Klassiker Rezensionen

Bram Stoker – Dracula

Genre: Klassiker, Horror/Grusel
Verlag: Audible
Dauer: 16 h 49 min (ungekürzte Lesung)
gelesen von: Nana Spier, Detlef Bierstedt, Erich Räuker, Martin Kessler, Oliver Rohrbeck, Simon Jäger, Reinhard Kuhnert, Tanja Furnaro
meine Bewertung: 3 von 5 Sternchen

Als Jonathan Harker nach Transsylvanien reist, um dort geschäftliche Dinge mit Graf Dracula zu besprechen, merkt er schnell, dass hier manches nicht mit rechten Dingen zugeht und der Graf nicht nur ein gewöhnlicher Mensch ist.
Währenddessen sorgt sich in England Jonathans Verlobte Mina um ihn, da sie schon seit Wochen nichts von ihm gehört hat. Doch als ein gespensterhaftes Schiff in Whitby anlegt, nimmt das Grauen auch in England seinen Anfang …
Okay, was schreibe ich eigentlich groß über den Inhalt? Ich bin vermutlich eh der einzige Mensch weit und breit, der Dracula nicht nur noch nie gelesen, sondern auch noch nie eine Verfilmung gesehen hat. Natürlich wusste ich dennoch bereits einiges über die Handlung im Vorfeld, aber im Detail war sie mir tatsächlich noch nicht bekannt. Übrigens enthält die Rezension leichte Spoiler, wer also wirklich komplett ahnungslos ist und das auch bleiben möchte, sollte vielleicht besser nicht weiterlesen.
„Dracula“ ist in erster Linie eine Collage von Tagebucheinträgen, durchbrochen von einigen Zeitungsartikeln, Telegrammen und Briefen. Im Hörbuch hat dabei jede Figur ihre eigene Stimme, was sehr gut funktioniert – umso mehr, da die Produktion eine ganze Reihe von hervorragenden Sprechern und Sprecherinnen versammelt.
Die Hörbuchfassung kann ich also uneingeschränkt weiterempfehlen – den Roman selbst allerdings nicht so ganz. Obwohl er mir nämlich insgesamt durchaus gefallen hat, war ich doch nicht restlos davon begeistert.
Dabei ist gerade die erste Hälfte wirklich sehr stimmungsvoll und auch gruselig. Es ist (abgesehen von dem Logbuch des Schiffes, das mir eine schlaflose Nacht beschert hat) ein eher subtiler Grusel, der in erster Linie in kleinen Details und der Ungewissheit der Figuren liegt, kein tatsächlicher Horror. Gerade das hat mir an dem Roman aber sehr gut gefallen, ebenso wie auch die Figur des Dracula, der hier wirklich ein schauriges Wesen ist. Ich konnte es nicht fassen (und zwar im negativen Sinn), als ich gelesen habe, dass in der beliebten Verfilmung mit Gary Oldman aus ihm quasi ein tragischer Liebhaber wurde!
Interessanterweise funktionierte der Roman für mich am besten, solange vieles noch ungewiss war, die einzelnen Fäden noch nicht zusammengelaufen sind und die Figuren auch alle nur über ein Teilwissen verfügen. Das schaukelt sich alles hoch bis zum Tod von Lucy, der für mich so etwas wie den Höhepunkt der Spannung darstellte. Danach fiel diese Spannung leider in sich zusammen und wollte sich auch bis zum Ende nicht mehr so recht einstellen. Es wird einfach zuviel diskutiert, zuviel geplant, zuviel an Informationen ausgetauscht und zuviel Zeit mit dem Bewundern und Bedauern von Mina verbracht.
Denn – Stichwort Bewundern – eine klare Schwäche des Romans sind für mich die Figuren, die alle herzensgut, edel und mutig sind und füreinander alles tun würden, vor allem die Herren für Lucy und die unendlich reine und wunderbare Mina. Ich will damit nicht sagen, dass die Figuren völlig flach wirken, aber fast allen fehlen Schattenseiten und damit auch eine gewisse Tiefe.
Lucy war diejenige, die mir noch am ehesten dreidimensional vorkam und ich muss zugeben, dass ich um sie wirklich sehr gebangt habe (obwohl selbst ich Dracula-Banause schon wusste, was mit ihr geschehen würde).
„Dracula“ reiht sich für mich also unter die Romane mit starkem Anfang und recht schwachem Ende ein. Ab der Hälfte gab es für mich einen klaren Spannungsabfall und im folgenden einfach viel zuviel Herumgerede. Da die Figuren großteils recht eindimensional wirken, konnten sie alleine mich auch nicht fesseln.
Trotzdem ein Klassiker, der sich durchaus lohnt – schon alleine, um darin einmal dem „Urbild“ des literarischen Vampirs zu begegnen.

