Abenteuer Klassiker Rezensionen

Jules Verne – Die geheimnisvolle Insel

Genre: Abenteuer
Verlag: Audible
Dauer: 22 h 16 min (ungekürzte Lesung)
gelesen von: Reinhard Kuhnert
meine Bewertung: 3 von 5 Sternchen

 

Während des amerikanischen Bürgerkrieges fliehen der Ingenieur Cyrus Smith und einige seiner Mithäftlinge aus einem Gefangenenlager mit einem Ballon. Doch ihre Flucht führt sie vom Regen in die Traufe: Sie stürzen auf einer einsamen Insel mitten im Pazifik ab und sind nun ohne Nahrung und jegliche Hilfsmittel gestrandet. Mit Geschick und Erfindungsreichtum richten sie sich allmählich auf der Insel ein. Doch auf der Insel scheinen seltsame Mächte zu wirken und immer stärker beschleicht sie das Gefühl, dass sie hier nicht allein sind.
„Die geheimnisvolle Insel“ ist einer der weniger bekannten Romane von Jules Verne, der mir selbst in meiner jugendlichen Verne-Phase nie untergekommen ist. Da er außerdem eine lockere Fortsetzung von zwei anderen Romanen des Autors ist, ist es ohnehin empfehlenswert, nicht gleich mit diesem zu beginnen, da man auf jeden Fall davon profitiert, wenn man die Vorgänger bereits kennt (und man sonst für diese gespoilert wird). Leider hat mir das Wissen, um welche zwei Romane es sich dabei handelt, einen großen Teil der Spannung geraubt, da mir so einiges bereits sehr früh klar wurde.
Und ganz ehrlich: Ohne diese Rätsel bleibt nicht mehr sehr viel Spannung übrig. Nicht, dass ich „Die geheimnisvolle Insel“ langweilig gefunden hätte, aber die Handlung plätschert eher gemütlich vor sich hin. Man erlebt mit, wie die Gestrandeten die Insel bewohnbar machen, Tiere zähmen, die Erde beackern und allerlei Gerätschaften bauen. Es macht Spaß zu lesen, wie sie sich aus dem Nichts ihr eigenes kleines Paradies erschaffen. 
Das Problem ist nur, dass alles zu glatt verläuft, die Siedler sich zu perfekt ergänzen: Da sind der Tausendsassa Cyrus Smith, der immer eine Lösung findet, der intelligente Reporter Gideon Spilett, der Seeman Pencroff, der einen eher dummen Eindruck macht, dafür aber ordentlich anpacken kann, dessen Schützling Harbert, der ein wandelndes Tier- und Pflanzenlexikon ist und schließlich Nab, der treu ergebene und fleißige Diener von Smith.
Zwischen den Siedlern kommt es zu keinerlei Unfrieden, es herrscht eine perfekte Harmonie. Hier hat Verne meiner Meinung nach einiges an Konfliktpotenzial verschenkt und dass Smith scheinbar alles kann, alles weiß und von Pencroff nahezu verehrt wird, macht die Sache nicht interessanter.
„Die geheimnisvolle Insel“ ist dennoch ein unterhaltsamer Abenteuerroman, aber alles in allem fand ich ihn zu langatmig und die Figuren vor allem in ihrer Interaktion zu uninteressant. Da habe ich von Verne schon deutlich besseres gelesen.
Die Hörbuchfassung kann ich auch nur bedingt empfehlen. Die sehr beschauliche und langsame Lesung von Reinhard Kuhnert hat etwas von einer gemütlichen Märchenstunde und sorgt nicht gerade für mehr Spannung. 
Außerdem fand ich die Art und Weise, wie er versucht, den Figuren unterschiedliche Stimmen zu geben, nicht sehr gelungen. So, wie er Pencroff liest, wirkt der Seemann noch dümmlicher als schon im Text angelegt und vor allem bei Nab hat Kuhnert völlig daneben gegriffen: Die abgehackte Sprechweise vermittelt den Eindruck, dass er entweder die Sprache nicht gut beherrscht oder aber etwas langsam im Denken ist – beides Interpretationen, zu denen der Roman an sich keinen Anlass gibt. Wenn man eine solche Sprechweise auch noch dem einzigen Schwarzen, einem ehemaligen Sklaven, verleiht, macht das doch einen mehr als zweifelhaften Eindruck. 

10 thoughts on “Jules Verne – Die geheimnisvolle Insel

  1. Reinhard Kuhnert hat bei mir bislang auch keinen sehr guten Eindruck hinterlassen, obwohl ich grundsätzlich – naja, zumindest wenn es passt – ja Märchenonkel-Stimmen mag. Aber seine Interpretation der Figuren gefällt mir in der Regel nicht.

    Von dieser Jules-Verne-Geschichte habe ich auch noch nicht gehört. Klingt, als ob ich die Wissenslücke nicht unbedingt aufholen müsste. 😉

    1. Ich glaube, ich war auch schon mal bei einem anderen Hörbuch wenig begeistert von Kuhnert – mir fällt nur nicht mehr ein, welches es war.

