erschienen bei Kiepenheuer&Witsch
Die Studentin Jen findet in der Bibliothek ein Buch, in dem ein anderer Leser zahlreiche Notizen zum Text hinterlassen hat. Als Jen daraufhin eigene Notizen macht und das Buch wieder an seinen Platz zurücklegt, ergibt sich ein lebhaftes schriftliches Gespräch zwischen Jen und Eric. Sie versuchen herauszufinden, wer V.M. Straka war, der mit „Das Schiff des Theseus“ sein letztes, vieldiskutiertes Werk hinterlassen hat. Besonders eigenartig sind die vielen Fußnoten, mit denen der Übersetzer das Buch versehen hat. Verbergen sich darin vielleicht Hinweise, die mehr über die Identität von Straka verraten?
Dieser Roman, der auf Englisch bereits 2013 erschienen ist und sich seither auf meiner Wunschliste tummelte, hat im vorigen Jahr beim Erscheinen für viel Aufsehen gesorgt. Es handelt sich dabei um ein ganz besonderes Buch, das jedes bibliophile Herz schneller schlagen lässt: In einem Schuber befindet sich – versiegelt – das vermeintlich alte Bibliotheksexemplar von „Das Schiff des Theseus“. Vom Fake-Leineneinband über die vergilbten Seiten bis hin zur Signatur und dem Bibliotheksstempel erweckt es tatsächlich den Eindruck eines schon in die Jahre gekommenen Buches. Und als ich es erst einmal durchblätterte, stieg meine Begeisterung noch. Abgesehen von unzähligen mehrfarbigen Notizen an den Seitenrändern von Jen und Eric findet sich im Buch noch eine Reihe von Zusatzmaterial: Briefe, Postkarten, ein auf eine Serviette gezeichneter Plan, Zeitungsausschnitte und vieles mehr.
Nun stellt sich bei so einem Buch natürlich schnell die Frage, wie man überhaupt mit dem Lesen beginnen soll. Ich habe mich nach einem ersten Anlesen ein wenig dazu informiert und bin für mich zu folgender Reihenfolge gekommen: Zusammen mit dem Haupttext habe ich bereits die ersten Notizen gelesen (blaue Schrift von Jen und schwarze Schrift von Eric) und als ich damit komplett durch war, habe ich mehrmals wieder von vorne begonnen, um die weiteren Notizen in ihrer chronologischen Reihenfolge zu lesen: zuerst orange/grün, dann lila/rot und zuletzt beide in schwarz.
Das hat für mich persönlich gut funktioniert, aber denkbar wäre es auch, zuerst nur den Haupttext komplett zu lesen. Dann kann man vielleicht den ersten Notizen von Jen und Eric besser folgen, die zu dem Zeitpunkt auch beide schon den ganzen Roman kennen und sich dementsprechend immer wieder auf spätere Textstellen beziehen. Oder aber man ignoriert die chronologische Abfolge der Notizen völlig und liest einfach alles auf einmal – das dürfte aber einigermaßen verwirrend sein und führt natürlich auch häufig zu Spoilern.
Wie auch immer man an das Buch herangeht: Es dauert eine ganze Weile und erfordert doch einiges an Konzentration. Man sollte also für diese Lektüre einiges an Zeit mitbringen, zumal es sich auch empfiehlt, keine zu großen Pausen einzulegen, da man sonst vielleicht einiges wieder vergisst.
Nach all diesen Worten zum Äußeren und der Lesereihenfolge komme ich jetzt zum schwierigen Teil der Rezension: zum Inhalt. Leider konnte dieser für mich nämlich nicht mit der Aufmachung mithalten. Ich will jetzt nicht sagen „außen hui, innen pfui“, aber es gab doch einiges, das mich gestört hat.
