Rezensionen

René Freund – Niemand weiß, wie spät es ist

Hardcover erschienen bei Deuticke, Taschenbuch bei Goldmann

Nach dem Tod ihres Vaters erwartet Nora eine unproblematische Abwicklung seines Testaments. Stattdessen erfährt sie, dass sie mit der Asche ihres Vaters eine Wanderung durch Österreich unternehmen soll. Das Ziel wird sie erst unterwegs durch den pedantischen Notariatsgehilfen Bernhard erfahren, der die Wanderung mit ihr antritt, um darauf zu achten, dass der Letzte Willen ihres Vaters korrekt ausgeführt wird. Und so muss Nora ihr geliebtes Paris verlassen, um sich auf eine Reise mit unbekanntem Ausgang zu begeben.

 

Ich hatte dieses Buch seit vier Jahren auf meiner Liste und im Oktober, als ich in der Onleihe nach einem passenden Ebook für meine kleine Wandertour auf dem Bernsteintrail gesucht habe, bin ich wieder darauf gestoßen. Wanderung durch Österreich – das passt thematisch gut, dachte ich. Und tatsächlich hat mich dieses Buch ganz köstlich unterhalten. Es ist eine recht absurde Mischung aus Wandertrip, Selbstfindungsroman, Schnitzeljagd, Parodie und Familiengeschichte. Am Anfang kam mir der Roman noch sehr „over the top“ vor, besonders die überzeichneten Figuren, aber ich hatte dann doch schnell meinen Spaß daran. Die chaotische, lebenslustige und mitunter recht überhebliche Nora bildet einen scharfen Kontrast zu dem überordentlichen Planungsfreak Bernhard und man kann sich vorstellen, dass es zwischen den beiden zu einigen Konflikten kommt. Beide sind bewusst als Extreme gezeichnet, die erst nach und nach an Tiefe gewinnen.

Die tatsächliche Wanderung war herrlich zu lesen, zumal Nora als echte Großstadtpflanze kein Fettnäpfchen auslässt. Besonders gefreut hat mich, dass auch die Via Sacra kurz eine Rolle spielt und ich auch sonst so einige Orte wiedererkannt habe.

Die Videobotschaften, die Nora unterwegs von ihrem Vater bekommt, bringen eine philosophische Komponente in den Roman, die meiner Meinung nach ein wenig mit dem skurrilen Humor kollidiert. Allerdings ändert sich im Laufe des Buches der Erzählton und so wie die Figuren an Tiefe gewinnen, wird auch der Ton etwas ernster und weniger überdreht. Es gibt außerdem in der zweiten Hälfte des Romans einige Plottwists und Überraschungen, auch wenn diese für mich nicht ganz unerwartet kamen.

Der Roman hat allerdings auch einige Schwächen. So fand ich den Wandel von skurriler Komödie hin zu ernstem Drama teilweise nicht ganz stimmig und ich war ziemlich genervt von dem sehr platten Veganer-Bashing. Trotzdem hatte ich einen großen Lesespaß mit diesem Buch und das warmherzige Ende hat mich mit einem guten Gefühl zurückgelassen. So gesehen also auch eine richtige Wohlfühllektüre, die mir auch Lust auf weitere Bücher von René Freund gemacht hat.

2 thoughts on “René Freund – Niemand weiß, wie spät es ist

  1. Hmm, auch wenn du nicht zu 100% glücklich mit dem Buch warst, hast du mich neugierig gemacht. Ich werde mir das Buch auf jeden Fall mal auf die Wunschliste setzen. Das Cover (und das ganze Buch) kenne ich übrigens noch gar nicht. Meist hat man ja viele Bücher zumindest schon mal gesehen.

    Kennst du eigentlich „Wild“ von Cheryl Strayed? Das fiel mir gerade als Wanderbuch ein, das mich sehr bewegt hat.

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