Jugendbuch Phantastisch Rezensionen

Mechthild Gläser – Die Buchspringer

erschienen bei Loewe
Standalone
woher: Leihgabe von meiner Nichte
Amy und ihre Mutter flüchten im Sommer auf eine einsame Shetlandinsel, um dort einige Probleme in ihrem Leben vergessen zu können. Hier erfährt Amy, dass sie einer Familie von Buchspringern entstammt, die in Bücher reisen und dort Einfluss auf die Handlung nehmen können. Gemeinsam mit Schir Khan und Werther streift Amy durch die Buchwelt – und stellt fest, dass hier jemand in den Geschichten sein Unwesen treibt.
„Die Buchspringer“ ist eins der Lieblingsbücher meiner Nichte und ich fand auch die Idee sehr reizvoll, aber die Umsetzung hat mir leider weniger gut gefallen.
Für mich gab es zwei wesentliche Kritikpunkte. Der eine ist, dass die Idee zwar schön ist, Mechthild Gläser aber ansonsten ganz den altvertrauten Pfaden der Jugendliteratur folgt: Es gibt eine tollpatschige Heldin, die ständig über ihre eigenen Füße stolpert, einen äußerst blassen, aber natürlich ganz und gar wunderbaren Love Interest, sowie eine hochmütige Zicke, die Amy von Anfang an ablehnt (die umgekehrt aber auch von Amy sofort als  geschminktes, eingebildetes Biest abgestempelt wird).
Mein zweites Problem mit dem Buch ist seine Oberflächlichkeit. Sobald man beginnt, genauer über die Hintergründe nachzudenken, tun sich überall Löcher auf. Welche Bücher etwa befinden sich in der Bibliothek, von der aus die Buchspringer in die Geschichten reisen? Alle, die jemals geschrieben wurden? In dem Fall würde die Bibliothek wohl den Raum einer Kleinstadt einnehmen und man bräuchte beinahe ein Verkehrssystem, um dort rasch zu einem bestimmten Buch zu kommen.
Nur ausgewählte Bücher? Aber wonach wurden diese dann ausgesucht?
Und wenn es gerade einmal eine Handvoll Buchspringer gibt, wie sollen die dann jemals alle Geschichten überwachen können? Es müsste dann ja ständig zu Chaos in dem einen oder anderen Buch kommen.
Die Auswahl der Bücher, die in dem Roman eine Rolle spielen, hat mir an sich ganz  gut gefallen: Werther, Dschungelbuch, Sommernachtstraum, Alice im Wunderland, Der kleine Prinz und auch Anna Karenina findet eine Erwähnung.
Leider hatte ich den Eindruck, als hätte die Autorin sich nie genauer mit diesen Bücher auseinandergesetzt und sie entweder schon lange nicht mehr oder aber nur oberflächlich gelesen. Es werden ein paar bekannte Szenen und Schlagwörter in den Raum geworfen und Werther komplett auf eine Jammergestalt und die unglückliche Liebesgeschichte reduziert. Sein Selbstmord bietet Anlass zu ein paar müden Witzen (etwa, dass er durch das Herumstreifen durch die Buchwelt beinahe einmal verpasst hätte sich umzubringen).
Schließlich spielt noch ein altes Märchen eine Rolle, das in Auszügen den Kapiteln vorangestellt ist – und sich nicht im Geringsten wie ein altes Märchen liest. Sowohl Stil als auch Struktur klingen eben ganz nach modernem Jugendbuch mit ein paar halbherzigen Versuchen, ihm einen altertümlichen Klang zu geben.
Zuletzt gibt es noch eine ganz konkrete Sache, die mich gestört hat: Amy wurde vor dem Sommer in ihrer Klasse gemobbt und ein Auslöser dafür war, dass sie jemand beim Umkleiden im Sportunterricht fotografiert und das Bild auf Facebook gestellt hat. Das ist eine nachvollziehbare und sehr scheußliche Situation und man hätte diese sicher interessant und kritisch umsetzen können.
Nun ist aber der Hauptgrund, weshalb Amy gehänselt wird, ihr Körper: Sie ist groß und schlank, hat lange Locken und fühlt sich deshalb auch ganz hässlich.
Ich will nun nicht bestreiten, dass Jugendliche aus ganz unterschiedlichen Gründen mit ihrem Körper unglücklich sein können, aber musste die Autorin ausgerechnet das ohnehin vorherrschende Schönheitsideal unter jungen Mädchen hernehmen? Sie hätte die Gelegenheit gehabt, etwa übergewichtigen Teenagern, die nun wirklich sehr häufig gemobbt werden, die Botschaft mitzugeben: Du bist in Ordnung so, wie du bist. Oder Amy hätte auch eine dicke Brille, Akne oder sonst irgendeinen „Makel“ haben können. Stattdessen nimmt Mechthild Gläser ein Mädchen her, das von der Beschreibung einem Model entspricht.
Da verschenkt sie meiner Meinung nach einiges an Potenzial.
Nun habe ich den Roman lange genug benörgelt. Ich denke, dass das meiste davon die Zielgruppe kaum oder gar nicht stört. Und der Roman macht offensichtlich immerhin Jugendlichen Lust auf Klassiker, war er doch der Grund dafür, dass meine Nichte sich in London auf Alice und Das Dschungelbuch im Original stürzen wollte.
Für Ewachsene Vielleser ist er allerdings trotz des buchigen Themas meiner Meinung nach nur wenig geeignet. Er liest sich zwar ratzfatz durch, war für mich aber dennoch eher eine Enttäuschung.

