Genre: Phantastik
Verlag: Harper Audio
Dauer: 5 h 48 min (ungekürzte Lesung)
gelesen von: Neil Gaiman
ISBN: 9780062263032
meine Bewertung: 4,5 von 5 Sternchen
Ein namenloser Ich-Erzähler kehrt im mittleren Alter für ein Begräbnis in seine alte Heimat Sussex zurück. Dort wird er von Erinnerungen an seine Kindheit eingeholt und er denkt zurück an die Zeit, als er sieben Jahre alt war. Als er die eigenartigen Hempstock-Frauen kennenlernte und ein Mann am Ende der Straße Selbstmord beging. Und als die furchteinflößende Ursula Monkton sein vertrautes Leben durcheinander wirbelte.
„The Ocean at the End of the Lane“ ist ein kleines Juwel, das in eine magische Welt der Kindheit entführt. Mit einfühlsamen Worten schildert Neil Gaiman die Geschichte eines Jungen, dessen Leben auf einmal völlig aus den Fugen gerät. Ihm eröffnet sich eine surrealistisch-phantastische Welt, in der Monster kleine Schlupflöcher als Tore nutzen, um sich bei uns einzunisten. Doch in seiner Familie möchte dem Jungen niemand Glauben schenken. Ein Glück, dass es noch die elfjährige Lettie Hempstock gibt, die zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter dem Jungen beisteht.
Der Roman ist nicht nur magisch-phantastisch, sondern stellenweise auch sehr düster und verstörend. Die albtraumartigen Szenen, als der Junge feststellt, dass niemand ihm Glauben schenken will und er Ursula scheinbar hilflos ausgeliefert ist, sind furchteinflößend – umso mehr, weil sie so realistisch geschildert sind. Wenn man einmal den magischen Aspekt wegnimmt, bleibt ein Kind, das seine Eltern auf einmal als Bedrohung erlebt und alleine nichts gegen sie auszurichten weiß. Ich hatte beim Lesen dieser Szenen ein sehr beklemmendes Gefühl und selbst beinahe Angst vor Ursula.
Den Hempstock-Frauen ist es zu verdanken, dass der Roman nicht nur düster, sondern auch freundlich und behaglich wie eine kuschelige Decke im Winter ist. Die junge Lettie, ihre Mutter und Großmutter sind weise Frauen, die wissen, wie man mit der magischen Welt umzugehen hat. Ihre Fähigkeiten sind subtil und zugleich bodenständig und können etwa auch bedeuten, dass man mit Nadel und Faden ein Loch in der Zeit wieder zunäht.
Abgesehen von ihrer Weisheit sind sie aber auch ungemein warmherzig und verströmen einen beruhigenden und vertrauensvollen Eindruck. Sie sind sozusagen das Herzstück des Romans und bringen dem Jungen auch ohne moralischen Zeigefinger so einiges über das Leben bei.
Der Ich-Erzähler selbst ist ebenfalls eine äußerst liebenswerte Figur mit einer bemerkenswerten Charakterstärke. Er ist nicht furchtlos und auch kein makelloser Held, aber er hält an seinen Überzeugungen fest und lässt sich nicht von Äußerlichkeiten verführen.
„The Ocean at the End of the Lane“ ist ein wunderschönes, poetisch erzähltes Märchen, das sich allerdings aufgrund seiner düsteren Szenen eher an Erwachsene und vielleicht ältere Kinder richtet. Die phantastischen Elemente darin wirken vertraut, enthalten aber auch ganz neue und originelle Ideen und Bilder.
Es gibt von meiner Seite nur zwei kleine Kritikpunkte: Die ständige Verwendung der vollständigen Namen bei Lettie Hempstock und Ursula Monkton hat mich teilweise ein wenig genervt, zumal sie auch nicht recht zur kindlichen Perspektive passen will. Und schließlich war mir auch das Ende, so gut es auch zum Roman passt, in mancherlei Hinsicht ein bisschen zu rätselhaft.
Das ändert aber nichts daran, dass ich den Roman allen nur wärmstens empfehlen kann.
Empfehlenswert ist auch die englische Hörbuchversion, die von Neil Gaiman wunderbar gelesen wird. Es ist selten, dass ein Autor auch ein guter Sprecher ist, aber hier ist das ausnahmsweise der Fall.
Ich glaube, speziell DIESES Buch ist nichts für mich. Generell möchte ich aber gerne mal was von Neil Gaiman lesen. Er ist aber in seiner Art, Fantasy zu schreiben, schon sehr anders, oder? So wie Pratchett anders ist?
