Genre: Sachbuch
Seiten: 312
Verlag: Umschau
ISBN: 978-3524690551
Meine Bewertung: 4 von 5 Sternchen
Historien-Challenge (Sachbuch – Sagen in der Geschichte)
Die Belagerung von Troja – was davon ist dichterische Fiktion und was Wirklichkeit? Diese Frage beschäftigt die Wissenschaftler schon seit langem. Michael Wood geht ihr akribisch auf den Grund, untersucht die archäologischen und literarischen Quellen und bietet schließlich mehrere Deutungsversuche an.
Das Buch untergliedert sich in mehrere Teile. Nach einem einleitenden Kapitel über die Darstellung in der Ilias und die seit der Antike ungebrochenen Faszination für die legendäre Stadt, widmet Wood sich ausführlich den Grabungen von Schliemann und Dörpfeld. Was Schliemann geleistet hat, wird hier klar deutlich, ebenso aber, welche Schäden er aus Unwissenheit angerichtet hat. Da er (das in Wahrheit frühbronzezeitliche) „Troja II“ für das homerische Troja hielt, zerstörte er die darüberliegenden Schichten – und damit auch Teile von „Troja VI“, das mittlerweile als das homerische betrachtet wird.
Wood schildert auch die anderen großen Grabungen von Schliemann in Mykene, Orchomenos, Tiryns und Knossos und widmet sich in weiteren Kapiteln sehr genau der griechischen Kultur jener Zeit. Eine genaue Auseinandersetzung mit den Hethitern sowie den Seevölkern rundet das Werk ab. Klar scheint zumindest zu sein, dass das homerische Epos tatsächlich bronzezeitliche Elemente enthält, wenngleich es erst um 700 v. Chr. verschriftlicht wurde.
Wood beschäftigt sich aber nicht nur mit der Frage, wie das Verhältnis zwischen Epos und Wirklichkeit ist, sondern auch mit jener, weshalb es überhaupt zu der Belagerung kam. Er bietet einige Deutungsversuche – wirtschaftliche Interessen, der Kampf um die Vorherrschaft im westlichen Kleinasien zwischen Griechen und Hethitern, weitreichende Konflikte im Zuge der Seevölkerüberfälle -, räumt aber ein, dass dies alles letztendlich Spekulation bleiben muss.
Dass die Ilias Tatsachen als Grundlage hatte, scheint zwar zweifellos festzustehen, aber was genau passiert ist, können bislang weder die archäologischen Grabungen noch die hethitischen Quellen erklären. Vieles erscheint zwar heute in einem klareren Licht als noch vor einigen Jahrzehnten, aber letztendlich wird man auch von Wood mit einem Rätsel zurückgelassen.
Der Autor bringt in seinem Werk all die Probleme deutlich zum Ausdruck und stellt die Grabungsergebnisse und die neueren Erkenntnisse alle so ausführlich zusammen, dass man beim Lesen jederzeit nachvollziehen kann, wie bestimmte Forschungsmeinungen entstanden.
Allerdings sollte man Vorkenntnisse mitbringen, um den Ausführungen folgen zu können. Ohne ein Grundwissen über archäologische (Schicht)Grabungen und die Datierungsprobleme anhand der Keramik wird man wohl Probleme haben, alles zu verstehen. Wood geht bei einigen Punkten sehr in die Tiefe – für Leser ohne jegliche Vorkenntnisse wohl zu sehr.
Da ich mit einem halben Archäologiestudium glücklicherweise nicht mehr ganz unwissend war, konnte ich ihm meistens folgen, aber das eine oder andere Mal verlor ich doch auch den Faden. Das lag vor allem daran, dass Wood stellenweise ein wenig zu sehr zwischen einzelnen Orten hin- und herspringt und man die Zusammenhänge nur schwer im Kopf behält.
Dennoch war das Buch sehr interessant zu lesen und sowohl spannend als auch informativ. Problematisch ist allenfalls noch, dass es nicht mehr ganz aktuell ist (meine Ausgabe ist von 1985, es gibt aber auch eine von 1994, die sich allerdings nicht davon zu unterscheiden scheint). Da es seither weitere Grabungskampagnen gab und gerade in der Archäologie schnell neue Funde auftauchen können, die frühere Erkenntnisse über den Haufen werfen, ist in diesem Fachbereich also ein Buch dieses Alters oft mit Vorsicht zu genießen. Auch das Wissen über die Hethiter hat sich seither vertieft. Zwar gab es keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse, aber dennoch sollte man das Alter des Buches beim Lesen nicht ganz vergessen.
Allen, die sich schon einmal mit diesem Thema beschäftigt haben und ihr Wissen gern vertiefen würden (und auch vor detailliertem Fachwissen nicht zurückschrecken), kann ich es dennoch wärmstens empfehlen.