Genre: Jugendbuch
Verlag: Silberfisch
Dauer: 6 h 7 min (gekürzte Lesung)
ISBN: 978-3867420570
gelesen von: Laura Maire
meine Bewertung: 4 von 5 Sternchen
Die fünfzehnjährige Jem, die seit ihrer Kindheit von einer Pflegefamilie zur nächsten weitergereicht wurde, hat eine besondere Gabe: Wenn sie jemandem in die Augen blickt, kann sie das Todesdatum ihres Gegenübers sehen. Daher lässt sie niemanden an sich heran, und der hibbelige Spinne ist der letzte, mit dem sie Freundschaft schließen möchte, weiß sie doch, dass er bald sterben wird. Dennoch drängelt er sich ungefragt in ihr Leben und zwischen den beiden Außenseitern entsteht eine gewisse Verbundenheit.
Als die beiden mit dem London Eye fahren wollen, sieht Jem bei allen Menschen um sie herum dasselbe Datum. In Panik fliehen die beiden und entgehen somit ihrem Tod. Doch von nun an sind sie auf der Flucht, denn die Polizei ist auf der Suche nach den beiden Jugendlichen, die im letzten Moment von dem Attentat auf das London Eye weggelaufen sind.
„Numbers“ besticht vor allem mit grandiosen Figuren. Bei den meisten Jugendbüchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe, war die Hauptfigur ein Durchschnittsmädchen der Mittelschicht, doch Jem hebt sich davon ab. Aufgewachsen in Armut bei einer drogensüchtigen Mutter gehört sie mit 15 Jahren zu jener Gruppe von Jugendlichen, die von der Gesellschaft abgeschrieben wurden. Und auch Jem selbst sieht für sich keine Perspektive. Ihre Schulstunden sitzt sie genervt ab, ihre Mitschüler hält sie mit ihrer schroffen Art misstrauisch auf Abstand.
Ganz anders ist da Spinne mit seinen raschen Stimmungswechseln, seiner Fröhlichkeit auf der einen und unkontrollierten Wutanfällen auf der anderen Seite. Er ist kein Traumprinz, körperlich nicht sonderlich attraktiv und wohl eher nicht der Romanheld, der zum Anhimmeln taugt. Gerade das macht die langsam entstehende Liebesgeschichte aber auch so herzerwärmend. Es ist einfach er mit all seinen Macken und Fehlern, in den sich Jem allmählich verliebt, und eben nicht ein attraktives Aussehen, das sie gleich beim ersten Anblick in Schwärmereien versetzt.
Dass die zarten Bande letztendlich doch wieder in Richtung „Du bist mein Leben“ abdriften, fand ich ein wenig ärgerlich, in diesem Fall aber passend, da die beiden in einer Situation sind, in der sie nur einander haben und sich daher entsprechend verzweifelt aneinander festhalten.
Die Liebesgeschichte steht aber ohnehin nicht im Mittelpunkt. Es geht mehr um die Flucht, um Jems Entwicklung, ihre allmähliche Öffnung ihren Mitmenschen gegenüber und um all die Probleme und Vorurteile, mit denen zwei Jugendliche wie Spinne und Jem zu kämpfen haben.
Dass sie auf ihrer Flucht immer wieder auch auf selbstlose, hilfsbereite Menschen treffen, ist erfreulich, kam mir manches Mal aber doch nicht ganz realistisch vor. Wieviele Menschen sind denn wirklich bereit, zwei von der Polizei gesuchten Jugendlichen zu helfen?
Abgesehen von diesem kleinen Kritikpunkt fand ich es noch seltsam, dass am Ende manches (vor allem die Sache mit dem Attentat) sehr in der Luft hängen blieb – das mag aber auch an der gekürzten Hörbuchfassung liegen.
Ansonsten ist das Ende sehr stimmig. Wer auf Friede Freude Eierkuchen hofft, wird hier enttäuscht werden, aber ich fand das Ende sehr berührend und auch sehr passend für den Roman.
Die Sprache ist in „Numbers“ eher schlicht, fügt sich aber sehr gut in die Perspektive von Jem ein. Es klingt tatsächlich so, als würde eine Fünfzehnjährige aus schwierigen Verhältnissen die Geschichte erzählen. Dass Jem dabei auch öfter mal die Leser direkt anspricht, ist anfangs gewöhnungsbedürftig, passt aber ebenfalls gut zu ihrer Erzählperspektive.
Fazit: „Numbers“ ist ein spannender und auch berührender Roman mit einer wirklich interessanten Hauptfigur, der sich durchaus aus dem Einheitsbrei vieler Jugendbücher abhebt. Es gibt zwar noch weitere Teile, aber der Roman ist in sich abgeschlossen und kann problemlos auch als Einzelband gelesen werden.
Trotz kleiner Schwächen sehr empfehlenswert!