Genre: Gegenwartsliteratur
Seiten: 352
Verlag: Berlin Verlag
ISBN: 9783827005342
Meine Bewertung: 3,5 von 5 Sternchen
Drei historische Ereignisse bilden den Hintergrund des Romans: 1959, beim Bau des St.-Lorenz-Seeweges begegnen sich Jean und Avery zum ersten Mal in einem trockenen Flussbett – und sie verlieben sich ineinander. 1964 führt ihr Weg sie nach Ägypten, wo Avery die Umsetzung des Tempels von Abu Simbel leitet, die wegen des Aufstauens des Nils zum Nassersee notwendig ist. Und schließlich kommt als dritte zeitliche Ebene noch der Wiederaufbau von Warschau nach dem Zweiten Weltkrieg hinzu, von dem Jeans Geliebter Lucjan erzählt.
Diese drei Zeitebenen werden nicht chronologisch erzählt, sondern ineinander verflochten. Vieles erfährt man durch Rückblenden oder Erzählungen der Figuren. Doch Anne Michaels schweift noch weiter durch die Zeiten und bietet allerlei Exkurse zu Themen, die mit der Handlung des Romans oder seinen Figuren verknüpft sind. Das ist oftmals eine Gratwanderung, da die Gefahr besteht, dass man als Leser von den vielen Informationen erschlagen wird oder man den Eindruck bekommen kann, die Autorin möchte damit ihr Wissen zum Ausdruck bringen. Bei Anne Michaels sind zwar die ausführlichen Exkurse meistens faszinierend und interessant, aber manchmal geht sie dann doch zu weit, wodurch sich beim Lesen eine gewisse Ermüdung einstellt.
Überhaupt entfaltet die Autorin ihre Geschichte sehr langsam und gemächlich. In langen Gesprächen erzählen Jean und Avery einander von ihrer Familie und ihrer Kindheit. Als eine Tragödie sie verstummen lässt und sie sich schließlich trennen, lernt Jean den Maler Lucjan, der nun seinerseits die Geschichte seines Lebens schildert.
Man bekommt also in diesem Roman sehr viel in Dialogen erzählt. Dennoch bleiben die Figuren seltsam auf Distanz, scheinen kein wirkliches Leben zu entwickeln. Das liegt vielleicht gerade an diesen Dialogen, da sie gewissermaßen sehr künstlich wirken.
Im Grunde vermittelt der Roman als Ganzes vor allem den Eindruck eines Kunstwerkes – sprachlich und auch in der Erzählstruktur. Sowohl in den großen historischen Hintergründen als auch in den Beziehungen der Figuren zueinander thematisiert der Roman Zerstörung, Verlust, Auseinanderbrechen und Wiederaufbau. Das ist faszinierend zu lesen, aber nicht immer fesselnd. Anne Michaels schreibt zudem in starken Bildern und Metaphern, und über weite Teile war für mich das Interessanteste an dem Roman die Sprache.
Insgesamt ist „Wintergewölbe“ schwer zu bewerten. Der Roman ist sperrig und zeitweise in der Erzählweise beinahe schleppend, zieht einen aber dennoch in seinen Bann. Er präsentiert interessante Figuren, die einem aber nicht wirklich nahe kommen. Alleine der schönen Sprache wegen lohnt es sich aber ihn zu lesen. Dazu ist der Roman auch meisterhaft strukturiert mit all den verschiedenen Erzählebenen, die ineinander greifen.
Von mir gibt das 3 bis 4 Sternchen.
Der Roman hat sozusagen über Umwegen zu mir gefunden – mein Dank gilt daher dem Berlin Verlag für das Rezensionsexemplar sowie Pia dafür, dass sie es an mich weitergegeben hat.