Genre: Gegenwartsliteratur
Seiten: 312
Verlag: Rowohlt Taschenbuch
ISBN: 978-3499240430
Meine Bewertung: 3 von 5 Sternchen
Klassiker-Challenge (Ungarn)
Historien-Challenge (Nationalsozialismus & Zweiter Weltkrieg)
Nur kurze Zeit, nachdem der Vater des fast fünfzehnjährigen, ungarischen Juden György zum „Arbeitsdienst“ abberufen wird, muss György das Gymnasium verlassen und beim Wiederaufbau einer Fabrik mitarbeiten. Doch schon nach einigen Tagen wird er eines Morgens zusammen mit den anderen Jungen auf dem Weg zur Arbeit von Gendarmen aus dem Bus geholt und in die Ziegelei von Budakalász gebracht. Aus der Sicht des Juden schildert Kertész die folgende Deportation nach Auschwitz und den Alltag in den KZs Buchenwald sowie Zeitz/Wille.
Kertész‘ wohl zumindest in Teilen autobiografischer Roman wird seit der Verleihung des Nobelpreises 2002 von Kritikern und Lesern bejubelt. Ich habe tatsächlich keine einzige Rezension im Internet gefunden, die nicht voll des Lobes wäre.
Ich habe also wirklich das Gefühl, mich mit meiner eher durchwachsenen Kritik allein auf weiter Flur zu befinden, aber nun ja, ich kanns nicht ändern.
Bis etwa zur Hälfte des Romans war ich sogar mehrmals versucht, das Buch einfach abzubrechen. Ich habe das nur deshalb nicht gemacht, weil ich es nicht ausgeliehen, sondern mir gekauft habe und es außerdem ein Buch für gleich zwei Challenges ist. Und das Durchhalten hat sich insofern ausgezahlt, da mir die zweite Hälfte dann tatsächlich besser gefallen hat.
Grundsätzlich kann man natürlich bei dieser Thematik kein „Lesevergnügen“ im eigentlichen Sinn erwarten. Das Problem war aber, dass mich der Roman anfangs nicht im Geringsten berührt hat. Die Perspektive von György ist nüchtern, nahezu gleichgültig, kaltherzig (als es etwa um den Abschied von seinem Vater geht) und sehr naiv. Mir ist durchaus klar, dass das ein bewusstes Stilmittel ist, aber ich fand die Perspektive einfach unglaubwürdig. Der Ich-Erzähler wirkt in seiner Naivität und totalen Ahnungslosigkeit bestenfalls wie ein zehnjähriger Junge, und seine Mitgefangenen verhalten sich anfangs ebenso kindlich. Niemand scheint Angst zu haben, über alles wird gekichert und gelacht und Hunger und Durst werden schlimmstenfalls als ärgerlich oder lästig empfunden. Und ich muss zugeben, dass mich das wirklich genervt hat, weil es sehr extrem ausgeführt wird. Selbst mein elfjähriger Neffe, der behütet und nicht in Kriegszeiten aufgewachsen ist, kommt mir nicht annähernd so ahnungslos vor.
Nun ist die Frage: Wie beurteilt man so einen Roman, wenn er anscheinend sehr viele autobiografische Züge enthält? Wenn der Autor etwas ähnliches wie der Ich-Erzähler erlebt und vielleicht auf genau diese Weise erfahren hat? Kann ich mir das überhaupt anmaßen, das „unglaubwürdig“ oder nervig zu finden?
Ich habe da wirklich innerlich mit mir gerungen, aber auch nach mehreren Vorlesungen über Literaturtheorie bin ich weiterhin der radikalen Meinung, dass ein Roman für sich allein sprechen muss. Mutmaßungen, was darin nun autobiografisch ist oder nicht, was der tatsächlichen Erfahrung des Autors entspricht und was davon dichterische Fantasie oder Verfremdung ist, führen für mich zu nichts. Ich will schließlich über diesen Roman keine Diplomarbeit schreiben, sondern nur eine Rezension.
Natürlich werden all die Schrecken, die der Ich-Erzähler erlebt, dennoch spürbar, aber das ändert nichts daran, dass man großteils das Gefühl hat, einem kleinen Kind zu lauschen, das sich auf ein Abenteuer begibt.
Mit der zunehmenden Hoffnungslosigkeit des Erzählers und den wachsenden Schrecken im Lager ändert sich diese Sicht allmählich. Zwar bleiben seine Nüchternheit und Gleichgültigkeit erhalten, aber die Perspektive wirkt nicht mehr ganz so kindlich-naiv.
Und es ist furchtbar zu lesen, was György bei der Arbeit in Zeitz und später im Krankenlager in Buchenwald alles widerfährt. Wie eigentlich immer bei Berichten aus jener Zeit bleibt einem irgendwann nur noch fassungsloses Kopfschütteln, weil es schlichtweg unbegreiflich ist, was damals passiert ist und wozu Menschen fähig sind.
Der Roman hat also gewissermaßen durchaus sein Ziel erreicht, und gerade die Schilderungen von Györgys Heimkehr nach der Befreiung und den Reaktionen seiner Mitmenschen sind sehr eindringlich und auch faszinierend.
Dennoch hat mich der Roman über weite Teile nicht berührt. Ich bin außerdem mit Kertész‘ Stil nicht wirklich gut klargekommen: Das ständige „das sehe ich schon ein“ und „das muss ich zugeben“ hat mir irgendwann den letzten Nerv geraubt und die vielen Bandwurmsätze waren auch nicht gerade mein Fall. Dabei habe ich nicht grundsätzlich etwas gegen derartige Endlossätze, aber zumindest hier fand ich sie sehr sperrig und oft gekünstelt.
Ich finde den Stil von Kertész nicht direkt schlecht und kann mir auch vorstellen, dass andere ihn vermutlich faszinierend finden, aber er hat einfach nicht meinem Geschmack entsprochen.
Daher gibt es von mir – so wichtig Bücher wie dieses auch sind – letztendlich nur 3 von 5 Sternchen.