Rezensionen

Dagmar Trodler – Der letzte lange Sommer

erschienen bei Blanvalet

Frustriert von ihrem Job und ihrem Leben beschließt Lies, eine Auszeit zu nehmen und ein Jahr in Island zu arbeiten. Doch ihr Traum von einer magischen Insel wird von der Wirklichkeit eingeholt: Sie landet auf einem heruntergekommenen Hof mitten in der Einöde und ihre einzige Gesellschaft ist der alte, mürrische Elías. Während Lies lernt, Schafe zu versorgen und Lämmer auf die Welt zu bringen, gewöhnt sie sich allmählich an das Leben auf Gunnarsstaðir und beginnt die Einsamkeit des Landes zu lieben.
Da ich vor einigen Jahren Urlaub in Island gemacht habe und seither das Land nicht aus meinem Kopf bekomme, ist Dagmar Trodlers Roman schnell auf meiner Wunschliste gelandet – umso mehr, da ich „Die Waldgräfin“ von der Autorin einst begeistert gelesen habe.
Tatsächlich habe ich „Der letzte lange Sommer“ im Nu gelesen und konnte den Roman kaum aus der Hand legen. Dabei ging es mir anfangs ein wenig wie Lies: Ich hatte die Schönheit von Islands Natur und die Gastfreundschaft der Isländer, wie ich sie damals empfunden habe, erwartet – nicht einen einsamen Hof in einer kargen Gegend mit einem abweisenden Bewohner.
Letztendlich ist es aber gerade das, was Dagmar Trodlers Roman so interessant macht. Lies wird auf Gunnarsstaðir wirklich ganz auf sich selbst zurückgeworfen und kann auf diese Weise letztendlich auch zu sich finden. Mit der Zeit erkennt sie auch die Schönheit der Landschaft rund um sie herum, die die Autorin sehr lebhaft beschreibt. Auch die Arbeit auf dem Hof stellt Dagmar Trodler sehr anschaulich dar.
Mir hat über weite Strecken die Entwicklung von Lies gut gefallen und auch ihre sehr langsame Annäherung an Elías war nachvollziehbar beschrieben.
Trotzdem hatte ich manches Mal meine Schwierigkeiten mit Lies, da sie mir in manchen Situationen zu störrisch und zimperlich vorkam, während ich in anderen Situationen den Eindruck hatte, dass sie zu schnell mit dem für sie ungewohnten Leben zurechtkam.
Mich hat außerdem sehr gestört, dass sie – da sie auf dem einsamen Hof keinen Empfang mit ihrem Handy hat – anscheinend über Monate keinen Kontakt mit den Menschen aus ihrer Heimat hat. Mich hat nicht nur irritiert, dass Lies sich darüber bald gar keine Gedanken mehr macht, sondern auch, dass anscheinend niemand versucht, mit ihr in Kontakt zu treten. Wenn meine Tochter oder Schwester oder Freundin ins Ausland aufbrechen und sich dann nie wieder melden würde, wäre ich in größter Sorge und würde alle Hebel in Bewegung setzen, um mich mit ihr in Verbindung zu setzen. Immerhin bekommt Lies den Job von einer Agentur vermittelt und man sollte meinen, dass man über diese irgendwie (und sei es über Briefe) einen Kontakt herstellen könnte.
Abgesehen davon hat es mich genervt, dass die Stadt Egilsstaðir permanent falsch geschrieben wird (nämlich mit nur einem s).
Die Kritikpunkte ändern aber nichts daran, dass mich der Roman ungemein gefesselt hat, obwohl er großteils einfach nur den neuen Alltag von Lies beschreibt. Gerade diese ruhige, unaufgeregte Erzählweise hat mir aber sehr gut gefallen und ich war stets neugierig darauf, wie es mit Lies und Elías und dem Leben auf dem Hof weitergehen würde. Es war einfach schön zu lesen, wie Lies an ihren Aufgaben
wächst, auch wenn sie tagein tagaus nur den Stall ausmistet, die Schafe füttert und sich mit Elías‘ Launen herumschlägt.
Die kleine Liebesgeschichte, die sich daneben mit dem Tierarzt Jói entwickelt, hätte es meiner Meinung nach gar nicht gebraucht, aber sie war trotzdem schön zu lesen.
„Der letzte lange Sommer“ ist ein ruhiger und warmherzig erzählter Roman, der Island einmal von einer etwas anderen Seite beschreibt. Ein perfektes Buch war es für mich aufgrund einiger Kritikpunkte und Ungereimtheiten nicht, aber trotzdem eine sehr lesenswerte  Lektüre.

2 thoughts on “Dagmar Trodler – Der letzte lange Sommer

  1. Ave,
    Zufälle gibt's. Da habe ich "Die Waldgräfin" gerade erst beendet und sauge momentan sowieso alles mögliche über Island auf – und da stellst du hier dieses Buch vor.
    Ein wenig Sorge habe ich, dass mir die Protagonistin zu sehr auf die nerven gehen könnte, habe ich mich schon mit Alienor aus der Waldgräfin nicht anfreunden können. Aber ich denke, ich werde mir diesen Titel trotzdem mal merken.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Seitenfetzer

    1. Ich befürchte, die Gefahr, dass du die Protagonistin nervig finden könntest, besteht durchaus. Manchmal ist Lies nämlich schon etwas anstrengend.
      Alienor habe ich früher eigentlich gemocht, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mich nicht inzwischen auch nerven würde.

      Ich finde einige isländische Krimis ganz gut, aber da ich manche dann oft wieder gar nicht mag, ist das meist ein Lotteriespiel.

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