Familiensaga Rezensionen

Nino Haratischwili – Das achte Leben (Für Brilka)

erschienen bei Hörbuch Hamburg

„Das achte Leben“ erzählt die Geschichte der georgischen Familie Jaschi über vier Generationen. Sie setzt zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein mit Stasia, der Tochter eines wohlhabenden Schokoladenfabrikanten, die von einem Leben als Tänzerin träumt, stattdessen aber eine Ehe mit dem Weißgardisten Simon Jaschi eingeht. Ihr Ende findet sie etwa hundert Jahre später, als Stasias Urenkelin Niza versucht die Familiengeschichte zusammenzutragen, um sie ihrer Nichte Brilka mit auf den Weg zu geben.

Über 1200 Seiten hat der Roman, über 40 Stunden dauert die ungekürzte Hörbuchfassung, gelesen von Julia Nachtmann. Eine beeindruckende Familiensaga also, die vorrangig aus der Sicht der Frauen erzählt wird, alles vor dem Hintergrund von Aufstieg und Fall des Kommunismus. Da jede Generation auch auf irgendeine Art und Weise mit der Politik verbunden ist, gehen persönliche Schicksalsgeschichten und die Sowjet-Geschichte Hand in Hand. So nimmt sich etwa der Geheimdienstchefs Lawrenti Beria, im Roman als „kleiner Großer Mann“ bezeichnet, Stasias schöne Schwester Christine zur Geliebten – was diese teuer zu stehen kommt.

Den größten Raum nimmt die Geschichte der zweiten Generation ein: Stasias Kinder Kostja und Kitty waren für mich so etwas wie das Herzstück des Romans; sie verdeutlichen außerdem, wie sich politische Gräben mitten durch eine Familie ziehen können. Während Kostja systemtreu bis zur Selbstaufgabe ist, verliebt Kitty sich in den falschen Mann und gilt als Verräterin, was sie teuer zu stehen kommt. Ihr späteres Leben verbringt sie im Exil in London, wo sie zwar als Sängerin Erfolg hat, aber die Vergangenheit doch nie abschütteln kann. Und auch ihre Familie ist nach diesen Ereignissen für immer zerrissen, was sich auch in den nächsten Generationen widerspiegelt, die über weite Strecken von der Rebellion an Kostja (und somit auch dem sowjetischen System) geprägt sind.

Diese Mischung aus persönlichen Geschichten und tatsächlichen geschichtlichen Hintergründen hat mir sehr gut gefallen, auch weil ich auf diese Weise sehr viel über die georgische Geschichte gelernt habe. Mir sind die Figuren alle sehr ans Herz gewachsen, wobei ich die ersten Generationen rund um Stasia und Kitty ein wenig interessanter fand als die späteren. Das mag aber auch daran liegen, dass man die „älteren“ Figuren natürlich länger begleitet. Das ist ja auch einer der schönsten Aspekte an solch epischen Familiensagas, dass man viele Figuren für die Dauer ihres gesamten Lebens begleitet.

Mit der Familie Jaschi werden zahlreiche weitere Figuren verflochten, die Autorin jongliert hier also ein beeindruckend großes Personal und es ist nicht immer ganz einfach sich alle Namen zu merken. Die Verflechtungen nehmen stellenweise fast seifenoperartige Züge an, wobei mir diese Überdramatisierung ganz gut gefallen hat – sie passt zu dem Roman, der sehr viel mit dem Thema Schicksal spielt. Unterstrichen wird das noch von dem magischen Realismus, der „Das achte Leben“ immer wieder durchdringt. So hat Stasias Vater ein Geheimrezept für eine heiße Schokolade, die zu besonderen Gelegenheiten zubereitet wird, bei häufigerem Genuss aber angeblich Unglück bringt. Tatsächlich häufen sich nach dem Genuss der Schokolade tragische Ereignisse, aber ob es nun am Getränk lag oder Zufall war, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob Stasia wirklich mit Toten sprechen kann oder sich das nur einbildet.

Ein gewaltiger, bewegender und häufig trauriger Roman, in dem man auch noch einiges über die Geschichte von Georgien lernt. Für mich hatte er im letzten Teil ein paar Längen – und dennoch hätte ich die Familie Jaschi gerne noch weiter begleitet. Daher kann ich euch nur empfehlen, euch nicht von dem Umfang dieses Buches abschrecken zu lassen, die Lektüre lohnt sich!

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