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[Kurzrezensionen] Von Tschernobyl, der Stille und einem Kuss

Alina Bronsky – Baba Dunjas letzte Liebe 

Baba Dunja ist als alte Frau in ihr geliebtes Dorf in der „Todesszone“ rund um Tschernobyl zurückkehrt. Nach und nach sind ihr andere gefolgt und so führt das Grüppchen nun ein ruhiges Leben in der Abgeschiedenheit, bis eines Tages ein Fremder ins Dorf kommt.
Ich habe vorige Woche erwähnt, dass ich das Buch in einem Rutsch gelesen habe, als ich bei meiner Familie war und das sagt bereits einiges darüber aus, wie gut es mir gefallen hat. Alina Bronskys Roman ist auf der einen Seite ein trauriges, fast schwermütiges Buch und auf der anderen Seite aber auch warmherzig und manchmal witzig. Und ähnlich ambivalent erscheint auch das Dorf Tschernowo selbst: gleichermaßen ein lebensfeindlicher Ort und eine Idylle. Die Bewohner sind teils recht skurril, aber die wunderbare Ich-Erzählerin Baba Dunja steht mit beiden Beinen fest auf der Erde. Ihre trockene und zugleich kluge Erzählstimme kommt besonders gut zur Geltung, wenn sie ihren Alltag wie etwa eine Reise in die nächstgelegene Stadt oder ein Gespräch mit den Nachbarn beschreibt. Als dagegen die Ankunft des Fremden Aufruhr in das Dorf bringt, wirkt nicht nur Baba Dunja ein wenig verloren – auch die Handlung kam hier für mich ein wenig ins Trudeln.
Dennoch hat der Roman für mich noch die Kurve gekratzt und als ganzes ein rundes Bild ergeben. Vielleicht ist es verwegen, das so früh im Jahr zu sagen, aber ich denke, das wird eines meiner Lesehighlights 2016 sein. Ein ganz besonderes Buch, das ich allen nur wärmstens empfehlen kann.
Patrick Rothfuss – The Slow Regard of Silent Things
Dieser kurze Geschichte erzählt von Auri, einer Figur der Königsmörder-Chroniken, und ihrem Leben in den Gängen und Räumen unter der Universität. Das Buch lebt ganz von Sprache und Atmosphäre, da es kaum eine nennenswerte Handlung gibt. Ich muss zugeben, dass ich gerade deshalb einige sprachliche Probleme mit dem Buch hatte. Wenn es soviel um Beschreibungen, kleine Details und besondere Sprachbilder geht, ist es entscheidend, alles zu verstehen – und da bin ich mit meinen englischen Sprachfähigkeiten einige Male an die Grenzen gestoßen.
Aus dem Grund konnte mich das Buch auch nicht so ganz überzeugen, obwohl ich die Idee dahinter interessant finde. Es ist beeindruckend, wie gut Patrick Rothfuss sich in eine Figur wie Auri hineinfindet, die gleichermaßen zerbrochen und in sich selbst ruhend wirkt. Es ist auch faszinierend, ihren Alltag mitzuerleben und das Labyrinth unter der Universität besser kennenzulernen. Auri hat einen ganz besonderen Blick auf die Dinge und betrachtet Räume wie Gegenstände als eigenständige Charaktere. 
 „The Slow Regard of Silent Things“ ist eine sehr stille Charakterstudie, die sicher nicht jedermanns Fall ist und ein größeres Interesse an sprachlichen Spielereien als einer tatsächlichen Handlung erfordert. Das Buch an sich ist mit den Illustrationen von Nate Taylor wunderschön gestaltet. 
Lynn Raven – Der Kuss des Kjer
Im Auftrag seines kranken Königs entführt der Heerführer Mordan die junge Heilerin Lijanas, die dem Herrscher helfen soll. Lijanas hat anfangs nur Flucht im Kopf, fühlt sich aber mit der Zeit mehr und mehr zu Mordan hingezogen.
Ich hätte von der Beschreibung her nicht erwartet, dass das ein Buch für mich ist, aber da es für mich ein bisschen ähnlich wie The Assassin’s Curse klang und mir auch mehrfach empfohlen worden war, habe ich es mir doch aus der Onleihe ausgeliehen. Hier hätte ich aber doch auf meine Intuition horchen sollen, denn der Roman war überhaupt nicht mein Fall. Wäre ich nicht gerade krank und mit haufenweise Lesezeit im Bett gelegen, hätte ich ihn wohl abgebrochen. 
Ich fand den Roman ziemlich klischeehaft und konnte mit den Figuren überhaupt nichts anfangen. Die Art, wie sie beschrieben wurden und die Art, wie ich sie wahrgenommen habe, sind für mich meilenweit auseinandergeklafft: Mordan, den erfahrenen, fähigen und angeblich beherrschten Krieger, habe ich als emotional völlig instabilen Mann erlebt, der alles andere als ein souveräner Anführer ist und zudem mit seiner ach so schlimmen Kindheit nicht abschließen kann. Lijanas, beschrieben als stark, mutig und schlagfertig, habe ich als sehr schwache Frau empfunden, die ständig aus Gefahrensituationen gerettet werden muss und vor allem am Anfang die ganze Zeit auf trotzig-kindische Weise herumjammert (mit schlagfertig hatte das meiner Meinung nach nichts zu tun).
Mich haben auch Plot und Hintergrundwelt nicht so wirklich überzeugt (vor allem hätte ich mir mehr Diversität gewünscht, wenn man denn schon ein orientalisch angehauchtes Wüstensetting nimmt). Immerhin ließ sich der Roman schnell und flüssig dahinlesen, aber ansonsten war das einfach kein Buch für mich.

