Rezensionen Sachbuch

Tomas Tranströmer – Die Erinnerungen sehen mich

Genre: Autobiografie
Seiten: 82

Verlag: Carl Hanser
 ISBN: 978-3446196704
Meine Bewertung: 4 von 5 Sternchen

Ein Jahr mit Nobelpreisträgern

Der schwedische Lyriker Tomas Tranströmer denkt in diesem schmalen Büchlein an seine Kindheit und Jugend zurück und versucht zu ergründen, welche Erlebnisse, Erfahrungen und Menschen ihn und sein Werk geprägt haben. Man bekommt hier kleine Einblicke in verschiedene Abschnitte seines Heranwachsens: sein Sammeln von Insekten, sein Durchstöbern der öffentlichen Bücherei, seine Begegnung mit den Texten von Horaz, …

Es sind sehr schöne, atmosphärische Bilder, die Tranströmer hier heraufbeschwört. Er erweckt darin Stockholm in den 30er und 40er Jahren zum Leben und beschreibt seine Leidenschaften und Ängsten von damals auf eine sehr bildhafte Weise, auch wenn die Sprache eher schlicht ist. Es schwingt eine gewisse Nostalgie mit, aber ohne jegliches Verklären der damaligen Zeit – eher eine Art warmherzige Melancholie, die gerne einmal mit Erinnerungen einhergeht.
Ich bin über dieses Werk eher zufällig gestolpert, weil meine Mutter es im Bücherregal stehen hatte und ich einfach mal hineingelesen habe, aber ich habe das Lesen sehr genossen.
Leider ist das Büchlein wirklich allzu dünn: Es sind einzelne kleine Streifzüge, die man hier zu lesen bekommt, keine vollständige Biografie. Ich fühlte mich trotzdem in jeder der Situationen so „mit dabei“ und mochte auch Tranströmers einfühlsame Erzählstimme so gern, dass ich wirklich gern länger in sein Leben eingetaucht wäre.
Daher ist auch mein einziger Kritikpunkt, dass dieses kleine Prosastück einfach zu kurz ist. Es kam mir am Ende (das auch eher abrupt ist) so vor, als müsste da doch noch mehr kommen, als könnte das doch nicht alles gewesen sein.
Auf der Suche nach diesem „mehr“ habe ich schließlich auch einige Gedichte von Tranströmer gelesen, muss aber zugeben, dass diese nicht ganz mein Fall waren. Sie sind sprachlich sehr präzise, sehr klar in ihren Beschreibungen, in den Gedankengängen aber manchmal eher rätselhaft. Das hat mir zwar an sich gefallen, aber die sehr moderne, freie Lyrik entspricht einfach nicht ganz meinem Geschmack. Ich mag eher Gedichte mit einem Rhythmus, einem Versmaß, aber das war mir auch vorher schon bewusst. Dennoch hat es sich gelohnt, einmal in seine Gedichte hineinzulesen, zumal sie auch thematisch durchaus interessant (und vielfältig) sind.
Ansonsten würde ich mir aber von Tranströmer mehr Prosawerke wünschen – ganz gleich, ob biografisch oder nicht, denn seine Erinnerungen haben mir auf jeden Fall Lust auf mehr gemacht.

8 thoughts on “Tomas Tranströmer – Die Erinnerungen sehen mich

  1. Mit den Gedichten von Tranströmer ging es mir wie dir: So richtig viel konnte ich nicht damit anfangen. Es gab zwar immer wieder das eine oder andere Bild, das mir richtig gut gefallen hat, aber vieles war mir einfach zu abstrus. Kannst ja mal hier gucken: http://meinbuechertagebuch.wordpress.com/2013/06/04/gelesen-tomas-transtromer-samtliche-gedichte/

    Vielleicht hätte Tranströmer tatsächlich mehr Prosa schreiben sollen. Was du zu "Die Erinnerungen sehen mich" schreibst, klingt nämlich wirklich nicht schlecht. Aber hey, wieder ein neuer Nobelpreisträger für die Challenge, auch nicht schlecht!

