erschienen bei Fischer
entdeckt durch: Besprechung in What Makes This Book so Great
woher: Bücherei
Kerewin Holmes, eine eigenbrötlerische Künstlerin, hat an der stürmischen Westküste von Neuseeland wortwörtlich einen Turm um sich gebaut und sucht nur selten den Kontakt zu anderen Menschen. Doch dann taucht eines Tages der stumme Junge Simon bei ihr auf und macht es ihr unmöglich, sich weiter vor der Welt zu verschließen. Sie wird mitten hineingezogen in die seltsame Beziehung zwischen Simon und seinem Adoptivvater Joe, die gleichermaßen von Liebe und Gewalt geprägt ist. Für eine Weile scheint es, als könnten diese drei Menschen, die alle innerlich zerbrochen sind, zueinander finden.
Obwohl dieser Roman, im Original „The Bone People“, den Booker Prize erhielt und in Neuseeland sowie darüber hinaus ein Bestseller wurde, bin ich erst durch Jo Walton auf ihn aufmerksam geworden.
Es geht darin um drei Menschen, die nicht nur innerlich zerstört, sondern auch völlig entwurzelt sind. Kerewin hat sich von ihrer Familie entzweit und ihre Stimme als Künstlerin verloren; Joe fühlt sich als Halb-Maori in keiner Kultur wirklich zuhause; Simon ist der einzige Überlebende eines Bootsunfalls und weiß nur wenig über seine Vergangenheit. Diese drei Menschen finden eine Zeitlang ineinander eine Heimat, die aber nicht von Dauer sein kann, solange sie nicht jeder für sich ihre eigenen Dämonen überwinden können.
Ich hatte bei diesem Buch zunächst große Schwierigkeiten mit dem Einstieg – nicht nur, weil Keri Hulme gewissermaßen das Ende an den Beginn setzt, sondern auch, weil man sich in ihren Stil erst hineinfinden muss. Ihre Sprache ist manchmal poetisch, manchmal nüchtern-karg, wechselt zwischen Innen- und Außensicht und lässt einen als Leser oft ratlos im Regen stehen. Aber so sperrig ich den Anfang auch fand, so fasziniert war ich gleichzeitig von Hulmes ungewöhnlicher Erzählweise. Mit der Zeit hatte ich mich dann auch in ihre Sprache eingelesen und versank teilweise stundenlang in dem Buch.
Dabei handelt es sich hier auch inhaltlich nur selten um ein Lese“vergnügen“. Es geht um Kindesmisshandlung, Alkoholismus, Einsamkeit und tiefste Isolation. Manche Szenen sind so brutal, dass man sie kaum lesen mag und dass keine schwarz-weiß-Zeichnung stattfindet, macht einiges sogar noch unerträglicher.
Der Roman ist dennoch nicht gänzlich trostlos oder deprimierend, sondern stellenweise voller Wärme und Hoffnung. Dass diese erst einmal auf die schlimmste Weise zerschlagen werden muss, ehe es zu einer Art Heilung kommt, ist allerdings beim Lesen sehr schmerzhaft.
Bei dieser Heilung taucht der Roman schließlich tief in die Mythologie der Maori ein und geht in die Richtung „magischer Realismus“. Ich hatte mit diesem Teil, mit dem Ende, ähnlich zu kämpfen wie mit dem Anfang. Manches verstand ich nicht und manches kam mir ein wenig zu überhastet vor.
Jo Walton schreibt über diesen Roman, dass es einer ist, der mit jedem Mal Lesen besser wird und ich kann mir gut vorstellen, dass er bei einem Reread noch dazugewinnen würde. Vielleicht würde mir dann auch der Anfang nicht mehr so sperrig, das Ende nicht mehr so rätselhaft vorkommen.
Trotz dieser Schwierigkeiten war es aber eine sehr faszinierende und lohnenswerte Lektüre. Zwischendrin, als hier drei gebrochene Figuren allmählich zueinander finden, musste ich kurz an Zusammen ist man weniger allein denken. „Unter dem Tagmond“ ist thematisch tatsächlich ähnlich, aber um ein vielfaches kraftvoller und vielschichtiger. Der Roman von Gavalda mag netter zu lesen sein, aber der von Keri Hulme hallt viel länger und tiefer in mir nach und wird mir wohl noch für Jahre als beeindruckende Lektüre in Erinnerung bleiben.