12 thoughts on “Bram Stoker – Dracula

    1. Mich hat ja die Sache mit dem Schiff fertig gemacht. Dabei kannte ich die ja großteils schon von unserer Lesung, aber das ist so eine Art von Grusel, der mir echt unter die Haut geht.
      Den Rest fand ich dann eigentlich recht harmlos.

  1. Ich hab das Buch nach wenigen Seiten abgebrochen. Das war vor ein paar Jahren.
    Da ich jetzt aber ebenfalls angefangen habe die Klassiker zu lesen – Stolz und Vorurteil fand ich klasse, bei Dickens "Grosse Erwartungen" habe ich mehr Mühe – da werde ich es vielleicht mit Dracula auch wieder aufnehmen und ihn vielleicht von einer anderen Seite aus sehen.
    Ds sind jetzt viele vielleicht… ^_^°
    Liebe Grüsse
    Silas

  2. Tröste dich, ich habe auch nie einen Dracula Film gesehen. Und als ich das Buch gelesen habe (vor etwa 3 oder 4 Jahren) war ich mir trotzdem völlig sicher, was den Inhalt angeht – Pustekuchen! Da war doch einiges anderes, als ich es mir gedacht hatte. 😉

    Die Hörbuchversion, die du hast, kenne ich auch. Mir gefiel sie auch recht gut, obwohl ich bei den vielen Sprechern Angst hatte, das es mir zu unruhig sein könnte.

    Aber tut dir selbst einen Gefallen und komm bloß nicht auf die Idee, die Fortsetzung, die der Stoker Nachkömmling verzapft hat, zu lesen. Das war so ungefähr das dämlichste Hörbuch, das ich jemals auf den Ohren hatte.

    1. Danke für die Warnung – die Fortsetzung hätte ich aber eh nicht auf meiner Wunschliste gehabt.
      Mir gings mit dem Inhalt auch so. Ich dachte oft, ich wüsste, was nun passiert, aber dann kam es doch anders.

  3. OK, ich oute mich mal als noch größere Ignorantin – ich habe das Buch noch nie gelesen und auch noch keinen Film gesehen (außer dieser klamaukigen Parodie mit Leslie Nielsen, aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, was da die Handlung war, oder ob es überhaupt eine hatte), und ich weiß tatsächlich so ziemlich gar nicht, worum es da geht.

    Aber ich hab auch keine Lust, es zu lesen, ich mag einfach keine Gruselgeschichten und keine Vampire. Auch nicht, wenn sie nicht glitzern. ;-D

    1. Abgesehen von ein paar Szenen fand ich Dracula nicht gar zu arg gruselig (und wenn ich das schon mal sage …). Aber mir hat der Roman formal recht gut gefallen mit den Tagebucheinträgen und Zeitungsartikeln. Das wirkt sehr unmittelbar – auch wenn die Figuren alle unter einer gewissen Geschwätzigkeit neigen, die die Tagebücher nicht immer allzu authentisch wirken lassen. *gg*

  4. Ich hab mir grad gedacht: Huch, die Rezension hab ich ja noch garnicht verlinkt! Aber nach einem langen, verwirrten Blick auf meine Liste steht Dracula da garnicht drauf. Ich bin verwirrt, ich war mir so sicher. :p

    1. Haha, ja, das wär schön, wenn Dracula auf der Liste wäre. 😉 Als ich mit dem Hörbuch begonnen habe, hab ich mir nämlich auch eingebildet, das wär einer der 100.
      Naja, immerhin hab ich mal wieder einen Klassiker außerhalb einer Challenge gelesen (bzw. gehört). *gg*

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