Rezensionen Sachbuch

Cheryl Strayed – Der große Trip

erschienen bei Goldmann
woher: geliehen (Büchereien Wien)

 

Der frühe Krebstod ihrer Mutter wirft Cheryl Strayed völlig aus der Spur. Als sie mit Mitte zwanzig vor den Scherben ihres Lebens steht, trifft sie den Beschluss, auf dem Pacific Crest Trail zu wandern. Ihr Weg führt sie von der Mojave-Wüste bis zur „Brücke der Götter“ an der Grenze zwischen Oregon und Washington – mehr als 1000 Kilometer durch Wüsten und über Berge. Cheryl stößt mehr als einmal an ihre Grenzen und ist in der Einsamkeit gezwungen, über sich und ihr Leben und den Tod ihrer Mutter nachzudenken.
 
Wer schon länger auf meinem Blog mitliest, weiß, dass ich sehr gern Bücher über herausfordernde Wanderungen, Reisen oder Entdeckungen lese. Der Erfahrungsbericht von Cheryl Strayed gehört nicht nur in diesem Genre, sondern ganz allgemein zu den besten Büchern, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Cheryl Strayed wollte schon früh Schriftstellerin werden, hat Literatur studiert und man merkt es dem Buch an, dass sie eine routinierte Schreiberin ist. Es liest sich sehr flüssig, ist gut komponiert und hält eine nahezu perfekte Waage zwischen persönlichen Gedanken, Rückblicken auf ihre Vergangenheit und der Beschreibung der eigentlichen Wanderung.
 
Herzstück des Buches ist natürlich die Wanderung an sich. Der Mut und das Durchhaltevermögen, das Cheryl Strayed hier an den Tag legt, ist bemerkenswert, vor allem, wenn man bedenkt, dass sie den Pacific Crest Trail bereits vor gut 20 Jahren gegangen ist. Heutzutage ist der Trail, dessen gesamte Strecke von der mexikanischen zur kanadischen Grenze führt, den meisten ein Begriff. Man findet im Internet unzählige Videos, Tipps und Erfahrungsberichte und man ist mit Smartphones und/oder GPS-Geräten unterwegs. 1995 war der Pacific Crest Trail gerade einmal seit zwei Jahren fertiggestellt, meistens kannten ihn nicht einmal Menschen, die in unmittelbarer Nähe des Trails wohnten und dass eine Frau diesen Weg alleine ging, war völlig undenkbar. 
Cheryl Strayed hatte zwar Erfahrung mit Cross-Country-Läufen aus ihrer Schulzeit, nicht aber mit Fernwanderungen. Dementsprechend beginnt sie auch mit einem viel zu schweren Rucksack, den sie kaum vom Boden hochheben kann. Und sie hat nicht nur mit ihrem Rucksack zu kämpfen, sondern auch mit ihren zu kleinen Wanderschuhen, mit wundgescheuerten Hüften, Wassermangel und unerwarteten Schneefällen.
 
Dass Cheryl sich all diesen Widrigkeiten zum Trotz Kilometer für Kilometer alleine vorankämpft, verblüffte nicht nur mich als Leserin, sondern auch die Menschen, denen Cheryl unterwegs begegnet.
Es hat mir sehr gut gefallen, wie die Autorin diese Begegnungen schildert. Da sind erfahrene Wanderer, junge Draufgänger, „Trail Angel“ wie Ed, die die Wanderer mit Essen und Ratschlägen versorgen und ortsansässige Menschen, die oft von Cheryl zum ersten Mail von dem Trail erfahren. Sie alle werden von der Autorin mit wenigen Worten zum Leben erweckt und wenn sie manche Wanderer später noch einmal traf, habe ich mich dabei fast ebenso sehr über das Wiedersehen gefreut wie sie.
 
Die meiste Zeit aber ist Cheryl alleine unterwegs und hat reichlich Zeit, um über ihre Vergangenheit nachzudenken. Sie erzählt von ihrer Kinderheit und Jugend, dem Tod ihrer Mutter und den Problemen, die daraus entstanden sind. Diese Passagen machen das Buch zu einem sehr emotionalen Leseerlebnis, auch oder gerade weil Cheryl durchaus selbstkritisch über sich nachdenkt.
Im Laufe des Trails beginnt allmählich eine Aufarbeitung mit ihrer Vergangenheit und ein Lernen aus den neugewonnenen Erfahrungen. Dabei driftet die Autorin nicht in Esoterik oder philosophische Erkenntnisse ab. Sie denkt eher nüchtern über diese Dinge nach und die selbstreflexiven Passagen nehmen auch nicht überhand.
 
Ich habe wirklich jeden einzelnen Kilometer, den ich lesend mit Cheryl Strayed verbringen durfte, genossen und wäre ihr auch gern noch hundert Seiten länger über den Pacific Crest Trail gefolgt.
Ein ganz wunderbares, fesselndes, bewegendes und stellenweise auch witziges Buch!
 
 
Als ich damit fertig war, war ich auch neugierig auf die Verfilmung mit Reese Witherspoon, die mich aber eher zwiespältig zurückgelassen hat. Große Teile der Wanderung und auch zahlreiche Menschen von unterwegs sind der Zeitschere zum Opfer gefallen. Noch problematischer ist, dass auch Cheryls Vergangenheit sehr verkürzt dargestellt werden muss und viele Zusammenhänge dadurch überhaupt nicht mehr klar werden. Der Film bemüht sich auch ein bisschen zu sehr, eine philosphische innere Reise von Cheryl zu kreieren und setzt zu diesem Zweck auf einige seltsame, spirituell-überhöhte Begegnungen mit einem Fuchs.
Das bedeutet nicht, dass ich die Verfilmung schlecht fand – er stellt meiner Meinung nach eine schöne optische Ergänzung zum Buch dar. Als Film für sich alleine kommt er mir aber zu verkürzt und zu sprunghaft vor.

4 thoughts on “Cheryl Strayed – Der große Trip

  1. Ich liebe dieses Buch total und freue mich immer sehr, wenn es auch anderen Lesern so gut gefällt. Auch deine Rezension finde ich sehr schön und wenn ich das Buch nicht schon mehrfach gelesen hätte, würde ich es jetzt sicher lesen wollen.

    Den Film habe ich mir noch nicht angeschaut, ich konnte mich irgendwie einfach noch nicht dazu überwinden.

    Liebe Grüße
    Julia

    1. Ja, das ist wirklich ein tolles Buch! Ich hatte es nur ausgeliehen, aber ich denke, das wird vielleicht demnächst fix bei mir einziehen.

      Ich finde, man versäumt nicht viel, wenn man den Film nicht sieht, aber er ist auch nicht so schlecht, dass ich mich darüber geärgert hätte.

  2. Schön, dass dich das Buch genauso mitreißen und bewegen konnte. Ich war danach auch total geflasht irgendwie.

    Den Film habe ich abgebrochen. Erstmal mochte ich den Erzählton nicht und außerdem hat er mich irgendwie so gar nicht gepackt.

    Allerliebste Grüße, Tine

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