14 thoughts on “[Kurzrezensionen] Von Tschernobyl, der Stille und einem Kuss

  1. Guten Morgen 🙂

    Da hast du ja total interessante Bücher vorgestellt! Vielen Dank für die Lesetipps, selbst wenn du nicht mit allem so glücklich warst…

    Ich habe den ersten Band der Königsmörder-Chroniken vor einigen Jahren gelesen und meine Meinung darüber war sehr zwiegespalten. Vielleicht sollte ich der Reihe nochmal eine Chance geben. Vorher hätte es aber glaube ich keinen Sinn, mich mit einem weiteren der Charaktere genauer zu befassen, obwohl mich die "sprachlichen Spielereien" sehr neugierig machen.

    Die anderen beiden Bücher klingen auch vielversprechend, aber mit vermeintlich starken Frauen, die sich dann als Jammerlappen entpuppen, kann ich auch nichts anfangen… Aber vielleicht werde ich dem Roman doch eine Chance geben, sollte er mir einmal über den Weg laufen.

    Ich wünsche dir gute Besserung und trotz allem ein schönes Wochenende.

    Liebe Grüße
    Jacy

    1. Wenn du den ersten Band der Königsmörder-Chroniken kennst, solltest du eigentlich genug Wissen mitbringen für "The Slow Regard of Silent Things". An sich müsste man dazu die Hauptreihe nicht zwangsläufig kennen, aber es ist sicher gut, wenn man mit Auri bereits ein bisschen was anfangen kann und weiß, wie Kvothe sie kennengelernt hat – und das passiert ja schon in Band 1.

      Ob der "Kuss des Kjer" was für dich ist, hängt wohl auch davon ab, ob Fantasy Romance dein Genre ist. Meines ist es eigentlich nicht, aber ab und zu gibt es Ausnahmen, die ich sehr mag. Dieser Roman gehörte leider nicht dazu.

      Danke für die Besserungswünsche, aber ich glaube, du verwechselst da grad irgendwas. Aktuell bin ich gesund. 😉
      Ich wünsche dir auch ein schönes Wochenende!

  2. "Baba Dunja" muss ich auch gaaaanz unbedingt lesen!!

    Schade, ich mochte "Die Musik der Stille" sehr gern. Gerade wegen der Sprache. Ich fand es toll, dass sich Rothfuss getraut hat, einfach mal was anderes auszuprobieren. Tine mochte es aber auch nicht so gern.

    Lynn Raven wurde mir auch schon so oft ans Herz gelegt. Jetzt endlich nehme ich die Empfehlungen ernst und werde ihren neusten Roman "Windfire" lesen. Ich glaube aber auch, dass ihre Bücher sehr unterschiedlich sind. Meine Freundin, mit der ich eigentlich Lesegeschmack technisch zu 90% übereinstimme, fand "Blutbraut" von Lynn Raven so richtig toll. Ich bin gespannt.

    1. Ich mochte die Erzählung um Auri an sich auch, aber ich hatte das Gefühl, manchmal etwas "außen vor" geblieben zu sein – und ich befürchte, es lag an der Sprache. Vielleicht werde ich das auf Deutsch noch einmal lesen.

      Ja, Baba Dunja ist wirklich sehr lesenswert!

  3. Patrick Rothfuss gehört zu den Autoren, von denen ich ich mir ständig vornehme, weiterzulesen… Ich stecke immer noch in "Name of the Wind", obwohl ich es wirklich richtig toll finde. Tja, so viele Bücher, so wenig Zeit… 😉
    "The Slow Regard of Silent Things" gefällt mir bestimmt – ich mag "Name of the Wind" gerade wegen der Sprache (und finde die Übersetzung ins Deutsche lange nicht so schön) und finde den Plot demgegenüber sekundär.

    Und "Kuß des Kjer" liegt auch noch bei mir – ich habe es irgendwann gewonnen, aber die Startmotivation hat mir bisher noch gefehlt. Bin ja mal gespannt, wie es mir gefallen wird. Allzu viel erwarte ich nicht, habe aber auf eine schöne Hintergrundwelt gehofft.

    1. Ich hoffe mal, dass dir "Der Kuss des Kjer" besser gefällt als mir.

      Den Plot finde ich in "The Name of the Wind" teilweise auch sekundär, wobei mich vor allem die ganzen Rätsel, die darin stecken, bei der Stange gehalten haben.

  4. Baba Dunja steht bei mir auch schon ganz oben auf der Wunschliste – ich habe schon einige andere Bücher von der Autorin gelesen und fand gerade "Scherbenpark" besonders gut.
    Baba Dunja ist aber noch in der Bücherei verliehen, vielleicht habe ich beim nächsten Mal Glück. 😉

  5. Baba Dunja hat mir auch sehr gut gefallen. Ich habe vieles zwischen den Zeilen entnommen, z.B. was die Mutter/Tochter-Beziehung angeht. Ich fand, es war erstaunlich viel "Raum" für den Leser im Text der Autorin.

    @Hermia
    Ich kann Dir das Buch leihen, falls Du in der Bücherlei kein Glück hast. 😉

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