      Von Verne würde ich wirklich andere Romane mehr empfehlen, gerade "In 80 Tagen um die Welt", "20.000 Meilen unter dem Meer" oder "Reise zum Mittelpunkt der Erde" sind nicht von ungefähr so bekannt. Ich mochte aber auch "Von der Erde zum Mond" (samt der Fortsetzung "Reise um den Mond") sowie "Die Kinder des Kapitän Grant" sehr gern.
      Wäre allerdings interessant, ob mir die Bücher auch jetzt noch gefallen würden, oder ob ich die nur als Jugendliche toll fand.

    2. Mir fällt auch nicht mehr ein, bei welchen Hörbüchern ich ihn gehört habe und ich bin zu faul zum Recherchieren. 😉

      Die bekannten Verne-Romane habe ich auch als Jugendliche gelesen. Blöderweise erinnere ich mich kaum noch daran. In letzter Zeit bin ich sehr versucht all diese Romane (ebenso wie die ganzen SF-Klassiker, die ich damals gelesen habe) noch einmal zu lesen, um meine Erinnerungen aufzufrischen. Wenn ich nur etwas mehr Zeit zum Lesen hätte … 😉

    3. Tja, wem sagst du das … Es gibt so viele Bücher von früher, die ich gern nochmal lesen würde, aber ich komm ja schon kaum zu denen, die ich noch nicht kenne. %-)

  2. Ich hab das ja, wie schon mal erzählt, in der deutschen Übersetzung von ca. 1880 gelesen – und fand das allein durch die sprachliche Altmodischkeit interessant. Und solche Anachronismen, daß sich die Herrschaften auch nach jahrelanger Einsamkeit immer noch höflich siezen. *g* Aufregend kann man das Buch wohl nicht nennen, ich mochte es aber trotzdem sehr gern 🙂 Es ist allemal der Eissphinx vorzuziehen und wohl auch der Reise durch die Sonnenwelt, wo auch nicht wirklich was passier 😉

    Gruß
    Vinni

    1. Dass sie sich bis zum Ende siezen, ist mir gar nicht besonders aufgefallen, auch wenn es witzig ist, wenn man drüber nachdenkt. Wenn man allerdings bedenkt, dass sich in der (grottenschlechten) deutschen Sherlock-Synchronisation zwei Mitbewohner nach langer Zeit des Zusammenwohnens noch immer siezen – und das in der modernen Zeit – wird das auch wieder relativiert. *lol*
      Ich hab weder die Eissphinx noch die Reise durch die Sonnenwelt gelesen, da habe ich also keine Vergleichsmöglichkeiten. Es war halt auch der Spannung nicht sehr zuträglich, dass mir von Anfang an klar war, wer der geheimnisvolle Helfer sein muss.

  3. Dank Sprecherverzeichnis auf meinem Blog konnte ich fix gucken, was ich von Reinhard Kuhnert alles gehört habe – unter anderem liest der die Komplettvertonung von "Das Lied von Eis und Feuer", ich werde also noch viele, viele Stunden mit ihm im Ohr verbringen.
    Das mit den individuellen Stimmen ist mir bei den Sachen, die ich so von ihm gehört habe, nicht negativ aufgefallen. Entweder macht er es da besser oder ich habe da eine andere Toleranzschwelle als ihr. 😉
    Wie auch immer: Schade, dass das Hörbuch insgesamt nicht so recht überzeugen könnte.

    1. Stimmt, die liest er auch. Ich hatte mal eine Weile in das Hörbuch des 5. Bandes (bzw. im Deutschen ist das ja der 9.) hineingehört, weil ich mitbekommen hatte, dass da weiterhin die alte Namensübersetzung verwendet wird und ich nachprüfen wollte, ob das stimmt. Da fand ich ihn auch nicht so schlecht – mal davon abgesehen, dass er manche der Namen so seltsam ausgesprochen hat, dass es mich immer rausgerissen hat (z.B. Da-enerys mit der Betonung auf dem ersten e).
      Ich sollte mir auch mal so ein Sprecherverzeichnis anlegen.

  4. Grüß Dich, Neyasha.
    Besagte "Insel" war mein erster Kontakt mit der Welt Vernes – wenn auch in der Form einer französischen Serie von 1973. Als junger Spunt war ich sehr beeindruckt, zumal von Omar Sharif als Kapitän Nemo.
    Den Roman selbst las ich erst weit später; inhaltlich wie stilitisch eher schwach gehalten. Sodbrennen bereitete mir allerdings mehr die Einstellung des Schriftstellers, auf der Insel eine Kopie der damaligen Industriegesellschaft zu manifestieren. Eine Kathedrale der Technikbegeisterung quasi.
    Hier hat es die Serie besser verstanden, den Überlebensaspekt (abenteuerlich) einzubringen. Auch sind die Figuren nicht auf Funktionsträger & Lexika reduziert worden.

    Leider, leider existiert von besagter Serie auch eine übelst zerstückelte Version in Filmlänge…

    Deinen weiteren Kritikpunkten stimme ich aber ebenso grundsätzlich zu. 🙂

    bonté

    1. Von den vielen Verfilmungen kenne ich leider bislang gar keine.
      Dass der Überlebensaspekt ziemlich bald in den Hintergrund tritt und es mehr um ausgefeilte Werkzeuge, technischen Kram und letztendlich auch "Luxus" ging, hat mich auch ein wenig gestört. Es hat auch die Spannung wesentlich gemindert.

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