Phantastisch Rezensionen

Guy Gavriel Kay – Sailing to Sarantium

erschienen bei Penguin Random House

1. Band von „The Sarantine Mosaic“

Crispin, ein Mosaikmeister aus Varena, hat nach dem Tod seiner Frau und seiner Kinder genug von der Welt und widmet sich nur noch seiner Kunst. Da wird er unerwartet nach Sarantium gerufen, um dort für Kaiser Valerius ein prächtiges Mosaik zu entwerfen. Und mit einemmal findet Crispin sich inmitten politischer Intrigen, religiöser Konflikte und heidnischer Rituale wieder.

2004/2005 habe ich mit dem Zweiteiler „The Sarantine Mosaic“ die Werke von Guy Gavriel Kay kennengelernt – und war vollkommen überwältigt. Schon seit Jahren wollte ich daher den Zweiteiler noch einmal lesen, aber ich bin immer davor zurückgeschreckt aus Angst, dass er mich inzwischen enttäuschen könnte. Als ich nun endlich wieder dazu gegriffen habe, habe ich schnell gemerkt, dass meine Angst unbegründet war, denn ich war sofort wieder in der Welt von Sarantium gefangen.

„Sailing to Sarantium“ ist ein Buch, bei dem es mir vorkommt, als wäre es ganz allein für mich geschrieben worden. Die Figuren, die Beziehungsgeflechte, der Schreibstil, vor allem aber die Welt entsprechen genau dem, was ich gern lese und selbst gern schreiben würde.

Wie bei Kay typisch, ordnet sich das Buch irgendwo zwischen Fantasy und historischem Roman ein. Sarantium entspricht Byzanz, Varena ist das Pendant zu Ravenna und Valerius und seine Frau Alixana haben Justinian und Theodora als klare Vorbilder. Parallelen gibt es nicht nur zur spätantiken Welt und Gesellschaft, sondern auch die Ereignisse entsprechen in weiten Teilen dem, was in den ersten Jahren von Justinians Herrschaft geschehen ist. Das wird in Rezensionen vielfach kritisiert und ich kann verstehen, dass das nicht unbedingt das ist, was die meisten von Fantasy erwarten, aber ich persönlich hatte gerade daran meine Freude. Ich lese gern Fantasyromane mit wenig bis gar keiner Magie und hier kommen magische Elemente wirklich nur sparsam zum Einsatz (vergleichbar vielleicht mit dem 1. Band von A Song of Ice and Fire). Außerdem habe ich bekanntlich ein Faible für die Antike und Kay erweckt diese zum Leben wie sonst kaum jemand. Es gibt bei ihm so viele kleine Details, Schilderungen des Alltagslebens und ein unglaubliches Gespür für die religiösen Debatten des frühen Christentums, das bei Kay durch den Gott Jad und seinen Sohn Heladikos auf eine ganz eigene, stimmige Weise interpretiert wird. Bei ihm wird Religion auf eine Art und Weise in den Alltag und die Gesellschaft integriert, wie man es bei Fantasy selten findet – allerdings gänzlich ohne dass dabei eine religiöse Botschaft transportiert wird.

Eine besonders große Rolle spielen in Sarantium die Wagenrennen und damit verbunden auch die verschiedenen Rennparteien mit all ihren Rivalitäten (die „Blauen“ und „Grünen“, sowie die kleineren Parteien der „Weißen“ und „Roten“). Auch im antiken Rom und später in Byzanz hatten diese einen unglaublichen Einfluss nicht nur auf den Alltag der Menschen, sondern sogar auf die Politik und ich liebe es, dass Kay das auf so vielschichtige und anschauliche Weise darstellt. Scortius, Wagenlenker und „Star“ der Blauen, und Shirin, die erste Tänzerin der Grünen, sind wichtige Figuren des Romans und gehören auch beide zu meinen absoluten Lieblingen von Kays Figuren.

