Rezensionen Sachbuch

Kathleen Winter – Eisgesang. Meine Reise durch die Nordwestpassage

erschienen bei btb
woher: Buchhandlung Kuppitsch 

 

Die kanadische Autorin Kathleen Winter begleitet als Passagierin auf einem russischen Eisbrecher eine Gruppe von Forschern und Touristen durch die legendäre Nordwestpassage. Auf der Reise lernt sie nicht nur einiges über den Norden, sondern reflektiert auch über ihr eigenes Leben.
 
Wer bereits länger meinen Blog verfolgt, hat vielleicht schon mitbekommen, dass ich ein gewisses Faible für Polarexpeditionen habe. Wenn ich „Nordwestpassage“ höre, ist also sofort mein Interesse geweckt und meine Erwartungen an „Eisgesang“ waren entsprechend hoch. Erfüllt wurden sie dann aber leider nur zum Teil. 
Kathleen Winter erzählt in diesem Buch von einer Reise, die vordergründig durch die Nordwestpassage, tatsächlich aber mehr zu ihrem eigenen Selbst führt. In England geboren und in der Kindheit mit ihrer Familie nach Kanada ausgewandert, fühlt die Autorin sich mit etwa fünfzig Jahren noch immer entwurzelt. In einsamen Momenten der Reise, letztendlich auch ausgelöst durch Fragen nach der Identität, die sich viele Inuit nach Umsiedlungen im Norden Kanadas stellen, denkt sie über ihre eigene Geschichte nach: die Auswanderung, ihre erste Ehe, die mit dem Tod ihres Mannes endete, ihre zeitweilige Armut, ihr Gefühl der Fremdheit in Kanada. Obwohl ihre Beschreibungen sprachlich schön und eindringlich sind und ich ihre Geschichte auch nicht uninteressant fand, war mir das etwas zu langatmig, zu repetitiv und stellenweise auch zu selbstmitleidig.
 
Interessanter sind da auf jeden Fall ihre Eindrücke von der Landschaft und Kultur des Nordens, wobei sie auch von der Inbesitznahme des nordamerikanischen und grönländischen Gebietes durch
Kanada und Dänemark erzählt und von den Folgen, die das für die Inuit und deren Lebensraum hatte. Die Autorin spart hier nicht mit berechtigter Kritik an der Vorgehensweise sowohl in der Vergangenheit als auch der Gegenwart. 
In dem Zusammenhang streut sie auch immer wieder historische Einschübe von der Erforschung der Nordwestpassage ein, die für sie zugleich einen Beweis der westlichen Überheblichkeit darstellt: Indem die Entdecker sich alle zu wenig auf das Land einließen und die Einwohner mit Ignoranz straften, konnten sie letztendlich nur scheitern. Etwas befremdlich fand ich allerdings, dass Roald Amundsen, der genau diese Ignoranz widerlegt – er verbrachte Monate bei den Inuit auf Grönland, um von ihnen mehr über das Leben in der Arktis zu erfahren und durchquerte dann als erster auch die Nordwestpassage – von ihr nur sehr nebenbei erwähnt wird. Fast kam es mir vor, als würde er ihr einfach nicht in das Bild der Arroganz und Ignoranz der weißen Forscher passen, das sie in dem Buch vermittelt.
 
Trotz dieser Kritikpunkt lässt sich das Buch sehr schön lesen. Kathleen Winter hat einen poetischen Schreibstil und zeichnet auch sehr lebhafte Bilder ihrer Mitreisenden. Sie schließt ein paar Freundschaften, während sie sich von anderen bewusst abzugrenzen versucht – und hier kommt leider schon mein nächster Kritikpunkt. Ihre abwertende Haltung der Arbeit mancher Forscher gegenüber kommt ebenso deutlich zum Ausdruck wie das Gefühl der Überlegenheit manchen Mitreisenden gegenüber, deren Zugang zur Reise ihr zu touristisch oder oberflächlich erscheint.
 
Man könnte vielleicht zusammenfassend sagen, dass ich die schriftstellerischen Fähigkeiten von Kathleen Winter in dem Buch sehr geschätzt habe, sie mir als Person aber oft unsympathisch war. Und das ist natürlich ein umso größeres Problem, wenn es in dem Buch so sehr um sie als Person und um ihre Empfindungen geht. Das konnten dann auch die informativen Teile und die schönen Beschreibungen für mich nicht mehr ganz wettmachen.

Leave a Reply

Your email address will not be published.