9 thoughts on “Mechthild Gläser – Die Buchspringer

  1. Das war für mich auch eins dieser Bücher, die ziemlich interessant klangen, aber wo mein Bauchgefühl abgeraten hat. Zum Glück habe ich darauf gehört, wenn ich mir deine Rezension anschaue 😉 Irgendwie habe ich sowieso den Eindruck, dass so buchige Bücher meistens gar nicht so toll sind…

  2. Da ging´s mir ähnlich wie dir und mich haben auch genau die gleichen Sachen gestört. Im Prinzip hätte man aus der gesamten Geschichte viel mehr machen können. Für mein Empfinden hätte sie auch ein paar weniger bekannte, weniger "typische" Vertreter der Literatur nehmen können als die, in denen hier herumgesprungen wird. Irgendwas überraschendes, was man noch nicht so kennt. Aber das hätte dann vielleicht auch wieder nicht gepasst.
    Ist für mich jedenfalls auch eins der Bücher, von denen ich viel mehr erwartet und erhofft hatte, und welches das nicht halten konnte.

    1. Ja, das stimmt, dass die Buchauswahl sehr "altvertraut" ist. Ich fand sie so als Gesamtmischung trotzdem ganz gelungen, aber das konnte es für mich auch nicht mehr rausreißen.

    1. Natürlich ist das alles immer Geschmacksache – meine Nichte liebt ja das Buch. Aber ich glaube, dass die Skepsis hier durchaus angebracht ist, wenn man mal über das Zielgruppenalter hinaus ist.

  3. Hmm, schade. Ich hatte es mir auch überlegt, stand in der Buchhandlung schon mehrmals davor, aber das hört sich nicht gut an :-/

    Das mit dem eigentlich fast idealen Mädchen, das sich hässlich findet, kenne ich nur zu gut. Bei City of Bones wird das ziemlich ausgequetscht, aber selbst Tad Williams, einer meiner liebsten Fantasyautoren hat in seinen Büchern mindestens zwei Protagonistinnen, die groß und "mager" sind, aber sich selbst total hässlich finden. Und meistens finde ich das nervig, weil ich ziemlich pummelig bin und relativ zufrieden und nicht verstehe, warum dünnere Mädchen als ich so einen Stress machen.
    Ich kenne ein Mädchen, das praktisch magersüchtig ist und dabei sich selbst immer noch zu dick findet. Deswegen weiß ich nicht, was jetzt fragwürdig ist: Mädchen zu sagen, dass dumm auch hässlich ist? Oder bestärkt das die Magersüchtigen doch in ihrer Körperwahrnehmung, sie seien nicht hübsch?

    Vielleicht gibt es das Buch ja in der Bibliothek, dann würde ich vielleicht sogar reinschmökern.

    1. Also in einem Fantasyroman stört mich so etwas nicht zwangsläufig – da können ja die vorherrschenden Schönheitsideale ganz andere sein. Ich habe in meinen Göttersteinen ein Mädchen mit einer recht androgynen Figur und einem nicht unbedingt lieblich-weichen Gesicht, das weder von sich selbst noch von außen als schön wahrgenommen wird, da dort das Ideal eher in der Rubens-Richtung angesiedelt ist.

      Bei einem Buch in einem irdischen modernen Setting dagegen, finde ich so etwas dagegen ziemlich seltsam bzw. war es nicht unbedingt gelungen umgesetzt in dem Roman.
      Wenn Amy sich selbst hässlich findet, das kauf ich ihr noch ab (Selbstwahrnehmung ist da einfach nochmal ein ganz anderes Paar Schuhe), aber dass sie von anderen wegen ihres Aussehens gemobbt wird, während man recht deutlich herauslesen kann, dass Amy genauso aussieht, wie es dem aktuellen Ideal junger Mädchen entspricht … das fand ich einfach unsinnig.

    2. Das war in dem einen Fantasyroman okay, der spielt auch in einer Welt, die der Renaissance ähnlich ist, da akzeptiere ich das. Einigermaßen. Bei "Otherland" das in der Zukunft spielt und in den meisten Fällen eine gnadenlose Hochrechnung unserer heutigen Verhältnisse ist, ist das ein bisschen anders. Vielleicht ist das, weil es in Südafrika bei einer schwarzen Frau ist, aber es scheint eine Zeit zu sein, in der Ernährungsprobleme weitgehend gelöst zu sein scheinen, immerhin wird erwähnt, dass das Problem nicht mehr die Not für sich, sondern lediglich die Ungleichheit ist und da stelle ich mir vor, dass man, da es auch eine stark "west"-orientierte Gesellschaft zu sein scheint, auch eher eben diesen Schönheitsidealen folgt.

      Stimmt, Selbstwahrnehmung und Außenwahrnehmung sind zwei paar Schuhe. Nicht mal ich könnte mich erinnern, dass mich jemand ernsthaft wirklich beleidigend als "fett" bezeichnet hätte. Das ist schon unsinnig. Aber ein Problem hat meine Freundin trotzdem.

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