Historisch Rezensionen

Robert Harris – Pompeji

Genre: Historischer Roman
Dauer: 12 h 34 min (ungekürzte Lesung)
Verlag: Random House Audio
ISBN: 978-3837110630
gelesen von: Karlheinz Tafel
Meine Bewertung: 4,5 von 5 Sternchen

„Zurück in die Vergangenheit“-Challenge 

79 n. Chr.: Der römische Wasserbaumeister Attilius wird überraschend nach Misenum gerufen, weil der Zuständige für die dortige Hauptwasserleitung Aqua Augusta spurlos verschwunden ist. Als er eintrifft, stößt Attilius auf eine Mauer aus Feindseligkeit, auf Korruption und Intrigen. Und zu allem Überfluss droht die Aqua Augusta ausgerechnet mitten im glutheißen Sommer zu versiegen.
Es ist Jahre her, seit ich „Pompeji“ zuletzt gelesen habe und wenn es nicht vor einer Weile das Hörbuch bei Audible als Gratis-Download gegeben hätte, hätte ich wohl noch länger keinen Reread gestartet. Und das wäre wirklich jammerschade gewesen! Denn ich habe fast vergessen, wie gut dieser Roman ist und wie stark ein paar der Szenen noch immer in meinem Gedächtnis verankert sind. So hatte ich etwa im Kopf noch einige Bilder, die ich inzwischen eher dem Film „Dante’s Peak“ zugeordnet hatte, während sie in Wahrheit aus Harris‘ Roman stammen.
Robert Harris hat mit seiner Variante des Untergangs von Pompeji einen genialen Schachzug getan: Anhand diverser Probleme mit der Wasserleitung konfrontiert er Attilius direkt mit den Vorzeichen des Ausbruchs, die dieser aber nicht zu deuten weiß. Das schafft eine unglaublich bedrohliche Atmosphäre, die durch den Wissensvorsprung der Leser sogar noch gesteigert wird.
Mit Attilius hat Harris außerdem einen tollen Protagonisten erschaffen, der einmal einen erfrischend anderen römischen Helden darstellt – kein Gladiator, kein Soldat, kein reicher Adeliger, sondern ein einfacher Bürger, der seine Arbeit derartig liebt, dass er seine Begeisterung für die römische Wasserbaukunst direkt auf mich übertragen hat.
Dabei schrammt Attilius in einigen Punkten haarscharf am Klischee vorbei – der aufrechte, ehrliche Mann, der Korruption verabscheut und sich umso tiefer in seine Arbeit vergräbt, seit er auf tragische Weise seine Frau verloren hat, das ist alles nicht sehr originell. Aber mit seinen Stärken und Schwächen und seiner absoluten Hingabe seiner Arbeit gegenüber wirkt er dennoch sehr lebensecht und auch eigenständig.
Das gilt auch für die anderen Figuren: Auf den ersten Blick machen einige von ihnen einen sehr klischeehaften Eindruck, aber bei genauerem Hinsehen entpuppen sie sich doch als interessanter als gedacht. So etwa der ehemalige Sklave Ampliatus, der nicht einfach nur der typische „Böse“ ist, wie man zunächst vermuten könnte, sondern letztendlich sehr stimmig und überzeugend gezeichnet ist.
Sehr schön ist auch Harris‘ Darstellung von Plinius, dem Kommandanten der misenischen Flotte. Wie Attilius ist er ein Mann mit einer großen Leidenschaft – seine gilt der Wissenschaft, der er alles andere unterordnet (manchmal auch das Wohl anderer Menschen). Dadurch hat man mit ihm eine weitere Figur, die die Vorzeichen des Ausbruchs mit Interesse und Neugierde betrachtet.
Ein wenig überflüssig ist die angedeutete Romanze zwischen Attilius und Ampliatus‘ Tochter Corelia. Zwar fällt die kleine Liebesgeschichte weniger prominent und kitschig aus, als man bei ihrer ersten Begegnung noch befürchten könnte, aber es hätte auch nichts gefehlt, wenn Harris sie weggelassen hätte.
Auch die ganze Intrige rund um Attilius‘ Vorgänger konnte mich nicht völlig überzeugen. Sie ist zwar nicht schlecht umgesetzt und vor allem die Art und Weise, wie Attilius allmählich alles aufdeckt, hat mir gut gefallen, aber da man als Leser ja bereits vom kommenden Untergang der Vesuvstädte weiß, wirkt sie ein wenig nichtig: Wer wird sich nach der Katatrophe noch für irgendeinen Korruptionsskandal interessieren, wenn sowieso die meisten Beteiligten beim Ausbruch umkommen werden? Das ist der Punkt, an dem der Wissensvorsprung nicht für zusätzliche Spannung sorgt, sondern diese eher zerstört.
Das ändert aber nichts daran, dass ich „Pompeji“ für einen der besten historischen Romane halte, die ich kenne. Zugegeben, ich hatte schon immer ein Faible für die Geschichte des Vesuvausbruchs – das war mein Schwerpunktthema bei der Lateinmatura und meine bisherigen Besuche in Pompeji und Herculaneum haben mich völlig überwältigt zurückgelassen. So gesehen ist dieser Roman natürlich wie für mich gemacht, aber die Umsetzung von Harris ist wirklich gut gelungen. Vor allem auch deshalb, weil er einmal einen etwas anderen Blick wählt und den Ausbruch zwar sehr eindringlich, aber nicht zu überzogen oder actionlastig beschreibt.
Es wurde immer wieder mal eine Verfilmung des Romans in Erwägung gezogen und ich würde mir wirklich wünschen, dass sie noch zustande kommt: Besonders die Szenen in der überwältigenden Piscina Mirabilis und am Fuß des Vesuvs, wo die Aqua Augusta repariert werden muss, sind für die große Leinwand nahezu prädestiniert.
Nach dem absolut uninspirierten, vor Klischees nur so triefenden Film „Pompeji“ (der außer dem Namen wirklich nichts mit Harris‘ Roman zu tun hat) bezweifle ich aber, dass daraus noch etwas wird.
Mein Fazit: Trotz kleiner Kritikpunkte ein rundum gelungener historischer Roman, der einen die Sommerhitze von Kampanien noch zuhause im Wohnzimmer spüren lässt, so anschaulich beschreibt Harris die Vesuvstädte.
An die Stimme von Karlheinz Tafel musste ich mich zwar erst ein wenig gewöhnen, aber ansonsten ist auch die Hörbuchfassung sehr empfehlenswert.

3 thoughts on “Robert Harris – Pompeji

  1. Das Buch klingt ja so vielversprechend und wenn du so davon schwärmst. Hach, jetzt müsste man nur noch die Zeit haben, all die vielen Bücher auch zu lesen, die man so entdeckt. Aber vermerkt habe ich es mir! 🙂

    1. Ja, die ersten Bände seiner Cicero-Trilogie, also "Imperium" und "Titan". Die sind auch sehr zu empfehlen, allerdings warte ich nun schon jahrelang auf das Erscheinen des letzten Bandes …

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