Erzählungen Rezensionen

Patrick Modiano – Die Gasse der dunklen Läden

Genre: Erzählung
Seiten: 160

Verlag: Suhrkamp

 ISBN: 978-3518466179

Meine Bewertung: 4 von 5 Sternchen

Ein Jahr mit Nobelpreisträgern

Guy Roland weiß nicht, wer er ist und wie sein wahrer Name lautet. Seit fast zehn Jahren arbeitet er unter einer erfundenen Identität für einen Pariser Privatdetektiv. Als dieser seine Tätigkeit aufgibt, macht sich Guy auf die Suche nach seiner eigenen Vergangenheit. Gespräche mit Fremden, alte Fotografien, auf denen er sich zu erkennen glaubt und rätselhafte Hinweise führen dazu, dass nach und nach das Bild eines Menschen zutage tritt. Die Frage ist nur, ob Guy tatsächlich dieser Mensch ist oder erneut in die Identität eines Fremden schlüpft.

Für „Die Gasse der dunklen Läden“ wurde der diesjährige Nobelpreisträger Patrick Modiano 1978 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Es handelt sich auch tatsächlich um einen sehr interessanten Roman, der mich aber nicht ganz überzeugen konnte.
Ein Mann im mittleren Alter sucht darin nach seiner Identität und seiner vergessenen Vergangenheit. Er hangelt sich dabei von Hinweis zu Hinweis, unterhält sich in den Gassen von Paris mit allerlei Menschen, die ihn wiederum auf andere bringen und bringt dabei verschüttete Erinnerungen ans Tageslicht, bei denen er sich nicht sicher ist, ob sie wirklich seine Erinnerungen sind oder nur Fantasien, die er sich aufgrund der Gespräche zurechtzimmert.
Der Roman ist vermeintlich so einfach zu lesen, dass man Gefahr läuft, ihn zu schnell „wegzulesen“. Denn obwohl die Sprache sehr schlicht ist und die zahlreichen Dialoge zu einem flotten Lesen verleiten, verlangt die Erzählung ein hohes Maß an Konzentration. Die zahlreichen Namen und all die Menschen, die Guy kurzfristig auf seiner Suche begleiten und ihm aus ihrem Leben erzählen, sind mir teilweise im Kopf durcheinander gepurzelt. Das Problem war vor allem, dass ich mittendrin eine längere Lesepause hatte und danach nur schwer wieder hineinfinden konnte. Ich würde also empfehlen, dass man sich für den Roman ausreichend Zeit nimmt, ihn aber zwischendurch nicht zu lange weglegt.

Das Rätsel, das Guys Vergangenheit umgibt, bleibt bis zum Ende spannend – umso mehr, weil die Wahrheit letztendlich in der Schwebe bleibt. Ich fand die ungelösten Fragen einerseits faszinierend, hatte aber andererseits mit einer gewissen Ratlosigkeit am Ende zu kämpfen. Es gab einfach einige Szenen und Episoden, die ich nicht einzuordnen wusste und einiges, das mir dann doch zu unklar blieb.
Guys Suche führt ihn zurück in die 40er Jahre und damit werden in dem Roman praktisch alle von Modianos offenbar beliebtesten Themen behandelt: Vergessen, Erinnerung, Frankreich zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, unklare Identitäten.

Sprachlich liest sich der Roman sehr gut. Wie schon erwähnt ist der Stil eher schlicht, manchmal fast karg und die Wortwahl sehr präzise. Einzig der häufige – und aus meiner Sicht unmotivierte – Wechsel zwischen Präsens und Präteritum hat mich ein wenig irritiert. Möglicherweise liegt das an der Übersetzung und im Französischen fügen sich diese Zeitenwechsel besser ein.

Alles in allem ist „Die Gasse der dunklen Läden“ ein faszinierender Roman, der zwar anspruchsvoll ist, sich aber dennoch sehr flüssig lesen lässt. Die Suche nach Guys verschütteten Erinnerungen ist ebenso interessant wie all die Lebensgeschichten anderer Menschen, die sich nach und nach entfalten.
Trotzdem wollte bei mir der Funke nicht ganz überspringen. Zum Teil liegt das wohl am Ende, das mich ein wenig ratlos zurückließ; zum Teil auch daran, dass ich das schwammige Gefühl hatte, dem Roman würde das „gewisse Etwas“ fehlen. Kein Höhepunkt also im Rahmen meiner Challenge, aber doch ein Buch, das ich weiterempfehlen kann.

7 thoughts on “Patrick Modiano – Die Gasse der dunklen Läden

  1. Alles, was du an Allgemeinem zu dem Buch zu sagen hast, trifft auf "meinen" Modiano "Ein so junger Hund" auch zu. Und bei mir ist der Funke auch nicht so richtig übergesprungen.
    Hm … Modiano scheint wohl nicht unser Autor zu sein.

    1. Da kann ich nur zustimmen. Mir hat auch das gewisse Etwas gefehlt und seine Bücher scheinen wirklich sehr ähnlich geschrieben, nach allem, was ich in den Rezis so lese.

  2. Den Eindruck habe ich auch, nachdem ich jetzt jede Modiano-Rezi, derer ich habhaft werden konnte, gelesen habe. Das blöde ist doch, dass die Geschichten immer gut klingen! Finde ich jedenfalls.

  3. Bóju, Neyasha.
    Wenn ich darüber nachdenke…

    "Seiner eigenen Vergangenheit und damit Persönlichkeit nicht mächtig zu sein kann zu einer erdrückenden Ohnmacht werden. Die Wahrheit vermag einen aber auch fundamental zu zerstören."
    (F. Claire Serine)

    Ich hypothetisiere jetzt freihändig, daß den auflaufenden Figuren der Suche etwas der Charakter-Spot abgeht, wenn deren Fülle & Verbindungslinien wirrig in der Lektüre wirken.
    Man/frau sollte zumindest zu einem Roman kein Protokol führen müssen. – denke ich. 😉

    Nach den inzwischen gelesenen Erfahrungen anderer, regt sich mein Interesse an dem Ceuvre des Nobel-Preisträgers nicht wesentlicher.
    Ich denke ein Preis – welcher nun auch immer – ist nicht weniger & mehr als eine Facette im Moment einer Entscheidung. Eine Anregung aber eher selten die ultima ratio (mit denen hoch etablierte Jurorgremien sich gern in Weihrauch kleiden).

    bonté

    1. Nun ja, es ist ein recht kurzer Roman und es sind eine ganze Reihe von Figuren, denen Guy begegnet. Dadurch bleibt für sie natürlich nicht sehr viel Raum – und angesichts dessen finde ich sie durchaus interessant und ihre Geschichten auch ausreichend geschildert. Aber eine Lesepause ist in so einem Fall leider wirklich kontraproduktiv und führt dann dazu, dass einem die Namen im Kopf durcheinanderpurzeln.

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