sich hier quasi ein Stelldichein und die beiden Frauen stehen mittendrin.
Von den altvertrauten Figuren sind leider nur noch Ian McMullen und sein Mentor Douglas Sutton mit von der Partie und ich muss zugeben, dass ich einige andere sehr vermisst habe. Vermisst habe ich außerdem weibliche Figuren, die nicht ständig gerettet werden müssen. Zwar wird Konstanze als resolute Frau eingeführt, aber später ist sie dann doch die ganze Zeit entweder in Tränen aufgelöst oder halb ohnmächtig oder schlichtweg überfordert von all den Ereignissen.
Trotzdem fand ich den Roman bis etwa zur Hälfte ganz grandios: sehr spannend, sehr rasant und mit Ju Honischs üblichem Humor durchsetzt. Danach hatte ich das Gefühl, dass die Handlung manchmal auf der Stelle tritt, obwohl sich die Ereignisse ständig überschlagen und eine Actionszene die andere jagt. Leider hatte ich mit diesen Actionszenen dasselbe Problem wie schon in Jenseits des Karussells: Ich fand sie allzu konfus geschrieben und wusste oft nicht, wer jetzt gerade was macht. Langsame Szenen, in denen es um zwischenmenschliche Beziehungen und Magie geht, sind meiner Meinung nach eher die Stärke der Autorin.
Trotzdem habe ich diesen Roman sehr gern gelesen und fand ihn über weite Strecken auch spannend. Ich mag Ju Honischs Schreibstil und ihre atmosphärische Beschreibung des Settings. An die Vorgängerromane kann „Schwingen aus Stein“ aber nicht ganz heranreichen.
4 von 5 Sternchen
Leo Perutz – Zwischen neun und neun
Wien um 1900: Der Student Stanislaus Demba irrt durch die Stadt und begegnet dabei allerlei Menschen, die von seinem seltsamen Verhalten irritiert sind. Ist er im einen Moment noch freundlich, verhält er sich im nächsten Moment aggressiv; hatte er es gerade noch eilig, trödelt er gleich darauf herum als hätte er alle Zeit der Welt. Was ist nur mit diesem jungen Mann los?
Diese Frage stellt man sich beim Lesen gemeinsam mit den Figuren, denen man über die Schulter blickt, während sie Stanislaus begegnen und über sein eigenartiges Verhalten rätseln. Gerade die ersten Kapitel, in denen Perutz ganz unterschiedliche Situationen und Figuren entwirft und Stanislaus durch einen einzigartigen kleinen Mikrokosmos schickt, sind das beste am ganzen Buch – und das Rätselraten, was mit Stanislaus los sein könnte. Eine ganze Weile vor der Auflösung wurde mir aber leider schon klar, was hinter all dem stecken muss und damit war für mich ein bisschen die Luft draußen. Da dies auch im Roman schon etwa bei der Hälfte erklärt wird, ist er natürlich ohnehin nicht darauf ausgelegt, dass man bis zum Unschluss im Dunkeln tappt.
So schlägt der Roman mit der Auflösung dann auch eine etwas andere Richtung ein und man betrachtet Stanislaus nicht länger von außen, sondern erlebt die weiteren Ereignisse aus seiner Perspektive. Ich muss aber zugeben, dass mir diese zweite Hälfte nicht mehr so gut gefallen hat. Zu sperrig fand ich Stanislaus, zu übertrieben und zwischen Extremen schwankend.
Dafür ist der Roman sprachlich ein Genuss und erweckt Wien um die Jahrhundertwende mit allerlei „typischen“ Figuren grandios zum Leben. Überzeugen konnte er mich – auch dank seines eigenartigen Endes – trotzdem nicht ganz.
3,5 von 5 Sternchen
Auch wenn du ja eigentlich eine eher positive Rezi zu Ju Honisch schreibst, reizt mich das Buch immer noch nicht. Welches war denn bisher dein Highlight von ihr?
"Obsidianherz"?
Das "Obsidianherz" hat mir sehr gefallen, aber mein Highlight war "Jenseits des Karussells". Ich bin mir halt nur nicht sicher, wie weit einem etwas fehlt, wenn man die vorigen Bände und somit die Figuren nicht kennt.
Ah, okay! Ich merke mir die Autorin einfach weiterhin, mal sehen, ob mich nicht doch irgendwann mal ein Buch von ihr anspringt. 😀
Ha, du fasst meine Empfindungen zum "Spiel der Nachtigall" mal wieder besser zusammen als ich. 😉
Hab grad auch deine Meinung zum Buch nochmal gelesen – ja, da hatten wir eh recht ähnliche Kritikpunkte. 😉
Salut, Neyasha.
Ich denke Leo Perutz ist es selbst in seinen durchschnittlichen Büchern wert gelesen zu werden. Immerhin machen sie auch neugierig auf den lange vergessenen Schriftsteller.
Mir kam die nahezu hysterische Irrationalität Dembas dadurch näher, daß er sich – ab einem Zeitpunkt – komplett in seinen fixen Wahn verrannt hat. Wenn ich mich noch recht entsinne, kann er nicht einmal die ein, zwei Gelegenheiten erkennen, um unbeschadet aus der Sache rauszukommen.
Perutz ist entdeckenswert wie eine ganze Reihe seiner zeitgenössischen Dichter Böhmens.
Womit jetzt auch das dritte Buch einen Kommentar abbekommen hätte. 🙂
bonté
Ja, ich hatte auch diesen Eindruck, dass Dembas sich so in seinen Wahn verrannt hat, dass er kaum noch klar sehen kann. Trotzdem war mir das Verhalten einfach zu extrem.
Ich habe dann später auch noch "Nachts unter der steinernen Brücke" gelesen und das hat mir deutlich besser gefallen.