Gegenwartsliteratur Rezensionen

Ilona Jerger – Und Marx stand still in Darwins Garten

erschienen bei Ullstein

„England, 1881. Zwei bedeutende Denker leben nur wenige Meilen voneinander entfernt: Charles Darwin in einem Pfarrhaus in Kent und Karl Marx mitten in London. Beide haben mit ihren Werken die Welt für immer verändert, beide wissen es und sind stolz darauf. Und doch leiden sie unter Schlaflosigkeit und Melancholie: Darwin hat den Schöpfer abgeschafft, fühlt sich missverstanden und forscht inzwischen still am Regenwurm. Marx wartet auf die angekündigte Revolution, grollt der Welt und kommt über Band 1 von Das Kapital nicht hinaus. Eines Abends begegnen sie sich bei einem Dinner …“

 

Soweit der Klappentext des Romans, der in mir die Erwartung geweckt hat, dass jenes Dinner – die (fiktive) Begegnung und das Gespräch zwischen Darwin und Marx – im Zentrum des Buches stehen würde. Da ich eine solche Begegnung reizvoll fand und mich sowohl Beschreibung als auch Schreibstil ein wenig an „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann erinnert hat, habe ich bei dem Buch begeistert zugegriffen.

Leider konnte es meine Erwartungen aber nicht erfüllen. Das Dinner, bei dem neben Marx auch dessen Schwiegersohn, der englische Zoologe und Sozialist Edward Aveling, der deutsche Arzt Ludwig Büchner sowie Reverend Thomas Goodwill, der Geistliche der Familie Darwin, zur illustren Gästeschar gehören, findet erst weit nach der Mitte des Buches statt, erstreckt sich nur über wenige Seiten und Darwin und Marx wechseln dabei nur wenige Sätze miteinander.

Damit will ich nicht sagen, dass ich das Buch schlecht fand. Mir hat der leicht altmodisch anmutende und stellenweise ironische Schreibstil sehr gut gefallen. Ilona Jerger zeichnet außerdem ihre beiden Protagonisten sehr einfühlsam und vielschichtig. Beide kämpfen mit einer inneren Zerrissenheit: So hadert Darwin damit, dass er an der Existenz eines Gottes zweifelt, was ihn zudem von seiner sehr religiösen Frau Emma entfremdet. Und Marx, der sich in London im Exil befindet, fühlt sich nicht nur entwurzelt, sondern auch in seinen Theorien missverstanden. Bindeglied zwischen ihnen ist die fiktive Figur des Arztes Dr. Beckett, der mit beiden Männern lebhafte Diskussionen führt. Obwohl ich diese Gespräche und die Figurenzeichnung mochte, wollten sich die beiden Handlungsstränge für mich nicht recht zusammenfügen, zumal es ohne Dr. Beckett über weite Teile des Buches keinerlei Verbindung zwischen Marx und Darwin gäbe.

Im Nachwort der Autorin las ich dann, dass sie schon lange damit beschäftig war über Darwin zu lesen und zu schreiben, ehe für sie – im Grunde durch Zufall – auch Marx mit ins Spiel kam. Und genau das merkt man meiner Meinung nach dem Roman auch an. Das liegt nicht nur an der gezwungen wirkenden Verbindung, sondern auch daran, dass Darwin deutlich mehr Raum einnimmt und klarer charakterisiert wird. Man merkt, dass Ilona Jerger sich ausführlich mit seinem Leben und seiner Arbeit beschäftigt hat. Es kommen nicht nur viele seiner Experimente und Theorien vor, sondern auch kurze Erinnerungen an bedeutende Momente seines Lebens.

So reizvoll also auch die Idee eines Zusammentreffens dieser beiden Männer sein mag, hätte mir persönlich wohl ein Roman nur über Darwin besser gefallen. Zu lose ist die Verbindung zwischen den beiden Denkern, zu erzwungen (und kurz) das Zusammentreffen.

Alles in allem ein interessantes, teilweise auch amüsantes Buch über zwei interessante Persönlichkeiten, aber leider nicht das, was ich mir erwartet hätte.

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