Gegenwartsliteratur Rezensionen

John Lanchester – Die Mauer

erschienen bei Klett-Cotta

 

Nach einer Klimakatastrophe sind weite Landstriche unbewohnbar geworden. Großbritannien hat sich völlig abgeschottet und entlang der Küsten eine hohe Mauer errichtet. Joseph Kavanagh tritt seinen zweijährigen Dienst an der Mauer an, um diese gegen Eindringlinge – die „Anderen“ – zu verteidigen. Für ihn und alle anderen Verteidiger steht viel auf dem Spiel: Schaffen es Eindringlinge ins Land, werden die verantwortlichen Verteidiger selbst hinaus aufs Meer verbannt.

Das Cover und die Tatsache, dass meine Kollegin von dem Autor bereits etwas gelesen hatte, haben mich vor etwa einem Monat in der Buchhandlung zu „Die Mauer“ greifen lassen und ich habe den Kauf keineswegs bereut. Schon beim Anlesen hat mich der Roman gefesselt und ich war in wenigen Tagen damit durch.

Die Welt, die John Lanchester zeichnet, ist eine sehr düstere: In einer nicht näher definierten Zukunft müssen alle jungen Menschen ab einem bestimmten Alter zwei Jahre als Verteidiger auf der Mauer verbringen und auch sonst hat sich so einiges gewandelt. Diesen (auch so bezeichneten) „Wandel“ beschreibt der Autor nicht genauer, aber man kann zwischen den Zeilen einiges herauslesen. Nun ist der Roman natürlich ein Kind seiner Zeit – Stichwort Brexit, Trumps Mauer und Klimaveränderungen – aber ich fände es schade, ihn alleine darauf zu reduzieren, da er auch eine ganze Reihe von Themen anspricht, die zeitlos sind. Es geht um Konflikte zwischen Generationen und um die Fragen, wie weit sich ein Land/eine Gesellschaft/eine Region von der Außenwelt abschotten lässt, wo die Grenzen sind zwischen „wir“ und „die Anderen“ und ob man so einfach die Augen vor den Problemen der Welt „da draußen“ verschließen kann.

Abgesehen davon, dass Lanchester diese Themen differenziert beleuchtet, ist „Die Mauer“ aber auch einfach ein sehr spannender Roman. Wir werden von Ich-Erzähler Joseph mitgenommen zu seinem Mauerdienst, der Kälte, Eintönigkeit und eine ständige Wachsamkeit bedeutet. Die Organisation des Mauerdienstes beschreibt der Autor sehr genau und man merkt schnell, dass es sich dabei um eine bis ins Kleinste durchstrukturierte und durchgeplante Truppe handelt. Ich fand die detaillierten Beschreibungen des Alltags an der Mauer sehr faszinierend. So erschreckend und beklemmend die Vorstellung auch ist, zwei Jahre des Lebens in so einer Situation verbringen zu müssen, hat mir zugleich der „weltenbastlerische“ Aspekt daran gewissermaßen Spaß gemacht. Die Beschreibungen des Wandels und der neuen Weltordnung mögen teils recht vage sein, aber bei allem rund um den Mauerdienst bleiben kaum Fragen offen.

Aber natürlich fand ich nicht nur die Beschreibung der Mauer an sich, sondern auch die Handlung äußerst spannend. Von Anfang an lauert im Hintergrund das latente Gefühl einer Bedrohung und die Ahnung, dass die Frage nicht ist, ob es zu einer Katastrophe kommen wird, sondern wann. Ich möchte hier den weiteren Handlungsverlauf nicht spoilern, daher fällt es mir etwas schwer, konkret etwas zum Plot zu sagen, aber auf jeden Fall hat mich das Buch so gefesselt, dass ich es kaum aus der Hand legen konnte.

Die Meinungen zu diesem Buch fallen recht unterschiedlich aus – vielen scheint der Erzählstil zu distanziert, Joseph als Figur zu passiv gewesen zu sein. Ich kann diese Kritikpunkte zwar nachvollziehen, habe das persönlich aber gar nicht so empfunden. Ganz im Gegenteil: Ich war so tief in dem Buch drinnen, dass ich stellenweise vor dem Weiterlesen tief durchatmen musste, weil ich wirklich Angst vor den weiteren Entwicklungen hatte. Ein sehr faszinierendes Buch und für mich das bisherige Lesehighlight des Jahres.

4 thoughts on “John Lanchester – Die Mauer

  1. Im Moment schreibst du deine Rezensionen aber auch immer so, dass du mich total neugierig machst. 😀

    Ich mag ja einfach auch schon das Cover des Buches total gerne. Es ist – mal wieder – auf meiner Wunschliste gelandet. Danke für’s Vorstellen.

    1. Ich weiß nicht, ob ich mich jetzt entschuldigen soll. 😉 Das Cover ist wirklich toll. Ich würde bei dem Buch übrigens mal in die Leseprobe reinlesen – ich glaube, da merkt man sehr gut, ob einem der Stil liegt (ich mochte ihn gern).

  2. Ich kann Tine nur zustimmen, du schreibst gerade so über deine gelesenen Bücher, dass du mir Lust aufs Selberlesen machst. Auch die Leseprobe fand ich nicht schlecht, auf der anderen Seite hatte ich vor vielen Jahren eine Phase, in der ich viele düstere Zukunftsszenarios gelesen und mich daran definitiv übersättigt hatte. Ich denke, ich warte lieber ab, ob ich das Buch irgendwann mal in der Bibliothek finde.

    1. Das freut mich natürlich, wenn ich Lust aufs Lesen gemacht habe! Aber ja, das Buch ist schon recht düster. Da John Lanchester kein ganz unbekannter Autor mehr ist, stehen aber vielleicht die Chancen ganz gut, dass das Buch auch in der Bibliothek zu finden sein wird.

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