    Ich lese übrigens gerade Knut Hamsuns "Hunger", das finde ich nach 50 Seiten (von 200) gar nicht schlecht. Mal sehen, wie es sich noch entwickelt.

    1. Ah, ich wusste ja, dass ich schon eine Rezension zu seinen Gedichten gelesen hatte – nur nicht mehr, bei wem. 😉
      Ich kann auf alle Fälle sehr gut nachvollziehen, was du über seine Lyrik schreibst. Eine ganze Sammlung habe ich daher auch gar nicht gelesen, da ich schon nach einigen Gedichten gemerkt habe, dass der Funke nicht ganz überspringt.

      "Sult", also "Hunger", habe ich vor Jahren auf Norwegisch für ein Seminar gelesen und war sprachlich ziemlich damit überfordert. Vielleicht sollte ich es mit dem Buch nochmal auf Deutsch versuchen.

    2. Ja, ich glaub, das würde sich lohnen. Ich bin froh, dass ich das Buch gelesen habe, und werde später sicher noch weitere Romane von Hamsun lesen.
      Aber erst mal muss ich ja noch ein paar andere Autoren für die Challenge abarbeiten. Als Nächstes steht Kenzaburo Oe auf dem Plan. Bin gespannt!

    3. Oh, da hast du ja als nächstes mal einen recht unbekannten Autoren gewählt.
      Ich hab jetzt von meiner Mutter "Sündenfall" von Galsworthy ausgeliehen, aber vielleicht hol ich mir stattdessen doch lieber was von Ivo Andric aus der Bücherei. Mal sehen.

    4. Hm, stimmt. Wenn nicht eine gute Freundin von mir Japanologin wäre, hätte mir der Autor sicher auch überhaupt nichts gesagt. Aber dank Mina bin ich inzwischen auch ein klein wenig Japan-affin geworden. Und im Moment suche ich mir die Nobelpreisträger sowieso eher nach der Länge der Bücher aus. "Reißt die Knospen ab" hat z. B. nur 224 Seiten – und klingt auch noch total interessant. Was will man mehr? 🙂

    5. Kann ich sehr gut verstehen, dass du derzeit nach Länge aussuchst. Ich schiele bei der Wahl der Nobelpreisträger derzeit auch ziemlich auf die Seitenzahl. 😉

  2. Hejsan, Neyasha.
    Vermutlich sind Buchregale genau für solche Entdeckungsreisen einmal konzipiert worden. Für den Homo literaticus, als Jagdrevier. Wobei Du hier eher mit dem Schmetterlingskescher agiert hast. 🙂

    Wie Du anmerkst ist es dem Lyriker gelungen eine Zeitreise in die Jahre seines Lebens und Seins zu geben. Fundamental, wenn ich bedenke, daß es Autobiographien gibt denen auf 500 Seiten lediglich Faktenhuberei gelingt. Wobei hier die Biographie mehr einer Erinnerung weicht; Du erwähnst das baumelnde Ende, nach knapp 80 Seiten.

    Immerhin hast Du damit das Buch eines weiteren Nobelpreisträgers gelesen.

    "Was abverlangt uns das Leben in seiner Jahre Länge. Unverlangt eingeworfen kreisen wir darin, vielleicht in der Suche nach welchem Sinn. Entzünden wir nur ein Licht!? In dieser einen Absicht."
    (Saoirse O'Boinor)

    bonté

    1. Ja, Bücherregale sind tatsächlich eine eigene kleine Entdeckungsreise – und ich sollte viel häufiger in solchen mit einem Schmetterlingskescher unterwegs sein. 😉

      Als eine "richtige" Biografie kann man das Buch wohl wirklich nicht bezeichnen, auch wenn ich mir gut vorstellen könnte, von Tranströmer auch eine längere Biografie zu lesen. Diesen sehr scharfen Blick auf sein Leben hat er sicher auch durch seine Lyrik geschult.

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