Jugendbuch Phantastisch Rezensionen

Käthe Recheis – Wolfsaga

Genre: Jugendbuch, Tierfabel
Seiten: 512
Verlag: dtv
ISBN: 978-3423704694
Meine Bewertung: 5 von 5 Sternchen

Seltsame und beunruhigende Gerüchte erreichen die Wölfe vom Tal der Flüsternden Winde: Ein Wolf aus dem Norden, der „Waka“, dem Gesetz nicht länger gehorcht, hat sich aufgemacht, um alle anderen Wölfe zu unterwerfen und sie zu einem riesigen Rudel zu vereinen. Wer sich nicht unterordnet, wird getötet – und so finden sich die Geschwister Imiak, Sternschwester und Schiriki bald auf der Flucht wieder.
„Wolfsaga“ ist ein Roman, der mich als Teenager zutiefst beeindruckt hat und mich auch jetzt wieder begeistern konnte. Er erzählt die Geschichte einer zunächst heilen Welt, in die das Böse einbricht und der Idylle ein jähes Ende bereitet. Er erzählt auch die Geschichte eines vermeintlich Schwachen, der den Mut hat, sich einem viel stärkeren Gegner zu widersetzen. Und er erzählt die Geschichte von drei Geschwistern, die zwar unterschiedlich sind und einander nicht immer verstehen, aber dennoch bedingungslos zueinander halten.
Um all das zu erzählen, lässt sich Käthe Recheis Zeit und schafft unglaublich viel Atmosphäre. Ihre Welt der Wölfe ist voller Sinneseindrücke. Die Natur, das Wetter, der Wechsel der Jahreszeiten: all das wird mit Gerüchen und Geräuschen und vielfältigen optischen Eindrücken beschrieben.
Obwohl die Handlung des Romans ungemein spannend ist und allerlei rasante (sowie manchmal auch grausame) Momente zu bieten hat, wirkt „Wolfsaga“ daher keineswegs atemlos. Ganz im Gegenteil: Man muss sich für diesen Roman Zeit nehmen, um ihn wirklich genießen und diese reichhaltigen Naturbeschreibungen in sich aufnehmen zu können.
Trotzdem fand ich den Roman an keiner Stelle zu langsam, zumal sich die Beschreibungen auch sehr harmonisch einfügen: Diese Wahrnehmung der Welt, all die vielfältigen Eindrücke passen einfach zu der Perspektive der Wölfe.
Diese Perspektive ist auch sonst sehr gut gelungen. Zwar werden die Wölfe bis zu einem gewissen Grad vermenschlicht, aber nicht so sehr, dass man sie und ihre Sichtweise nicht mehr als „wölfisch“ empfinden würde. Man kann den Roman in der Hinsicht gut mit „Watership Down“ vergleichen, das einen ähnlichen Balanceakt meistert.
Auch für ihre Figuren lässt Käthe Recheis sich Zeit und verzichtet weitgehend auf Klischees. Denkt man anfangs noch, dass die drei Geschwister sich klar einstufen lassen (der verträumte Schiriki, der Draufgänger Imiak, die sanfte Sternschwester), merkt man schnell, dass in ihnen auch andere Seiten stecken. Und auch der vermeintlich böse Wolf Schogar Kan hat nachvollziehbare Motive, die über simples Machtstreben hinausgehen. 
Dass allerdings sein Weg falsch ist, wird schnell klar. Schogar Kan steht für Unterdrückung und Tyrannenherrschaft und kaum ein Wolf bringt den Mut auf, sich gegen ihn zu stellen. Dass es notwendig ist, die Angst zu überwinden und seiner Herrschaft ein Ende zu bereiten, stellt Recheis energisch, aber ohne erhobenen Zeigefinger dar.
Einzig bei Schirikis prophetischen Träumen von Menschen, den „nackten Wölfen“, ist sie etwas übers Ziel hinausgeschossen. Das hätte sie sich wirklich sparen können, zumal man sich in diesen Szenen tatsächlich ein wenig von der Moralkeule erschlagen fühlt.
Trotz dieses kleinen Kritikpunktes ist „Wolfsaga“ ein wunderbares Buch, das nicht nur eine spannende und gefühlvolle Geschichte erzählt, sondern auch voller wertvoller Aussagen steckt. Nicht nur für Jugendliche wärmstens zu empfehlen!

6 thoughts on “Käthe Recheis – Wolfsaga

  1. Deine Rezension ist wirklich schön – ich wünschte nur, ich könnte mich noch genug an das Buch erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich richtig gefesselt war und dass es mein erster "Wälzer" war… ^^ Ich war hinterher richtig stolz, vor allem, als ich es auch noch in der Schule vorgestellt habe.

    1. Ich habe das Buch erst mit 14 oder so gelesen – da war ich schon recht Wälzer-geprüft und mir ist das Buch dementsprechend nicht sonderlich dick vorgekommen (zu der Zeit war ich an solche Kaliber wie die Nebel von Avalon gewöhnt). Jetzt war ich direkt überrascht, dass das doch so ein Brocken ist, da ich es eben gar nicht als allzu dickes Buch in Erinnerung hatte. *g*

  2. Sali, Neyasha.
    Mensch & Wolf hegen ja seit Jahrzehntausenden ein eher ambivalenres Verhältnis zueinander. Was sich auch immer wieder in Geschichten niederschlägt. Je Weiter sich der Mensch dabei von der Natur entfernt, desto radikaler wird das Bild, das sich auf den Wolf fokusiert.
    Aber wir sind ja lernfähig – so im allgemeinen… 🙂

    bonté

  3. Ich habe von dem Buch noch nichts gehört, aber das klingt ja wirklich spannend und schön. Wölfe haben mich schon immer fasziniert – allerdings zuerst in er Form, dass ich als Kind furchtbare Angst vor ihnen hatte, mit Alpträumen und allem. Erst später habe ich ihre Schönheit entdeckt. Schade, dass es nicht mehr solche Bücher gibt, die Wölfe nicht als blutgierige Monster darstellen.

    1. Es gibt von William Horwood auch noch die Fantasyreihe "Wölfe der Zeit" mit Wölfen im Mittelpunkt. Ich habe diese aber nie gelesen und weiß nicht, ob die gut ist.

  4. Klingt nach einem tollen Buch, das in meiner Jugend vollkommen an mir vorbeigegangen ist. Dabei mochte ich Wölfe schon damals recht gern … Na ja, werde den Titel mal im Hinterkopf behalten, falls ich mal Lust auf so ein Buch bekomme.

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