Historisch Rezensionen

Lilach Mer – Winterkind

Genre: Historischer Roman
Seiten: 300
Verlag: Dryas
ISBN: 978-3940855367
Meine Bewertung: 5 von 5 Sternchen

Im tiefsten Winter des Jahres 1880 stirbt die Mutter der jungen Adeligen Blanka von Rapp. Blanka, die mit einem liebevollen Ehemann und einer Tochter eigentlich glücklich sein könnte, wird von den Schatten der Vergangenheit eingeholt, die sie bereits seit Jahren verfolgen. Die tiefe Angst, die schon seit langem ihr Leben beherrscht, beginnt sie nun beinahe von innen aufzufressen. Und ausgerechnet in dieser Zeit muss ihr Mann verreisen und lässt Blanka mit einer kranken Tochter und Gerüchten über Unruhen in der nahen Glashütte alleine zurück.
Wie ist es wohl weitergegangen mit Schneewittchen, nachdem sie ihren Prinzen geheiratet hat? Haben sie wirklich glücklich bis ans Ende ihrer Tage gelebt? Diesen Fragen nähert sich Lilach Mer auf eine eher ungewöhnliche Weise. Sie versetzt das Märchen in ein real-historisches Umfeld und interpretiert die Geschichte von Schneewittchen und dem Spieglein an der Wand ganz neu.
„Winterkind“ ist dabei deutlich mehr als nur die Nacherzählung einer schon bekannten Geschichte. Es ist ein dunkler und ein wenig beängstigender Roman, der auf jegliche phantastische Elemente verzichtet und ausgehend von dem Märchen ein beeindruckendes Beziehungsgeflecht entwirft.
Im Mittelpunkt steht dabei nicht allein Blanka von Rapp, sondern auch die Gouvernante Sophie und die kleine Tochter Johanna. Sophie ist diejenige, die die Geschichte gewissermaßen erdet. Wo Blanka vor Angst gelähmt ist und sich in seltsamen Visionen verliert, ist Sophie bodenständig, energisch und ganz und gar praktisch veranlagt.
Beide Frauen sind überzeugend gezeichnet und wirken gänzlich in ihrer Zeit verankert. Das ist eine der vielen Stärken des Romans: Man hat nie das Gefühl, dass moderne Frauen in ein historisches Umfeld gesetzt wurden und kann sich doch in Blanka und Sophie einfühlen.
Die Atmosphäre ist über weite Strecken eher düster und bringt durch die Probleme mit den Arbeitern der Glashütte nicht nur eine latente Bedrohung, sondern auch eine sozialkritische Komponente mit ins Spiel.
Dazwischen gibt es außerdem Rückblicke in Blankas traurige Vergangenheit, die nach und nach erklären, wie sie zu der Frau wurde, die sie nun ist.
Obwohl „Winterkind“ ein eher ruhiger Roman ist und große Teile sich mit
dem Innenleben der Figuren beschäftigen, ist er ungemein fesselnd und
kaum aus der Hand zu legen. 
Ich habe von Lilach Mer bereits „Der siebte Schwan“ sehr beeindruckend gefunden, aber mit „Winterkind“ übertrifft sie ihren Erstling noch einmal. Noch nie habe ich eine überzeugendere und spannendere Neuinterpretation eines Märchens gelesen. Die Autorin hat zwar ihre poetische Schreibweise beibehalten, aber insgesamt ist „Winterkind“ dennoch einfacher zu lesen und weniger rätselhaft als „Der siebte Schwan“. Auch wenn er einige Aufmerksamkeit beim Lesen erfordert, ist er doch vergleichsweise leicht zugänglich und vielleicht auch für jene geeignet, die Lilach Mers Schreibweise in ihrem Erstling zwar mochten, die Handlung aber allzu verwirrend fanden.
Zweifellos einer der interessantesten Romane, die ich in den letzten Jahren gelesen habe – und zudem einer, der sehr viel mehr Beachtung verdienen würde.

11 thoughts on “Lilach Mer – Winterkind

  1. Latha math, Neyasha.
    Ihre aktuelle Novelle ist hier vielleicht ein Anmerken wert, weil sich Lilach Mer diesmal einer anderen literarischen Gegend in eigener Weise nähert. “Seacrest House”.

    bonté

  2. Die Novelle habe ich mir auch gleich mal auf die Wunschliste geschoben 🙂 "Der siebte Schwan" hat mir auch ganz gut gefallen, "Winterkind" liegt noch auf dem SuB. Dabei finde ich überhaupt diese Reihe von Dryas, "Die grüne Fee"; vom Konzept ganz interessant. "Fortunas Schatten" und "Bruderliebe" sind darin auch noch erschienen.

  3. Ich mochte im ersten Buch schon den Schreibstil nicht, der war mir zu, hm, schwülstig? Vielleicht lese ich mal in das neue Buch rein, vom Thema her finde ich es grundsätzlich schon interessant…

    1. Ich mag ihren Schreibstil, kann aber nachvollziehen, dass der nicht jedermanns Sache ist. Ich glaube fast, dass ihr Stil bei "Winterkind" etwas schlichter ist – allerdings hatte ich "Der siebte Schwan" nur ausgeliehen, daher kann ich nicht mehr zum Vergleich reinlesen.

  4. Das Buch stand eine ganze Weile auf meiner Merkliste, aber letztendlich konnte ich mich dann doch nicht dazu durchringen. Dabei könnte ich nicht mal sagen, woran es lag, das Thema liegt mir sehr. Nun ja, vielleicht läuft es mir ja doch noch mal über den Weg.

    1. Lilach Mer schreibt schon auch recht speziell. Aber vielleicht bekommst du ja doch noch einmal Lust reinzulesen – aus meiner Sicht lohnt es sich auf jeden Fall!

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