Ja, Gaiman schreibt schon recht eigene Fantasy. Ich muss auch sagen, dass ich nicht mit allen seinen Büchern klarkomme. "American Gods" fand ich trotz witziger Ideen nur sehr mittelmäßig, beim "Sternwanderer" hat mir die Verfilmung besser gefallen (auch wenn ich den Roman nicht schlecht fand) und "Good Omens" (das er zusammen mit Pratchett geschrieben hat) hab ich sogar abgebrochen.
Aber "The Graveyard Book" hat mir dann ziemlich gut gefallen und dieser Roman hier ist der erste von ihm, den ich richtig toll fand.
Ich würde dir empfehlen, dass du einfach mal in eins seiner Bücher hineinliest.
Bei "American gods" hatte ich das Gefühl, dass ich mit dem Buch bei nochmaliger Lektüre besser klarkommen würde. Allerdings habe ich es immer noch nicht wieder gelesen. 🙂
oh, "Good Omens" steht hier auch noch ungelesen.
Ich mochte die dt. Audio-Umsetzung vom Sternwanderer ja ganz gern und auch die Audioversion von "Die Messerkönigin" (alle Stories des Buches sind da ja nicht enthalten). Ohne die Sandman-Comics, die ich noch nicht alle kenne, wäre ich auf Neil Gaiman als Buchautor gar nicht aufmerksam geworden. 😉
Mir war "American Gods" ein wenig zu ziellos und langatmig und das Ende fand ich auch seltsam. Es ist allerdings schon ziemlich lange her, seit ich den Roman gelesen habe, daher kann ich mich schon gar nicht mehr so genau daran erinnern.
"Neverwhere" dürfte ja angeblich sehr gut sein, das wollte ich auch irgendwann mal lesen.
Oh, das klingt ja toll! Muss ich gleich auf meine (viel zu lange) Merkliste setzen! 🙂
Ja, immer diese langen Merklisten – ich kann mir auch gar nicht erklären, weshalb die immer so wachsen. *g*
hört sich verflixt gut an. Danke für den Sprecherhinweis, ich werde mir das audiobook mal auf den Merkzettel bei audible setzen. 😉
Ich war ja zuerst skeptisch, aber Neil Gaiman liest das Buch wirklich toll! 🙂
Ich mach keine Merklisten mehr. Meine war zu lang, da hab ich sie gelöscht. Aber mein Gedächtnis hat mittlerweile eine Schublade eingerichtet, wo all diese Bücher reinkommen. Wenn ich dann über so ein Buch zufälligerweise stolpere, nehme ich's dann mit.
Deine Beschreibung klingt gut. Vor allem die kleine Bemerkung, ein Loch in der Zeit, mit Nadel und Faden zunähen. So "einfache" Lösungen zu einem schwierigen Problem gefallen mir, man muss nur draufkommen ^_^.
Ich vertraue da leider meinem Gedächtnis nicht so recht, auch wenns ohne die Merklisten vielleicht manchmal entspannter wäre …
Ich mag so einfache Lösungen auch. Ab und zu findet man so etwas auch bei Patricia McKillip (z.B. Rendels Magie in "Erdzauber"), da mochte ich das ebenfalls sehr.
Nun ja, alles kann ich mir nicht merken. *g* Es schont so einfach mein Portemonnaie. Und ja es ist entspannter. Allerdings habe ich sehr lange gebraucht bis ich soweit war.
Von Patricia McKillip hab ich auch noch Bücher hier (dank deiner Empfehlung), die ich mal lesen sollte.
Das Buch habe ich letzten Sommer gelesen und fand es selbst für Gaiman ziemlich merkwürdig. 😉 Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob es mir gefallen hat, aber es hat mich auf jeden Fall sehr lange beschäftigt – von daher kann es auf keinen Fall schlecht sein. Mein Lieblings-Gaiman wird es vermutlich nicht, das sind Sandman und das Graveyard Book und American Gods (und seit neuestem die von Charles Vess illustrierte Stardust-Version *schmacht*). Aber vielleicht sollte ich ihm eine zweite Lesechance im Herbst gönnen.
Hihi, und für mich wars der erste Gaiman, der mich wirklich überzeugt hat. Dabei hätte ich mit dem Autor nach "American Gods" und einem Anlesen von "Good Omens" schon fast abgeschlossen, wenn mir nicht bei einer Lesung bei uns im Theaterverein "The Graveyard Book" untergekommen wäre.