Zunächst mal zum Roman im Buch, also „Das Schiff des Theseus“ von V.M. Straka: Darin findet sich ein Mann ohne Erinnerung, der im folgenden nur S. genannt wird, auf einem seltsamen Schiff wieder und erlebt eine ganze Reihe von surrealen Abenteuern. Was sehr interessant und kafkaesk beginnt, wird zu einer Art konfusem Agententhriller. Offensichtlich will sich der Roman literarisch anspruchsvoll geben, was auch anfangs noch funktioniert, aber bald erweckt er ein wenig den Anschein von „gewollt, aber nicht gekonnt“.
Daran würde ich mich nicht stören, wenn er denn spannend und unterhaltsam wäre, aber ich fand ihn zum Ende hin zunehmend langatmig und zäh zu lesen.Trotzdem hat mir der erste Durchgang Freude beim Lesen bereitet, da es faszinierend ist zu verfolgen, wie Jen und Eric versuchen den Roman zu interpretieren. Man muss hier mit einer ganzen Reihe von Namen zurechtkommen, da es einige mögliche Straka-Anwärter gibt, aber dennoch hatte ich mit dieser Ebene des Buches zunächst sehr viel Spaß. Es wird auf zahlreiche fiktive Werke von Straka und anderen Autoren Bezug genommen, es werden alle möglichen Theorien entworfen und Parallelen zwischen dem Roman sowie dem Leben von Straka und den Menschen in seinem Umfeld gezogen. Das ist stellenweise sehr spannend und stellenweise ziemlich witzig, wenn man sich an übereifrige Literaturwissenschaftler erinnert fühlt, die jedem Punkt eine Bedeutung zumessen wollen.Leider habe ich im weiteren Verlauf ein wenig das Interesse an der Diskussion zwischen Jen und Eric verloren. Schon zu Beginn erfährt man auch einiges über ihr persönliches Leben, was für mich aber irgendwann überhand genommen hat. Es war durchaus nett zu lesen, wie sie einander besser kennenlernen und sich ihre Beziehung zueinander entwickelt, aber vieles fand ich dann nicht mehr glaubwürdig, zumindest nicht als schriftliche Konversation in einem Buch.
Zudem wurde im Laufe der Diskussion für mich der Verdacht immer stärker (und schließlich auch bestätigt), dass viele Rätsel in dem Buch aufgeworfen, aber nicht beantwortet werden. Möglicherweise habe ich nicht alles aufmerksam genug gelesen, aber das Problem ist, dass man beim Lesen vieles einfach so hinnehmen muss, was Jen und Eric herausfinden, da man schlichtweg nicht auf demselben Wissensstand ist wie sie. Schließlich beziehen sie sich auf weitaus mehr Material als das, was im Buch zu finden ist.
Letztendlich habe ich den Eindruck, dass hier genau das geschieht, was schon bei „Lost“ der Fall war (und ein wenig habe ich das bei J.J. Abrams auch schon befürchtet): Es werden viele Rätsel um der Rätsel willen aufgeworfen, aber auf logische Erklärungen oder Zusammenhänge wartet man manches Mal vergeblich. Das ist frustrierend und es ist umso frustrierender, wenn man am Ende nach einigem Knobeln das letzte Rätsel mit der Eötvös-Scheibe löst und feststellt, dass sich dahinter keine allzu spektakuläre Botschaft verbirgt – zumindest nicht, wenn man die Notizen von Jen und Eric bereits gelesen hat.
Es lohnt sich allerdings, während oder nach der Lektüre ein wenig im Internet zu stöbern, wo man teilweise auch Zusatzmaterial findet, etwa ein alternatives Ende und zahlreiche Überlegungen zum Buch ganz allgemein (besonders spannend ist eine Tonbandaufnahme der Summersby Confession). Schließlich gibt es noch eine Seite namens Dossier of V.M. Straka, die etwa Fotos und Material zum im Buch genannten „Santorini-Mann“ enthält. Gerade diese Seite kann ich allen ans Herz legen, da sie einiges an Informationen bietet, auf die sich Jen und Eric auch im Buch beziehen.