Nun habe ich sehr viel zur Hintergrundwelt geschrieben – das liegt nicht nur daran, dass ich sie so liebe, sondern auch, dass sie in den Büchern sehr detailliert ausgeformt wird und die Stadt Sarantium fast schon als eine Hauptfigur bezeichnet werden könnte. Denn auch inhaltlich zentriert sich alles rund um diese Stadt: Die erste Hälfte des Romans behandelt Crispins Reise nach Sarantium, die zweite Hälfte behandelt seinen Ankunftstag. Das klingt jetzt vielleicht so, als müsste das eine sehr langatmige, statische zweite Hälfte sein, aber das Gegenteil ist der Fall, denn an diesem Tag ereignet sich sehr viel und es ist faszinierend, wie Kay all diese Ereignisse rund um einen Renntag im Hippodrom gruppiert.

Die Reise ist vermutlich das, was am ehesten an gängige High Fantasy erinnert: Crispin muss einigen Gefahren ins Auge blicken und lernt eine Reihe von Gefährten kennen, darunter die junge Frau Kasia, die von ihrer Familie aus Geldnöten in die Sklaverei verkauft wurde und nun in einer Herberge arbeitet. Die Reise zwingt Crispin auch dazu, selbst wieder an der Welt und am Leben teilzuhaben, nachdem er sich aus Kummer so lange vor allem verschlossen hatte. Ich mag Crispin als Figur sehr gern. Er hat viel Entwicklungspotenzial, ist intelligent und schafft es, sich auf seine Weise im Intrigenspiel von Valerians Hof zu behaupten, ist manchmal aber auch völlig davon überfordert. Sein heftiges Temperament und seine Tendenz zu ungefilterten Flüchen führen zu einigen ziemlich witzigen Momenten. Vor allem aber ist Crispin ein Künstler mit Leibe und Seele. Er lebt für seine Mosaike und denkt auf eine Art und Weise über Licht, Farben, Formen und Legetechnik nach, dass man seine Leidenschaft nicht nur spüren, sonden auch sehr gut nachvollziehen kann. Crispin ist der Grund, weshalb ich im Archäologiestudium eine ganze Vorlesung über antike Mosaike besucht habe und weshalb ich dieses Jahr nach Ravenna gefahren bin, um mir dort die frühchristlichen Mosaiken anzusehen.

Jetzt habe ich schon so viel geschrieben und bin noch nicht einmal auf die politischen Wirren und wichtige Figuren wie Valerius und Alixana eingegangen. Ich werde dazu mehr in der Rezension zum zweiten Band schreiben, da ich ja nun die Welt ausführlich genug hier vorgestellt habe.

Zum Schreibstil ist noch zu sagen, dass dieser eher anspruchsvoll ist und es Kay-typisch immer wieder einen auktorialen Erzähler gibt und er auch viel mit Rückblenden und Vorausdeutungen arbeitet. Wer also eine streng personale Erzählperspektive bevorzugt, wird damit vielleicht nicht so viel anfangen können. Ich persönlich liebe das und finde, dass Kay all diese Kniffe hier auch perfekt einsetzt (in manchen anderen Romanen von ihm war es dagegen auch mir manchmal etwas zu viel).

Ich weiß nicht, ob es notwendig ist, das nach fast 1000 Worten Lobeshymne noch zu schreiben, aber: „Sailing to Sarantium“ ist eines meiner absoluten Lieblingsbücher und es war eine Freude, ein zweites Mal darin einzutauchen.

2 thoughts on “Guy Gavriel Kay – Sailing to Sarantium

  1. Bis zum Lesen deiner Rezension hätte ich gesagt, dass ich die Bücher des Autoren nicht kenne. Aber das eine oder andere Detail lässt etwas in mir anklingen und nun frage ich mich, ob ich nicht vielleicht einen der späteren Bände (auf Deutsch sind das vier Teile) mal aus der Bibliothek ausgeliehen hatte oder so. *g* Auf jeden Fall ist es schön, dass du den ersten Teil auch beim erneuten Lesen noch so genießen konntest! Ich hoffe, du findest bald Zeit für die Fortsetzungen! 🙂

    1. Ja, in der deutschen Übersetzung wurden die beiden Romane aufgeteilt.
      Ich habe die Fortsetzung gleich nach dem 1. Band gelesen, aber ich bin noch nicht dazu gekommen eine Rezension zu schreiben. Vielleicht klingelt es bei dir dann stärker, wenn ich darin mehr auf die Handlung und die politischen Intrigen eingehe.

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