Was für ein Fazit bleibt nun nach dieser langen Rezension? „Das Schiff des Theseus“ ist ein optisches Feuerwerk, das seinen stolzen Preis von 45 Euro (das englische Original ist deutlich günstiger) von der Aufmachung her auf jeden Fall wert ist. Leider bleibt der Inhalt dahinter zurück. Ein wenig stellte sich für mich am Ende ein ernüchterndes Gefühl ein von „und das wars?“
Ich weiß nicht, ob ich den Roman weiterempfehlen kann. Er ist auf jeden Fall einmal etwas anderes, man hält das wunderschöne Buch einfach gern in Händen und es trifft offensichtlich bei vielen auch den richtigen Nerv. Ich persönlich fand es aber insgesamt doch nur mittelmäßig.
Schöne Rezension und nun schwanke ich nicht mehr, ich wollte mir ganz sicher sein, dass ich für diesen Preis wirklich was bekomme, was mir dauerhaft/langfristig Freude bereitet – dem wäre wohl nicht so, denke ich. Du bist ja nicht die Erste, die zwar die Optik lobt, die der Inhalt aber nicht völlig überzeugt. Danke fürs ausführliche Vorstellen, jetzt kann ich das Thema entspannt zu den Akten legen.
Freut mich, wenn ich dir bei der Entscheidung helfen konnte, auch wenn ich natürlich gern positiver über das Buch berichtet hätte.
Ich bereue auch nicht, dass ich es mir gewünscht und es gelesen habe, aber es war nicht das, was ich mir erhofft hätte.
Hm. Jetzt hast du genau das bestätigt, was ich schon gefürchtet hatte … und jetzt weiß ich immer noch nicht, ob mir die Idee und die Aufmachung wert sind, mir das Ding ins Regal zu stellen … *grübel*
Auf jeden Fall aber eine sehr schöne und differenzierte Rezension wieder mal – das muss man ja auch mal loben! 🙂
Danke für das Lob. 🙂
Es ist wirklich eine schwierige Sache mit diesem Buch. Ich glaube, dass die Erwartungen sicher besonders hoch sind, wenn das Konzept so besonders ist und auch, wenn man soviel Zeit in die Lektüre investieren muss. Bei vielen wurden die Erwartungen auch erfüllt, aber für mich nicht. Ich mag es einfach nicht, wenn so vieles augeworfen wird und nicht beantwortet wird – das ist für mich etwas anderes als ein offenes Ende (wogegen ich normalerweise nichts mag). Und ich habe mich leider auch dabei ertappt, wie ich im letzten Drittel des Romans im Buch ein paarmal geschaut habe, wie viele Seiten ich noch lesen "muss".
Trotzdem ist das Konzept dahinter so interessant und so schön umgesetzt, dass ich auch immer wieder fasziniert und begeistert war.
Tolle Rezension! 🙂
Nur leider etwas ernüchternd für meine Lesefreude. Momentan bin ich eh so mit Uni-Lektüre eingedeckt, dass für „Das Schiff des Theseus" keine Zeit bleibt… Aber wenn ich mir schon den Aufwand vorstelle… Immerhin weiß ich, wo ich nachschauen muss, wenn ich wissen will, wie ich das Buch lesen soll.
Ich habe mir überlegt, das Buch komplett einmal im Ganzen zu lesen und anschließend erst die Notizen. Das könnte aber auch ziemlich knifflig werden – man wird ja doch neugierig.
Hach, mal sehen. Irgendwie bin ich ja doch gespannt, wie es mir gefällt.
Ja, das war bei mir dann das Problem: Ich war zu neugierig auf die Kommentare – umso mehr, als mich der Haupttext dann auch nicht soooo fesseln konnte … Deshalb habe ich dann die erste Partie der Kommentare doch lieber gleich mit dem Haupttext gelesen.
Ich finde das Konzept auch sehr spannend, aber deine Meinung bestätigt mich darin, dass ich höchstwahrscheinlich beim Lesen die Lust verlieren würde. Und dafür ist mir mein Geld und die Zeit dann doch zu schade.